Verbrauchsmessgeräte werden Pflicht
Ab 2021 müssen die Hersteller die realen Verbräuche ihrer Autos an die EU-Kommission melden. Wir verraten die Gründe, erklären die Technik und lassen die Kritiker zu Wort kommen.
Die aktuelle Lethargie ist schon erstaunlich: Da führt die EU etwas ein, das Autos beziehungsweise deren Hersteller und/oder Fahrer überwacht, und es gibt so gut wie keine Reaktion. Weder große Jubelarien noch übermäßige Empörung wurde(n) vernommen, seit bekannt wurde: Die EU wird fortan den realen Verbrauch von Autos für den gesamten Fahrbetrieb überwachen. Pkw und leichte Nutzfahrzeuge messen fortan ihren Kraftstoff- beziehungsweise Energieverbrauch und deren Hersteller müssen dafür sorgen, dass die dabei erhobenen Daten an die EU-Kommission übermittelt werden.
Probephase von 2021 bis 2026
Erste Pläne dafür wurden im Herbst 2017 bekannt und danach von den Mitgliedsstaaten und den EU-Gremien mehr oder weniger durchgewunken. Die Regelung startet bereits im Januar 2020 (für neue Typzulassungen) beziehungsweise ein Jahr später für alle Neuwagen und ist bis 2026 als Erprobungsphase angelegt. In diesem Zeitraum soll jährlich ein Bericht mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen und den Tendenzen in Sachen Real- vs. Normverbrauch veröffentlicht werden. Spätestens 2030 muss die EU-Kommission dann ein konkretes Gesetz formulieren, um die Diskrepanz zu minimieren und Hersteller zu sanktionieren, falls die Lücke bei ihnen noch immer zu groß ist.
Genau diese Diskrepanz zwischen den Verbrauchsangaben nach Norm und in der Realität ist weiterhin eklatant. Der neuesten Auswertung der Umweltorganisation „International Council on clean Trasportation“ (ICCT) zufolge ist der Realverbrauch um durchschnittlich 39 Prozent höher als die Werksangabe. Das entspricht zwar einem leichten Rückgang (im Vorjahr lag der Unterschied noch bei 42 Prozent), ist aber dennoch der zweithöchste Wert seit Beginn der Datenauswertung im Jahr 2001.
Verbrauchsmessgerät aka „On-Board Fuel Consumption Meter“
Deshalb will sich die Politik nicht allein auf einen positiven Effekt des neuen Testzyklus' WLTP verlassen. Dieser gilt zwar als etwas realitätsnäher als das Vorgänger-Prozedere NEFZ, wird aber noch immer auf dem Prüfstand ermittelt – mit allen positiven und negativen Begleiterscheinungen. Deshalb die neue Vorgabe der EU-Regelhüter, die Teil des WLTP-Testverfahrens ist.
Technisch funktioniert das über ein standardisiertes Verbrauchsmessgerät, dass offiziell „On-Board Fuel Consumption Meter“ (OBFCM) heißt. Dabei handelt es sich um eine Software, die bei reinen Verbrennern den Kraftstoff- und bei Elektroautos den Energieverbrauch sowie bei Hybriden beides erfasst. Bei Plugin-Hybriden wird zudem darauf geachtet, wie oft elektrisch und wie oft mit Unterstützung des Verbrennungsmotors gefahren wird. Zu den Stichtagen 1. Januar 2020 bzw. 2021 muss die OBFCM-Software in den entsprechenden Autos aktiv sein, ab 2021 beginnt die Ermittlung an die EU.
Die Autohersteller sind vorbereitet
Viele Autos verfügen heute bereits über die Technik, allerdings werden die entsprechenden Daten bislang nur von den Herstellern verwendet. Dem „Spiegel“ zufolge sind die Autobauer deshalb auch auf die Neuerung vorbereitet. Daimler etwa habe bereits Modelle mit OBFCM im Programm und unterstütze die neue Regelung. BMW treffe entsprechende Vorbereitungen, und auch VW beschäftigt sich bereits mit dem Thema.
Bekannt ist, dass die Daten anonymisiert werden sollen. Fraglich ist dagegen, wie genau sie aus dem OBFCM an die europäischen Behörden übermittelt werden sollen. Das exakte Vorgehen wurde von der EU-Kommission noch nicht festgelegt. Das ICCT sieht vier verschiedene Möglichkeiten und schätzt diese folgendermaßen ein:
- Die Daten werden bei den Hauptuntersuchungen über die Diagnose-Schnittstelle ausgelesen und dann von der Prüforganisation an die EU übermittelt. Nachteil dieser Methode: Die Realverbräuche würden durch die langen HU-Zyklen nur sehr verzögert zu den Behörden gelangen. In manchen Staaten müssen Autos erst nach vier Jahren erstmals zur technischen Überprüfung.
