Vom Streitfall zum Lebensretter

Durch den Unfall von Lewis Hamilton beim GP Italien ist der Halo wieder in die Schlagzeilen gekommen. Wir blicken noch einmal zurück auf die Entwicklung des Schutzbügels...
Lewis Hamilton war in Monza der jüngste Profiteur des Cockpitschutzes Halo. Das Titangestell, das mittlerweile in diversen Formel-Serien zum Einsatz kommt, bewahrte schon viele Piloten vor größerem Unheil. Bis zur Einführung im Jahr 2018 war es jedoch ein langer Kampf.
Nicht einmal fünf Jahre ist es her, dass sich die Formel-1-Szene intensiv über die Einführung des Kopfschutzes Halo stritt. Kritiker sahen nicht weniger als den Charakter der Serie selbst gefährdet und schrieben dem Bügel mehr Nach- als Vorteile zu. Unter anderem wurde ein erschwertes Aussteigen als gravierendes Sicherheitsrisiko angeführt.
Gegen den Widerstand der Teams (9 von 10) setzte die FIA 2017 das Konzept auf Basis eines Entwurfs von Mercedes schließlich durch. Die Sicherheitsbehörde vertraute lieber auf Expertenstudien und machte sich den Passus einer sicherheitsrelevanten Änderung zunutze, bei der die Zustimmung der Teams nicht notwendig ist.
System hat sich bewährt
Mittlerweile ist der Schutzbügel nicht mehr aus der Formel 1 wegzudenken. Bereits in mehreren Fällen zeigten TV-Aufnahmen und Fotos, wie der Halo Fahrzeuge, Teile oder gar Leitplankenschienen vom Kopf der Piloten weghielt. Als erster großer Erfolg gilt das Abprallen von Fernando Alonsos McLaren am Sauber von Charles Leclerc beim Großen Preis von Belgien im Jahr 2018.
Angesichts der Reifenabdrücke auf dem "Heiligenschein" von Leclerc erklärte damals selbst der Kritiker Nico Hülkenberg: "Ich bin kein Fan vom Halo, aber man muss auch die Fakten sehen. Wir können nur spekulieren, was passiert wäre, können aber alle sehen, wo die Reifenspuren am Halo waren. Wenn er ein Leben rettet, müssen wir ihn akzeptieren.”
Letzte Saison spielte der Halo beim brachialen Feuer-Unfall von Romain Grosjean ebenfalls eine wichtige Rolle. Obwohl die FIA-Analyse nicht speziell darauf einging, priesen ihn Fahrer und Teamchefs als Lebensretter beim Durchbruch durch die Leitplanken. Trotz der verbogenen Schiene und der schiefen Lage des Haas konnte der Franzose glücklicherweise schnell dem Flammeninferno entkommen. Die Sorge eines stark verzögerten Aussteigens wurde bereits vorher nach Überschlägen entkräftet.
Die Kollision von Lewis Hamilton und Max Verstappen in Monza bestätigte nun, dass auch Einschläge von oben gut genug vom Halo abgefedert werden können. Lewis Hamilton beklagte zwar einige Nackenprobleme, nachdem er vom Hinterreifen des Red Bulls touchiert wurde, äußerte sich aber insgesamt dankbar. Im Jahr 2015 verstarb der IndyCar-Pilot Justin Wilson, nachdem er in einem vergleichbar unglücklichen Winkel von einem Trümmerteil getroffen wurde.
Viel Forschungsarbeit nötig
Die intensive Arbeit an einem Schutzsystem begann schon vor über einem Jahrzehnt. Anlass war unter anderem der fürchterliche Unfall von Henry Surtees im Jahr 2009: Der Sohn des Formel-1-Weltmeisters John Surtees wurde bei einem Rennen der alten Formel 2 in Brands Hatch von einem fast 30 Kilogramm schweren Rad am Kopf erwischt und zog sich dabei tödliche Verletzungen zu.
Die tragischen Unfälle von Jules Bianchi in Suzuka und Justin Wilson unterstrichen die Notwendigkeit. Neben der Erprobung verschiedener Halo-Konfigurationen – erste Tests fanden im Jahr 2016 statt – wurden auch andere Konzepte mit Scheiben geprüft. Dazu gehörte der erste "Aeroscreen" von Red Bull, der in Sotschi im Jahr 2016 gezeigt wurde.
Die breite Windschutzscheibe und ein ähnliches Konzept von Ferrari namens "Shield" litten allerdings unter verschiedenen Sichtproblemen. Sebastian Vettel kritisierte damals: "Mir ist etwas schwindlig geworden. Die Sicht nach vorne ist nicht sehr gut. Das liegt wohl an der Krümmung. Es verzerrt alles ein bisschen. Es war, als würde man schielend durch die Gegend fahren."
Schlussendlich entschieden sich die FIA und der damalige Formel-1-Rennleiter Charlie Whiting für ein einheitliches Halo-System aus Titan. Das Know-how und die Produktionskapazitäten stammen unter anderem vom deutschen Spezialisten CP Tech mit Sitz in Büren, der für den Halo ein Gewicht von sieben Kilogramm angibt.
Der an drei Stellen auf dem Chassis aufgesetzte Bügel hält einer physikalischen Kraft von 125 Kilonewton stand, was vereinfacht übersetzt einem Gewicht von zwölf Tonnen entspricht – also zwei Afrikanischen Elefanten oder einem Londoner Doppeldeckerbus. Einen vollgepackten Koffer mit einer Geschwindigkeit von 225 km/h kann er so ohne Probleme ableiten.
Vorbild Formel 1
Nach dem erfolgreichen Debüt in der Königsklasse trat der Halo seinen Siegeszug im Formelsport an. Unter anderem setzten die Formel E, die Formel 2 und die japanische Super Formula früh auf den Bügel. Auch in kleineren Formel-Klassen kommt der Halo immer häufiger zum Einsatz und wird spätestens mit der Einführung neuer Autos zum Standard. Hier wird anstatt von Titan allerdings günstigerer Stahl genutzt. Eine Sonderlösung hat die IndyCar-Serie auf der Basis des Aeroscreen von Red Bull entwickelt, die Halo und Windschutzscheibe kombiniert.
Die seit dem letzten Jahr im Renneinsatz befindliche Konstruktion soll dabei helfen, auch kleinere Trümmerteile von den Fahrern wegzuhalten. Wegen der Rennen auf engen Ovalen ist das Risiko in der IndyCar traditionell höher. Das zusammen mit Red Bull Advanced Technologies (RBAT) und Chassis-Bauer Dallara angepasste Konzept brachte allerdings anfangs größere Kühlungsprobleme für die Piloten mit sich, welche durch neue Belüftungskanäle weitgehend gelöst wurden. Dank des Aeroscreen konnte die US-Meisterschaft zuletzt viele neue Fahrer begrüßen, denen das Risiko früher noch zu groß erschien. Somit wuchs nicht nur die Sicherheit, sondern auch das Feld.
In der Galerie zeigen wir noch einmal, wie der Halo Leben rettet.