Das Geheimnis der neuen F1-Motoren

Die neuen Formel 1-Motoren haben für viele Schlagzeilen gesorgt. Wir erklären im Video, wie die komplizierten Kraftpakete funktionieren und aus welchen Komponenten sie bestehen...
Die neuen Antriebseinheiten der Formel 1 sind für viele noch ein Buch mit vielen Siegeln. Wir erklären Ihnen, wie die Turbo-Monster wirklich funktionieren und wie kompliziert das Power-Management sein kann. Dazu bringt auto motor und sport-Experte Giorgio Piola mit seiner Animation Licht ins Dunkel.
Die Sache ist kompliziert. Das zeigt sich schon daran, dass Renault und Ferrari immer noch dabei sind, Kinderkrankheiten zu lösen. Selbst Mercedes ist nicht vor bösen Überraschungen sicher. Niki Lauda behauptet: "Wir hatten die gleichen Probleme und die gleichen Defekte wie unsere Mitbewerber. Der einzige Unterschied ist, dass wir sie früher gelöst haben."
Doppelpass zwischen drei Motoren
Prinzipiell ist ein Turbo-Motor kein Hexenwerk. Den hat man in der Formel 1 schon vor 30 Jahren beherrscht. McLaren-Honda legte 1988 mit zwei Autos 9.003 von 9.495 möglichen Rennkilometern zurück. Honda verzeichnete nur einen Motorschaden. Der japanische 1,5 Liter-V6-Turbo gab 685 PS bei 13.500/min ab bei einem auf 2,5 bar begrenzten Ladedruck und einem Spritlimit von 150 Litern für das Rennen.
Auch heute haben die Motoren sechs Zylinder in V-Bauweise. Der Hubraum beträgt 1,6 Liter. Damals standen zwei Turbolader zur Verfügung, heute nur einer. Ein weiterer Unterschied: Heute gibt es eine Direkteinspritzung mit einem maximal erlaubten Einspritzdruck von 500 bar und zwei Elektromotoren, die ihre Energie aus dem Schleppmoment des Verbrennungsmotors und durch das Abbremsen der durch die Auspuffgase angetriebenen Turbine des Turboladers beziehen. Sie spielen mit dem Verbrennungsmotor und dem Turbolader Doppelpass.
PS-Zahl durch Benzinmenge statt Ladedruck begrenzt
Aufgeladene Triebwerke haben im Vergleich zu Saugmotoren ein gravierendes Problem. Man muss sie künstlich einbremsen. Sonst würden sie so viel Leistung produzieren, dass sich ihre Lebensdauer auf eine Runde verkürzt. So wie in den Jahren 1985 und 1986, als in der Qualifikation maximaler Ladedruck gefahren und PS-Zahlen weit jenseits von 1.000 PS erzielt wurden. Ab 1987 wurde deshalb der Ladedruck begrenzt. Zuerst auf 4,0, dann auf 2,5 bar.
In der modernen Formel 1 geschieht das über die Durchflussmenge des Benzins. Mehr als 100 Kilogramm pro Stunde sind nicht erlaubt. Daraus ergibt sich ein Dilemma, das Renault.Motorenchef Ron White so beschreibt: "Beim Beschleunigen wird die maximal erlaubte Spritmenge eingespritzt. Entscheidend ist die Luftzufuhr. Wenn der Ladedruck zu hoch ist, magern wir ab und laufen Gefahr den Motor durch Klopfschäden zu ruinieren. Ist er zu niedrig, ist der Spritverbrauch für die abgegebene Leistung zu hoch. Wir bewegen uns da in einem winzigen Fenster, das nicht einfach zu treffen ist."
Heiße und kalte Elektromaschine
Mit anderen Worten: Die viel kritisierte Benzin-Durchflussmenge gibt den Ladedruck vor. Im Gegensatz zu der ersten Turbo-Ära sprechen wir heute von einem elektrischen Turbolader. Bei niedrigen Drehzahlen muss die so genannte "heiße" Elektromaschine (MGU-H) den Turbolader auf Touren bringen, indem sie die Turbine elektrisch antreibt. Das füllt das Turboloch.
Bei hohen Drehzahlen wird die MGU-H zum Generator, in dem er das Überangebot an Boost durch Abbremsen der Turbine in elektrische Energie umwandelt, und zwar genau so weit, dass die optimale Kompression von ungefähr 3,5 bar erreicht wird.
Das Wastegate-Ventil, das früher den überschüssigen Druck einfach abgeblasen hat, ist nur noch ein Notnagel für den Fall, dass die MGU-H ihre Aufgabe nicht ordnungsgemäß erfüllt. Das gilt für das Rennen. Die Qualifikation ist ein Spezialfall, doch dazu später.
Wohin mit der Power der MGU-H?
Zu der Power des Turbomotors addiert sich die elektrische Leistung. Die kommt aus verschiedenen Quellen. In diesem Jahr speisen zwei Generatoren die Batterie. Die MGU-K ist das alte KERS, nur leistungsfähiger. Es produziert Strom, wenn der Fahrer vom Gas geht, der Motor aber weiter kinetische Energie produziert. Der zweite E-Motor sitzt zwischen Turbine und Verdichter. Zuerst hilft er dem Turbolader auf die Sprünge, dann saugt er ihn quasi aus.
Droht der Ladedruck zu stark anzusteigen, bremst die MGU-H das Turbinenrad auf den gewünschten Wert ab. Der Computer hat jetzt die Qual der Wahl. Er kann die Energie entweder in der Batterie für spätere Nutzung deponieren oder direkt in die "kalte" Elektromaschine (MGU-K) transferieren, um sofort extra Leistung bereitzustellen.
