Warum Messtafeln keine Bußgelder auslösen

Warum Temposünder oft ungestraft davonkommen, obwohl die Messung eindeutig ist, und was das für die Verkehrssicherheit bedeutet.
Ein Auto fährt 252 km/h in der 50er-Zone und es gibt keine Strafe? Was erst einmal absurd klingt, ist aber tatsächlich so auf Sylt passiert. Im Juli wurde auf dem sogenannten Bahnweg ein Fahrzeug mit exakt dieser Geschwindigkeit erfasst. Doch statt Fahrverbot, Bußgeld und Punkten im Fahreignungsregister passierte – nichts. Der Grund liegt in einem technischen Detail, das in Deutschland tausendfach verbaut ist: der Messtafel.
Messtafeln ohne Beweiskraft
Die Gemeinde Sylt setzt wie viele andere Kommunen auf sogenannte Dialog-Displays – elektronische Tafeln, die die aktuelle Geschwindigkeit anzeigen. Ziel ist es, Verkehrsteilnehmer zur Mäßigung zu animieren. Doch obwohl die Tafeln geeicht und technisch in der Lage sind, extrem hohe Werte zu speichern, fehlt ihnen eine entscheidende Funktion: Sie machen keine Fotos. Das bedeutet im Klartext: Weder das Fahrzeug noch der Fahrer sind nach der Messung identifizierbar.
Rein rechtlich ist das ein Problem. Denn um ein Bußgeldverfahren einzuleiten, braucht es nicht nur den Messwert, sondern auch einen eindeutigen Nachweis, wer gefahren ist. Ohne Bild – kein Verfahren. Selbst wenn die Zahl absurd hoch ist. Bei Tempo 252 innerorts würden laut Bußgeldkatalog im Regelfall 800 Euro, zwei Punkte und drei Monate Fahrverbot fällig. Bei vorsätzlichem Handeln könnten es sogar 1.600 Euro sein. Doch all das greift nicht, wenn der Täter nicht eindeutig ermittelt werden kann.
Gesetzeslücke mit System: Warum die Politik gefragt ist
Der Fall von Sylt könnte kein Einzelfall sein. Immer wieder berichten Kommunen von Geschwindigkeitsanzeigen, die extreme Werte dokumentieren – ohne dass daraus rechtliche Konsequenzen folgen. Ob es sich dabei um Einzelfälle oder ein systematisches Problem handelt, ist statistisch bislang kaum erfasst. In sozialen Netzwerken ist jedoch zu beobachten, dass solche Anlagen in manchen Kreisen als "Highscore-Anzeige" verstanden werden. Verkehrspsychologen weisen darauf hin, dass Displays mit Rückmeldung – etwa einem Smiley oder einer Zahl – von bestimmten Fahrertypen als Herausforderung missverstanden werden könnten.
Auch die juristische Bewertung solcher Messungen ist derzeit in Bewegung. Ein Verfahren beim Bundesgerichtshof soll klären, ob Messergebnisse ohne gespeicherte Rohdaten in Bußgeldverfahren überhaupt verwertbar sind. Bislang fehlt es an einer einheitlichen Linie. Einige Experten fordern: Wenn Messdaten nicht nachprüfbar dokumentiert sind, dürften sie im Sinne eines fairen Verfahrens auch nicht zu Sanktionen führen.
Für die Politik ergibt sich daraus zumindest ein möglicher Handlungsbedarf. Technisch wäre es denkbar, bestehende Systeme um Identifikationsfunktionen zu ergänzen oder durch vollwertige Messanlagen zu ersetzen. Ob es dafür politischen Willen und finanzielle Mittel gibt, ist offen. Klar ist jedoch: Solange Fahrzeuge mit dreistelligem Tempo innerorts registriert, aber nicht verfolgt werden, stellt sich für viele Verkehrsteilnehmer die Frage nach der Glaubwürdigkeit solcher Systeme.