Software definiert die Zukunft der Mobilität
BMW-Entwicklungsvorstand Joachim Post: „Die Märkte der Welt driften auseinander.“
Die großen Player sind sich einig: In einem aktuell herausfordernden Umfeld innovative Impulse zu setzen, muss das oberste Ziel der Branche bleiben.
Timing ist nicht alles. Aber es hilft, wenn man – wie Joachim Post von BMW als im Sommer neu berufenes Vorstandsmitglied für Entwicklung – gleich den Start einer komplett neuen Fahrzeuggeneration (Neue Klasse) begleiten kann. In seinem Vortrag stellte Post etwa den um 20 Prozent verringerten Energieverbrauch oder den um 35 Prozent verkleinerten CO₂‑Fußabdruck in der Lieferkette beim neuen iX3 heraus. Gleichzeitig sei das Modell das erste Software Defined Vehicle von BMW mit vier "Superbrains" genannten Zentralrechnern an Bord. Die Neue Klasse stehe sowohl für das Bekenntnis zu den Klimazielen von Paris als auch für die Flexibilität seines Hauses, weiterhin alle Antriebskonzepte anbieten zu können. Die Neubewertung der EU-Regularien sei daher als Chance zu sehen. "Wir machen BMW nachhaltig", so Post.
Frank-Steffen Walliser als CEO von Bentley steht ebenfalls zu dieser Ausrichtung: "Das Ziel der CO₂-Reduktion ist richtig und wird nicht infrage gestellt." Auch von einer Luxusmarke mit langer Tradition werde ganz selbstverständlich erwartet, dass man sich dort des Themas Nachhaltigkeit annimmt. Die Verzögerungen beim Anlauf und der Marktdurchdringung von Elektromodellen seien auch Problemen mit der Software zuzuschreiben – einem Bereich, der immer mehr an Bedeutung gewinnt, was auch die Zulieferer in ihrer Ausrichtung gegenüber den OEMs berücksichtigen.
Bosch-CEO Stefan Hartung begann seine Keynote aus aktuellem Anlass mit Bemerkungen über die Umstrukturierungen in seinem Haus: "Wir müssen derzeit Entscheidungen treffen, die nicht allen gefallen." Es gehe darum, das Unternehmen zukunftsfähig aufzustellen. Die Art und Weise, wie Software derzeit die Automobilindustrie revolutioniert, sei einmalig: "Das Auto von 2035 wird mit den Modellen der letzten Jahre ungefähr so viel zu tun haben wie der Computer mit der mechanischen Schreibmaschine."
Nach Hartungs Prognose werden Autos intelligenter, vernetzter und leistungsfähiger, der eigentliche Fortschritt komme hierbei von der Software. Was sich auch auf Zulieferer auswirke: Früher hätten sie Hardware wie ESP-Steuergeräte zusammen mit passender Software an die Autobauer verkauft. Heute liefere Bosch wahlweise auch nur Hard- oder nur Software zum Einsatz in Umgebungen anderer Anbieter. China sei bereits heute der Leitmarkt für software-getriebene Mobilität und eine starke Position dort quasi unabdingbar, um weltweit wettbewerbsfähige Lösungen anbieten zu können.
Als wettbewerbsfähige Lösungen definiert Stefan Bruhnke, Executive Vice President bei AVL, in seinem Vortrag Ansätze, die über das Thema Zero Emission hinausgehen: "Es geht auch um Zero Cost und Zero Entwicklungszeit." Mit digitalen Zwillingen und KI-Simulationen sollen Entwicklungszeiten und -kosten deutlich reduziert werden, ohne die Markenidentität der Hersteller zu gefährden. KI-gestützte Tools von AVL optimieren laut Bruhnke frühzeitig komplexe Fahrzeug-Attribute. Das Ergebnis: eine Zeitersparnis von bis zu drei Monaten in der Entwicklung sowie 90 Prozent in der Planungs- und Testphase. AVL setze dabei auf Technologie-Offenheit.
Globale Einordnung
Die Herausforderungen der europäischen Autoindustrie stehen auch im Fokus einer aktuellen McKinsey-Studie, über die Senior Partner Harald Deubener berichtete. Zunächst unterstrich Deubener die Bedeutung der Autoindustrie für den Wohlstand Europas: Sie generiere sieben Prozent der Wirtschaftsleistung in der EU und stelle 14 Millionen Arbeitsplätze. Jeder Euro, der in der Autoindustrie investiert wird, habe einen Multiplikatoreffekt von 2,6 auf die weitere Wirtschaftsleistung in anderen Bereichen. Damit sei die Autoindustrie ein Motor unseres Wohlstandes.
Mit Blick auf die sich verändernden Marktanteile sieht Deubener diesen Wohlstand jedoch gefährdet: Chinesische Hersteller erreichten innerhalb weniger Jahre einen globalen Marktanteil von 24 Prozent, genauso viel wie die europäischen Autobauer, die 2019 noch über 30 Prozent lagen. Wie sich die einheimischen Hersteller gegen die Konkurrenz – vor allem aus China – behaupten können, erläutert Deubener im ausführlichen Interview ab Seite 122, das wir im Rahmen des Kongresses geführt haben.
