Aston Martin DB11 im Fahrbericht (2016)

Vom Erfolg des 204.900 Euro teuren DB11 wird vieles abhängen für Aston Martin – manche sagen sogar: alles. Einige Details stecken zwar noch im Feintuning, wir durften dennoch bereits ans Limit gehen.
1. Die Ausrichtung
Aston Martin widerstand der Ansteckungsgefahr des Zeitgeistes und erschuf einen Gran Turismo – keinen so genannten, sondern einen der auf diesem schmalen Grat zwischen Wellness und Dynamik zu balancieren weiß, ohne zu stark in die eine oder die andere Richtung zu entgleiten. Und wenn Sie die üblichen Verdächtigen vom sperrigen Bentley Continental GT bis zum überstressten M6 mal durchgehen, werden Sie feststellen, dass der DB11 in der 600-PS-Liga damit so ziemlich der letzte verbliebene ist.
2. Die Partnerschaft
Mercedes wird ein entscheidender Faktor für die Zukunftsaussichten von Aston Martin sein, schließlich beruht das Investment der Stuttgarter auch auf der Lieferung von Naturalien wie Assistenzsystemmodulen oder Motoren. Im Gegensatz zur einstigen Zweckgemeinschaft mit Ford, während der sich schon mal Transit-Teile in die Aston-Cockpits verirrten, geht man beiderseits ganz behutsam mit den Möglichkeiten um. Beim DB11 reduziert sich der Daimler-Input jedenfalls auf das Navigationssystem, was für den Fortbestand des Aston-Spirits sicherlich ungefährlich, aber eben auch unentbehrlich ist – man denke da einfach nur an die gruseligen Low-Budget-Lösungen der Vormodelle zurück.
3. Der Motor
Entgegen einer weit verbreiteten Meinung hat der V12-Biturbo des DB11 nichts, aber auch gar nichts mit irgendwelchen Mercedes-Aggregaten zu tun. Und das ist gut so, allein schon weil er sich im Gegensatz zu den alten Dreiventil-Zwölfzylindern verschiedener AMG-65-Modelle nicht als bloßen Drehmomentgenerator versteht, sondern vor allem als Athlet. Die Turboaufladung ist mit 0,68 bar eher soft, was den positiven Effekt einer sehr kurzen Druckaufbauphase mit sich bringt. Feiste 5.204 Kubik stützen die Kraftentfaltung nach untenhin zusätzlich ab, während die kurzhubige Auslegung die Drehfreude anfacht. Die maximal 700 Nm stehen im Ernstfall bereits bei 1.500/min. gesammelt auf der Matte und sollen das 4,73-Meter-Coupé in 3,9 Sekunden auf 100 pushen – was angesichts der etwas wackeligen Traktion der gesperrten Hinterachse jedoch ein bisschen zu optimistisch erscheint.
4. Der Aufbau
Getreu der Firmentradition baut sich der DB11-Antrieb nach dem Transaxle-Prinzip auf. Motor also vorn, Getriebe gegenüber an der Hinterachse. Die Folge: eine fast optimale Achslastbalance, die sich gegenüber dem Vorgänger sogar nochmal verbessern ließ. Hintergrund: der alte V12 überlappte mit dem vorderen seiner sechs Zylinderpaare noch die Vorderachse ab, der neue hingegen sitzt nun komplett dahinter, sodass ein blitzsauberes Gewichtsverhältnis von 51 zu 49 entsteht.
