Unser erster Testbericht
In der Reihe "75 Jahre AMS" präsentieren wir unseren ersten Testbericht von Verlagsgründer Paul Pietsch aus dem Jahr 1949.
Veritas, noch vor drei Jahren vollständig unbekannt, ist heute auf allen Automobilrennen Deutschlands und auf vielen Strecken des Auslandes ein Begriff geworden. Schon bald nach Kriegs-ende schloss sich ein kleiner Kreis unternehmender Leute aus dem Vorkriegs-Sportwagenbau unter der Firmierung "Veritas-GmbH" zusammen und baute erst in Hausen und dann in Messkirch auf der Grundlage der BMW-Wagen Renn- und Sportfahrzeuge, die in der Zwischenzeit auf zahlreichen Rennen im ln- und Ausland zu beachtlichen Siegen und Erfolgen kamen.
In jüngster Zeit wurde daneben ein Straßenfahrzeug mit Coupéaufbau entwickelt, welches mir jetzt für kurze Zeit zwecks Prüfung zur Verfügung stand. Dieser Wagen ist für den Kenner und den etwas sportlich eingestellten Fahrer, der ein schnelles, schnittiges und trotzdem bequemes und betriebssicheres Fahrzeug schätzt, wie geschaffen. Der Rahmen aus Stahlrohr ist der gleiche, wie er an dem bekannten Veritas-Sportwagen Verwendung findet. Lediglich der Rohraufbau ist der coupébedingten Form angepasst. Die Vorderachse ist als Schwingachse, die Hinterachse starr gehalten. Die Bremsen wirken auf Leichtmetall-Bremstrommeln hydraulisch.
Drei Motoren von BMW
Je nach Wunsch können drei verschiedene Motoren eingebaut werden. Einmal der normale BMW-Sechszylinder mit 55 PS vom Typ 326, dann der gleiche Motor mit Leichtmetall-Zylinderkopf, größeren Ventilquerschnitten, poliert und mit zwei auf je drei Zylindern arbeitenden Vergasern. Die Leistung steigt dadurch auf etwa 60 bis 65 PS. Der dritte zur Verfügung stehende Motor ist die bekannte Dreivergaser-Maschine mit 80 PS aus dem BMW-Sportwagen.
Ich ( Paul Pietsch; Anmerkung der Redaktion) fuhr zum ersten Male den Veritas und war nach ein bis zwei Kilometern bereits vollständig mit ihm vertraut, vor allem aufgrund der ganz ausgezeichneten Straßenlage und der hervorragenden Bremsen. Man kann den Wagen kaum zum "Wischen" bringen. Er liegt buchstäblich wie ein Brett auf der Straße, ohne jedoch hart in der Federung zu sein. Auch bei schnellster Fahrt über schlechte Straßen liegt das Fahrzeug ruhig und sicher ohne Schwingungen und ohne harte Stöße.
Aufgrund des reichlichen Nachlaufes der Vorderräder und der fast direkt übersetzten Lenkung zieht man eine absolut sichere Spur, die sich allerdings bei Kurvenfahrt in der etwas schwerer gehenden Lenkung bemerkbar macht. Genauso überragend wie die Straßenlage sind die Bremsen, die selbst bei schärfster Beanspruchung vollständig gleichmäßig ziehen. Bei Bremsversuchen brachte ich den Wagen bei einer schnurgeraden Bremsspur, wie aus der Abbildung zu ersehen ist, aus 100 Kilometern pro Stunde auf 62 und aus 60 km/h auf 20 Metern Strecke zum Stillstand.
Die Leistungen, die man mit diesem Fahrgestell und dem normalen 55-PS-Motor erreicht, sind erstaunlich. Die Beschleunigung ist sehr gut und die Bergfreudigkeit groß. Der noch nicht ganz eingefahrene Motor erzielte bei etwa 3.700/min über den fliegenden Kilometer in beiden Richtungen eine mittlere Durchschnittsgeschwindigkeit von 132 km/h. Das entspricht bei einer Tourenzahl von 4.200, mit welcher dieser Motor ohne Gefahr gedreht werden kann, 149 km/h. Der Durchschnitt beim stehenden Kilometer betrug 82 km/h.
