Radnabenantrieb neu gedacht
Radnabenmotoren galten lange als zu schwer und ineffizient – bis jetzt. Das Münchner Start-up DeepDrive bringt mit einer innovativen Doppelrotor-Technik neuen Schwung in den E‑Antrieb. Im Tesla-Test zeigt sich: Diese Lösung hat echtes Potenzial.
Konventionelle E‑Autos setzen auf zentrale Antriebe mit komplexer Kraftübertragung über Wellen, Getriebe und Differenziale. DeepDrive bricht mit diesem Prinzip. Der Münchner Entwickler platziert den Elektromotor direkt ins Rad – und spart so mechanische Komponenten, Bauraum und Gewicht. Die Besonderheit: Der Radnabenmotor nutzt eine sogenannte Doppelrotor-Radialfluss-Konstruktion, die den Magnetfluss von zwei Seiten auf einen zentralen Stator lenkt.
Diese Bauweise erlaubt es, mit deutlich weniger Material auszukommen. Laut DeepDrive werden 80 Prozent weniger Eisen und 50 Prozent weniger Magnetmaterial benötigt als bei herkömmlichen E‑Motoren. Das reduziert nicht nur die Kosten, sondern macht den Antrieb auch leichter und effizienter.
Tesla im Techniktest: Wie fährt sich der In‑Wheel-Antrieb?
Im Fahrversuch mit einem modifizierten Tesla Model 3 zeigt sich, wie die Theorie auf der Straße funktioniert. Die serienmäßigen Motoren blieben an der Vorderachse, hinten kamen zwei Radnabenmotoren von DeepDrive zum Einsatz. Jede Radnabe enthält dabei ihren eigenen Elektromotor – völlig unabhängig voneinander steuerbar.
Das Resultat ist verblüffend. Beim Anfahren bewegt sich der Wagen fast lautlos, ohne das übliche "Zucken", das man bei manchen E‑Autos kennt. Besonders bei niedrigen Geschwindigkeiten wirkt der Antrieb geschmeidig, fast schwebend. Bei schnellen Richtungswechseln – etwa im Slalom – spielt das System seine Stärke aus: Torque-Vectoring, also die aktive Drehmomentverteilung zwischen den Rädern, sorgt für spürbar mehr Präzision und Stabilität.
Selbst beim Driften bleibt das Auto beherrschbar. Die getrennte Regelung der beiden Motoren ermöglicht neue Formen der Fahrdynamik, die mit einem zentralen Antrieb nur schwer erreichbar wären.
Technik mit Potenzial – aber nicht ohne Hürden
Die Vorteile sind klar: Weniger Bauteile bedeuten weniger Reibungsverluste, geringeren Wartungsaufwand und eine bessere Energieeffizienz. DeepDrive spricht von bis zu 20 Prozent Reichweitengewinn, vor allem im urbanen Stop-and-Go-Verkehr. Auch der modulare Aufbau spricht für sich: In-Wheel-Motoren könnten künftig in Allrad- oder Hybridanwendungen flexibel kombiniert werden.
Doch es gibt auch Herausforderungen. Die Motoren gehören zur sogenannten ungefederten Masse – also jenen Bauteilen, die direkt mit dem Rad verbunden sind. Ist diese Masse zu groß, leidet der Fahrkomfort, vor allem auf unebenen Straßen. Im Test war dieser Effekt zwar gering, doch in der Serienfertigung dürften Gewichtsverteilung und Dämpfung knifflig werden.
Hinzu kommen Fragen der Kühlung, Abdichtung und Langzeitzuverlässigkeit. Radnabenmotoren sind direkter Witterung, Schmutz und mechanischer Beanspruchung ausgesetzt. Das erfordert robuste Konstruktionen und smarte Lösungen – etwa für die thermische Stabilisierung.
Ein Blick in die Zukunft: Range Extender & modulare Konzepte
DeepDrive denkt über den reinen Radnabenantrieb hinaus. Die gleiche Doppelrotor-Technik soll künftig auch in Range Extendern zum Einsatz kommen – also in Generatoren, die während der Fahrt Strom erzeugen, ohne die Räder direkt anzutreiben. Dieses Baukastenprinzip verspricht hohe Flexibilität für Autohersteller.
Tatsächlich laufen bereits Kooperationen, unter anderem mit der BMW Startup Garage. Die Marktreife ist für 2026/27 angestrebt – abhängig von Fertigungspartnern und regulatorischen Freigaben. Wenn DeepDrive seine Versprechen halten kann, könnte der Radnabenmotor in einer zweiten Generation der E‑Mobilität eine entscheidende Rolle spielen – nicht als Ersatz, sondern als ergänzender Baustein.