5. Das Fahrgefühl
Geradeaus gerät der DB11 dank breitschultrig anliegendem Maximalmoment unter den Verdacht der Supersportlichkeit, wobei einem der Schub immer jedoch eher faszinierend als überwältigend vorkommt. In Kurven sortiert sich dann aber auch das Feeling wieder in der grantouristischen Grundausrichtung ein. Die neue elektromechanische Lenkung, das dreistufig adaptive Bilstein-Fahrwerk sowie das Ansprechverhalten – alles reagiert exakt, lässt jeweils aber immer auch ein bisschen Spiel zwischen Straße und Pilot. Und dementsprechend kurvt der DB11. Torque-Vektoren halten ihn weitegehend vom Untersteuern fern, die gut 1.800 Kilo Leergewicht jedoch verhindern ganz große Sprünge, sodass er an der Ideallinie am Ende eher entlanggleist als sich in sie hineinzukeilen.
6. Die inneren Werte
Vor allem im Innenraum merkte man dem DB9 sein reifes Alter zuletzt an. Und das lag nicht nur an Infotainment, Instrumentierung oder der fizzeligen Vieltasten-Bedienung. Was störte, war vor allem die mäßige Ergonomie mit ihren erhabenen, seltsam gewölbten Sitzen. All das hat sich mit dem Modellwechsel erledigt: Die Lehnen sind tiefer geschalt, weiter geschnitten, die Sitzflächen körpergerechter ausgeformt und bodennah. Endeffekt: Man sitzt nicht mehr obenauf, sondern richtig drin. Ansonsten bleibt es bei der bewährten Anordnung mit steil stehendem Lenkrad und an der Lenksäule fixierten Schaltpaddles.
7. Der Klang
Obwohl Turbolader weithin dafür verrufen sind, Motorklänge zu verwaschen, hat es Aston Martin geschafft, die urtypische V12-Fanfare zu konservieren. Oder besser zu kultivieren. Vielleicht fällt das Hochdrehröhren einen Tick flaumiger aus als zuletzt beim DB9, vielleicht auch leiser, und vielleicht steht es einem reinrassigen GT wie dem DB11 genau deshalb so gut.
8. Die Ruhe
Dabei ist es weniger seine Art zu klingen, die sein Selbstverständnis illustriert, sondern eher die Gabe, einfach mal die Klappe zu halten. Ein langer Druck auf den Starttaster aktiviert die Quiet-Start-Funktion, die die Lautstärke des Anlassbellens deutlich reduziert und einen damit direkt abgrenzt gegenüber einer wachsenden Zahl pubertärer Kaltstartgröhler.
9. Das Design
Normalerweise ist es Geschmacksache, doch wie schon der von Ian Callum gezeichnete DB9 darf auch Marek Reichmanns „Elfer“ als objektiv schön betrachtet werden. Das hängt damit zusammen, dass sich wahrscheinlich bislang nirgendwo eine qualifizierte Mehrheit finden ließ, die gegen ihn aussagte. Es liegt aber auch an den Proportionen. Ein Verhältnis von zwei Dritteln zu einem Drittel gelte als besonders schmeichelnd für das menschliche Auge. Und – Sie ahnen es – das Karosseriestyling des DB11 ist quasi gänzlich nach dieser Maxime aufgebaut. Motorhaube und Glashaus, die Höhe, Breite, der Radstand, die Sicken, Linien und Kanten – fast alles steht irgendwo und irgendwie in diesem perfekten Verhältnis zueinander.
10. Die Stilsicherheit
Stil kann man nicht lernen, man hat ihn. Und wenn man ihn ändert, muss er neu bewiesen werden – was sie tatsächlich geschafft haben droben in Gaydon. Auch weil es nach so vielen Jahren mal gut war, sich von Kitsch wie dem Kristallglasschlüssel zu verabschieden. Alles Neue versteht den Mix aus Funktionalität und Ästhetik, was insbesondere auch für die digitalisierten Instrumente zutrifft. Von Gewöhnlichkeit ist der DB11 dennoch weit entfernt. Das zeigt sich an der stimmungsvollen Einrichtung mit berührsensiblen Bedienkonsolen, an Details wie Einlagen aus offenporigem Holz oder gehackter Kohlefaser und Außenlacken, denen man für einen noch intensiveren Glitzereffekt winzige Glassplitter beimengt.