Überraschender noch war die Leistung des gleichen Motors mit einem Leichtmetall-Zylinderkopf, auch nur mit einem Vergaser. Diese Maschine ist wesentlich lebhafter, im Beschleunigen rasanter und bewältigt Steigungen, die beispielsweise mit einem gut gehenden Volkswagen nur im zweiten Gang gefahren werden können, in beachtlichem Tempo im vierten Gang. Der fliegende Kilometer wurde mit diesem Motor bei großer Hitze, welche die für diese Versuche nicht geeigneten niederen Kerzen zum Glühen brachte, trotzdem mit etwa 150 km/h gefahren, sodass man unter normalen Umständen 155 km/h erreichen wird. Dabei war der Motor keineswegs neu, sondern bereits über 18 000 Kilometer, zum Teil auf Versuchsstrecken, gefahren worden.
Ein Fahrzeug mit der 80-PS-Maschine stand leider nicht zur Verfügung, doch liegen dort die einzelnen Leistungswerte naturgemäß höher, sodass die von Veritas angegebene Höchstgeschwindigkeit von 180 km/h zweifellos erreicht werden kann. Allerdings dürfte diese Maschine nicht mehr die Unempfindlichkeit der beiden anderen besitzen.
Schnittiges aus Ravensburg
Der Brennstoffverbrauch – es wurde mit normalem Tankstellenbenzin gefahren – beträgt etwa 12 l/100 km bei mittlerer Geschwindigkeit, steigt aber selbstverständlich bei Parforcefahrten. Der gefällige und schnittige Aufbau wird vom Karosseriewerk Spohn in Ravensburg hergestellt, einer Firma, die wegen ihrer hervorragenden Aufbauten der Maybach-Wagen vor dem Kriege bekannt war. In der heutigen Ausführung ist bequem Platz für zwei Personen, während für später eine Verbreiterung vorgesehen ist, die auf einer Sitzbank drei Personen nebeneinander Platz bietet. Im hinteren Kofferraum kann einiges Gepäck untergebracht werden, wobei der Platz für größere Reisen nicht ganz ausreichen dürfte.
Für passionierte Fahrer
Bei dem zur Verfügung gestellten Wagen, der mich sonst so sehr begeisterte, ließen die Kühlung und die Entlüftung zu wünschen übrig. Die Kühlwassermenge ist mit 8 bis 10 Litern zu knapp bemessen, sodass bei der während der Probefahrt herrschenden Hitze die Betriebstemperaturen zu hoch lagen. Ein Mangel, der durch den Einbau eines größeren Kühlers mit einer Wassermenge von mindestens 15 Litern, möglichst direkt hinter dem vorderen Lufteintritt liegend, behoben werden kann. Eine von Hand zu betätigende Kühlerjalousie lässt bei jeder Witterung die richtige Betriebstemperatur erzielen. Die Belüftung des Innenraumes ist bei den jetzt gebauten Fahrzeugen bereits geändert.
Alles in allem ist hier ein Fahrzeug entstanden, das ganz auf den passionierten Autofahrer zugeschnitten ist, der Freude an einem nicht alltäglichen Spezialfahrzeug hat. In Messkirch wird unentwegt weitergearbeitet. Neues ist im Entstehen: In diesem Jahr soll noch ein neuer Monoposto-Rennwagen der internationalen Formel 2 ins Rennen gehen, der vielleicht die Möglichkeit gibt, nach unserer Wiederzulassung zum internationalen Rennsport ein wirklich konkurrenzfähiges deutsches Fahrzeug ins Treffen zu führen.
Renn- und Sportwagenbau sind kostspielige Angelegenheiten. Nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland haben derartige Unternehmen mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Bei Veritas sucht man den Ausgleich durch den Bau und Verkauf des hier beschriebenen Gebrauchswagens mit sportlicher Note. Das Interesse dafür ist im In- und Ausland sehr groß. Etwa 600 feste Auslandsaufträge liegen, wie Direktor Dietrich versicherte, vor.
Zur Ausführung dieser Aufträge müsste die Serienfertigung aufgenommen werden. Die hierzu nötigen Einrichtungen und das Anlaufen der Serienfabrikation verlangen die Inves- tierung von sechsstelligen Summen. Kredite sind kaum zu bekommen, und doch müsste alles getan werden, um einmal die beim Verkauf dieser Spezialfahrzeuge anfallenden beträchtlichen Devisenbeträge für unsere Wirtschaft sicherzustellen, zum anderen um ein Unternehmen und eine Produktion zu fördern, die unserem Namen im Ausland und dem deutschen Rennsport nur nützen könnten.