- Bei Verkehrskontrollen würden Stichproben durchgeführt. Hier dürften sich die sowieso schon überlasteten Polizeibehörden sträuben. Das ICCT hält die Daten außerdem für nicht repräsentativ.
- Gleiches gilt für den Vorschlag, die Realverbräuche in zentral verwalteten Autoflotten zu erfassen, beispielsweise bei denen von Autovermietungen.
- Die Daten werden automatisiert, drahtlos und unmittelbar vom Auto an die EU-Kommission übermittelt. „Bei dieser Methode liegt die Verantwortung beim Hersteller und das Fehlerrisiko durch die direkte Datenübertragung an die Kommission wäre minimiert“, sagt Peter Mock, der als Managing Director für die ICCT in Europa zuständig ist und demnach diese Technik favorisiert.
Unklar ist auch, welche Daten die EU-Kommission genau veröffentlichen wird. Das ICCT hält es für sinnvoll, sie auf einzelne Fahrzeugmodelle herunterzubrechen, damit Kunden diese direkt miteinander vergleichen können. Denkbar ist aber auch, dass die EU-Kommission nur einen allgemeinen Durchschnittswert der Diskrepanz zwischen Real- und Normverbrauch in ihren Berichten veröffentlicht.
Potenzial der Fahrer-Überwachung
Offiziell richtet sich die neue Regelung gegen die Hersteller, die damit zu mehr Transparenz und in letzter Konsequenz dazu verpflichtet werden sollen, die Kluft zwischen offiziellem WLTP- und Realverbrauch zu schließen. Diese ist bei Plugin-Hybriden bekanntlich besonders groß, weil die Teilzeit-Elektriker einerseits beim Testzyklus bevorteilt werden (zum Beispiel, weil sie ihn mit vollständig geladener Batterie absolvieren dürfen). Aber auch, weil sie im Alltag aus Bequemlichkeit der Fahrer kaum geladen nachgeladen und lieber mit Kraftstoff gefahren werden.
In Zukunft ist natürlich denkbar, dass über das OBFCM-System auch die Emissionen des Straßenverkehrs oder jene bestimmter Autos kontrolliert werden. Dabei kann es um Kohlendioxid (CO2) gehen, aber auch Stickoxide (NOx) oder Rußpartikel. Und natürlich könnten die Autofahrer irgendwann selbst auf dem Prüfstand stehen. Theoretisch könnte die Datenauswertung zu einer individuellen CO2-Steuer führen nach dem Motto: Wer viel verbraucht, zahlt hohe Steuern, und wer kaum CO2 verursacht, entsprechend weniger. Oder Plugin-Hybridfahrer, die kaum elektrisch unterwegs sind, müssen finanziell dafür büßen.
Kritik von Verbraucherschützern und Umweltverbänden
Genau dieses Potenzial ruft Kritiker auf den Plan. Um die totale individuelle Überwachung von Autofahrern seitens der Behörden zu verhindern, fordern Verbraucherschützer hinsichtlich der Datenspeicherung und deren Verwertung größtmöglichen Schutz. „Dazu ist nach unserer Ansicht ganz klar eine Anonymisierung der Daten erforderlich, damit sie nicht bestimmten Fahrerinnen oder Fahrern zugeordnet werden können“, sagt ein Sprecher des ADAC. Das gelte schon seit Jahren für alle im Auto entstehenden Daten, für die der Automobilclub „einen zeitgemäßen Schutz, Transparenz gegenüber den Verbrauchern und grundsätzliche Datensparsamkeit“ anmahnt.
Aber auch Umweltverbände üben Kritik. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) beispielsweise hält die beschlossene Praxis für unzureichend, weil die Daten vorerst nur zu Monitoring-Zwecken erhoben werden und bislang offen ist, wer Zugang zu diesen erhält und welche Konsequenzen bei festgestellten Verstößen erfolgen. Sie fordert weiterhin Messungen des realen Spritverbrauchs im Rahmen der Typzulassung sowie amtliche Nachmessungen. Zudem setzt sich die DUH dafür ein, dass Fahrzeughalter Zugang zu den Daten erhalten, um bei einem überhöhten Mehrverbrauch ihre Rechte gegenüber den Herstellern durchsetzen zu können.