11. Der Preis
Mindestens 204.900 Euro sind für einen DB11 in Deutschland anzulegen, wobei sich die Summe über mannigfaltige Individualisierungsmöglichkeiten beliebig steigern lässt. Und auch wenn das zunächst schwer nach dem Haken an der Sache aussieht, scheint es keiner zu sein. Im Gegenteil: Weit über 2.000 Bestellungen lägen bereits vor, ohne dass bislang Probefahrten stattgefunden hätten. Und ehrlich gesagt müsste man schon am Geschmack der Auto-Afficionados zweifeln, wenn dadurch nicht noch zahlreiche Bestellungen dazukämen.
+++ Ende Fahrbericht Aston Martin DB11 +++
Tracktest mit einem Vorserienfahrzeug Anfang Mai 2016
Vom Erfolg des DB11 wird vieles abhängen für Aston Martin – manche sagen sogar: alles. Einige Details stecken zwar noch im Feintuning, wir durften dennoch bereits ans Limit gehen.
Zurzeit geht es für Aston Martin ja vor allem darum, ihre Modellreihen noch halbwegs anständig über die Zeit zu retten. Beim Vantage gelang und gelingt das bis dato ganz gut, die beiden Spezial-Editionen GT8 und GT12 passen zum Charakter und waren auch schwuppdiwupp ausverkauft – zu nicht ganz unlukrativen Kursen by the way.
Dem DB9 hingegen merkte man irgendwie an, dass die Luft knapp wurde allmählich. Die GT-Version ging aufgrund des PS-Mehrwerts noch okay, dessen Bond-Edition indes wirkte ein bisschen wie der verzweifelte Versuch, noch etwas mitzunehmen vom 007-Fieber, das der Kinofilm Spectre seinerzeit ausgelöst hatte – so wie das Hersteller von Softdrinks, Senf oder Spielzeug halt auch taten zu dieser Zeit.
Aston Martin DB11 löst endlich DB9 ab
Bis Ende 2016 gibt es den DB9 noch zu kaufen, zu satten Rabatten wie es heißt. Bereits im Oktober tritt jedoch seine offizielle Ablöse an, der DB11, der – entgegen anders lautender Befürchtungen – eben kein erneuter Aufguss mehr ist. Sogar ganz im Gegenteil. Für das wichtigste Modell der Markengeschichte wurde vieles auf null gesetzt und neu hochgezogen. Motor, Fahrwerk, Plattform, Infotainment – nichts ist zu bisherigen Modellen verwandt, ohne dass dabei das spezielle Flair verloren gegangen wäre.
Denn auch wenn es sich bei einem Aston schon ein bisschen ungewohnt anfühlt, dass er einem in patinierter Arbeitskleidung gegenübersteht statt im hochglanzpolierten Designerdress, kommt dieses markenspirituelle Feeling direkt rüber. Über die Proportionen, die auch die schwarzweiße Folie der Tarnkappe nicht ruinieren kann, über den vielleicht etwas sehr himmelblauen Innenraum mit seinen pittoresken Details, und natürlich über diese, auf frivole Art äußerst eloquente V12-Stimme, die sich beim Anlassen nun in einen leisen Modus schalten lässt – all jene, die in einer Wohnsiedlung frühmorgens schon mal aus Versehen die komplette Nachbarschaft kaltgestartet haben, wissen, was das wert ist.
608 PS im DB11 gut dosierbar
Der komplett neu entwickelte, 608 PS starke 5,2-Liter-Biturbo entfaltet seine 700 Nm statt einen mit Ihnen niederzutrampeln; das Fahrwerk mit dreifach einstellbaren Bilstein-Dämpfern, reguliert die Rollbewegung der Karosserie sinngemäß der Modi „GT“, „Sport“ und „Sport+“, ohne dabei hüben zu wattig oder drüben zu starr zu geraten, und auch das Handling insgesamt vermittelt trotz der stattlichen Statur dieses Gefühl von müheloser Agilität, das man mit dem GT-Thema assoziiert.