Der Clou dabei: Diese direkt übertragene Leistung gibt es zum Nulltarif. Sie zählt nicht zu den vier MegaJoule, die man maximal pro Runde aus dem Energiespeicher abrufen darf. Diesen direkten Transfer zu beherrschen, ist also besonders nützlich.
Die Krux mit dem Abgas-Gegendruck
Doch nichts ist umsonst. Jetzt ist das Wastegate-Ventil im Spiel, das im Rennen eigentlich nicht zum Einsatz kommen sollte. Auf der einen Qualifikationsrunde jedoch schon. Da übernimmt es die Aufgabe der MGU-H. Das liegt am Gegendruck, den die MGU-H bei der Erzeugung von Strom im Auspufftrakt aufbaut, egal ob sie ihn in der Batterie speichert oder direkt in die MGU-K abgibt.
Dieser Gegendruck kostet den Motor Leistung, weil er sich schwerer tut, die Zylinder zu entleeren. Hier muss man genau abwägen: Wie viel Leistung bringt mir der direkte Leistungstransfer von der MGU-H in die MGU-K, und wie viel kostet er mich auf der Motorseite?
In diesem Punkt haben die drei Motorenhersteller höchst unterschiedlich Lösungen, was auch auf den Power-Output Auswirkungen hat. Mercedes-Motorenchef Andy Cowell verrät: "Jeder versucht die MGU-H und den Motor so zu konstruieren, dass einerseits möglichst wenig Gegendruck erzeugt wird, andererseits der Motor möglichst unsensibel auf den Gegendruck im Auspufftrakt reagiert. Das macht der eine besser, der andere weniger gut."
Ein Mal überholen, dann sparen
In einer Quali-Runde wird der gesamte Energieinhalt der Batterie leergefahren. Man braucht ja keine elektrische Leistung in der Auslaufrunde. Man kann also auf die segensreiche Wirkung des direkten Leistungstransfers der MGU-H in die MGU-K weitgehend verzichten. Im Rennen geht das nicht. Da muss sich der Energieinhalt der Batterie in einem ganz bestimmten Fenster einpegeln, damit in jeder Runde ein Maximum an Elektro-Power vorhanden ist, gleichzeitig aber immer wieder genügend nachgeladen werden kann.
Deshalb kann ein Überholmanöver zur Folge haben, dass der Fahrer die nächsten Geraden auf Power von der MGU-H verzichten muss, um die Batterie nachzuladen. Beim Überholen passiert folgendes: Tritt der Fahrer ausgangs einer Kurve aufs Gas, liefert zunächst einmal nur die Batterie den elektrischen Saft. Die MGU-H ist damit beschäftigt, die Turbine anzutreiben.
In einer normalen Rennsituation kommt ab Hälfte der Gerade keine Elektropower mehr dazu. Die MGU-K hat bis zur Bremszone oder dem Augenblick, in dem der Fahrer den Fuß vom Gas nimmt, Feierabend. Die MGU-H lädt bei Vollgas die Batterie. Meldet der Fahrer einen Überholwunsch an, speist die MGU-H die MGU-K direkt bis ans Ende der Geraden mit Elektrokraft. Sie kann aber nicht gleichzeitig Strom für die Batterie erzeugen. Das fehlt dann im Energiehaushalt und muss auf anderen Geraden wieder reingeholt werden.
Wie Elektromotoren die Bremsen aufwärmen
Die elektrische Bremskraftverteilung muss auf den Energietransfer sofort reagieren. Wenn die MGU-K in den Bremszonen die Batterie lädt, werden die Hinterradbremsen entlastet, weil der Motor zum Bremsmoment beiträgt. Das wäre noch einfach. Doch auch da gibt es Tricks. Die Entscheidung darüber, welche der beiden Elektromaschinen die Batterien lädt, wird als Hilfsmittel genommen, die Hinterreifen aufzuwärmen oder abzukühlen.
Force India-Technikchef Andy Green erklärt: "Lädt die MGU-K, bleiben die hinteren Bremsen kalt, weil das Schleppmoment des Motors den Generator versorgt und dabei so stark verzögert, dass die Bremsen weniger Arbeit haben. Das kühlt die Hinterreifen ab. Sollen die Reifen schnell auf Temperatur kommen, speisen wir über die MGU-H Energie in die Batterie ein. Sie wird vom Turbolader angetrieben und hat keinerlei Einfluss auf das Bremsmoment. Die Hinterradbremsen müssen ihre ganz normale Arbeit verrichten, werden dabei heiß, was sich über die Felgen auf die Reifen überträgt."
Alle Hersteller verstärken MGU-K Antrieb
Die Komplexität der Technik lässt erahnen, warum es für Renault und Ferrari so schwer ist, den Rückstand auf Mercedes aufzuholen. Hat man an einer Ecke ein Problem, kann schnell ein Flächenbrand entstehen. Wird zum Beispiel die MGU-H zu heiß, wenn sie zu oft Leistung direkt in die MGU-K abgibt, muss die Software diesen Prozess stoppen und ein Notprogramm abrufen, solange bis die Temperaturen wieder im grünen Bereich sind.
Dann kommt aber der gesamte Ladeprozess durcheinander. Der Fahrer kann nicht immer die volle Power abrufen. Sebastian Vettel kann das Kommando "State of Charge" schon nicht mehr hören. Es sagt ihm, wie viel zum optimalen Energieinhalt der Batterie noch fehlt.
Inzwischen haben alle drei Hersteller den Antrieb der MGU-K verstärkt. In der Testphase kapitulierte er hin und wieder. Hauptsächlich bei Renault. Ferrari hat aus Angst vor Schäden einfach die Leistung zurückgeschraubt. So kann es durchaus sein, dass eine verstärkte Welle im Fall von Renault und Ferrari mehr Leistung bringt. Weil man sich näher ans Limit trauen kann.