Fürs Fahren am äußersten Limit ist der DB11 nicht gebaut, das ist auch weiterhin Aufgabe der Vantage-Modelle und der Vanquish-Erben, die sich eines Tages von ihm ableiten werden. Nichtsdestotrotz beherrscht er es – besser als die überwiegende Mehrheit seiner Konkurrenz, da lege ich mich fest. Beim Einlenken spürt man einen leichten Drang zum Untersteuern, den bekäme man über die Torque-Vectoring-Funktion aber noch wegentwickelt, verspricht Becker.
Aston Martin DB11 – Prototyp mit geschliffenem Benehmen
Noch seien bestimmte Details ein paar Prozent weit vom Serienstand entfernt, erklärt Matt Becker, Ex-Lotus-Mann und seit gut anderthalb Jahren Chefentwickler. Das merkt man recht offensichtlich im neuen LCD-Instrumentendisplay, dessen animierter Drehzahlmesser die Drehzahl nicht ganz so schnell mitzählt, wie sie der Motor erreicht.
Und man merkt es auch an der Abstimmung der drei ESP-Modi. Die Eingriffe passieren zwar bereits feinfühlig, im Trackmode jedoch kommen sie erst sehr, sehr spät, sodass man selbst kräftig gegenlenken muss. Das hat schon seinen Reiz, um ehrlich zu sein, passt aber nicht so recht zur Positionierung des DB11, der ein Gran Turismo sein will – nicht mehr aber auch nicht weniger.
Und auch wenn die Grenzziehung da sicherlich ein bisschen schwammig ist, schon weil die Bezeichnung GT recht ungeniert auf alle möglichen Autos gepappt wird in letzter Zeit, so wie der DB11 das Thema interpretiert, stellt man es sich vor. Die 3,9 Sekunden bis Hundert und der Topspeed von 322 km/h spielen dabei sicher eine Rolle, entscheidend wird aber die qualitative Komponente sein. Und die zerstreut alle Sorgen über die Daseinsberechtigung der Marke, ihr Selbstverständnis und ihren Platz in der Sportwagenwelt recht schnell und recht nachhaltig.
Im weiteren Kurvenverlauf jedoch hängt sich der DB11 so richtig rein. Engagiert statt übereifrig, prima balanciert und vor allem sehr fahraktiv in seiner Anbindung. Das liegt zum einen am sauber dosierbaren Motor, der je nach Vorliebe das Heck ein bisschen rumdrückt oder einen linear an der Haftungsgrenze entlangpowert.
Und zum anderen liegt es an der ultradirekt übersetzten, leichtgängigen, und insbesondere glasklar rückmeldenden Lenkung. An ihr habe man besonders lange herumgetüftelt, sagt Becker, jetzt sei man aber happy mit ihr. Und das völlig zu recht, weil sie es schafft, diesen für die Sportlichkeit so entscheidenden Punkt, an dem die Reifen beginnen, seitwärts zu radieren, sehr gefühlsecht in die Handflächen zu übertragen.
Das Gesamtbild ist jedenfalls ein stimmiges, zumal auch der transaxial verbaute ZF-Automat ebenso flink wie gefühlvoll über seine acht Stufen turnt. Kurzum: der DB11 kann alles, was er als GT können muss – unter fahrdynamischen Gesichtspunkten vielleicht sogar mehr als das.
Trotzdem steht am Ende die Frage, was er können könnte, wenn sie das Gewicht etwas besser im Zaum gehalten hätten. Mit gut 1.850 Kilo liegt er zwar ganz gut im Klassenschnitt, von einer kompletten Neuentwicklung hätte man dahingehend aber mehr erwarten dürfen. Mehr im Sinne von weniger, versteht sich.