Chevrolet Camaro SS im Test
Chevrolet findet, dass genug Kleinwagen mit dem Bowtie im Kühlergrill über die Straßen rollen. Zeit für das überarbeitete Camaro Coupé mit 405 PS starkem V8-Triebwerk.
Warum nicht eine gute Idee mehrfach ausschlachten? Wie zum Beispiel den ersten Smart-Werbespruch „reduce to the max“, der prima zum Chevrolet Camaro passt – zugegeben, in etwas anderer Auslegung als beim deutschen Kleinstwagen. Die Argumentationskette erweist sich jedoch als lückenlos.
Punkt 1, der Antrieb: Vier Ventile pro Brennraum? Direkteinspritzung? Oder gar komplexes Downsizing? Geht auch ohne. Stattdessen nutzt das L99-Triebwerk für europäische Verhältnisse geradezu obszöne 6,2 Liter Hubraum, verteilt auf acht Zylinder, von denen sogar die Hälfte bei Nichtgebrauch abgeschaltet wird. Bei der mit 10,4:1 verdichteten Automatik-Variante reicht das für nicht eben ärmliche 405 PS und ein maximales Drehmoment von 556 Newtonmeter bei 4.300/min. Zur Arbeit muss der Motor des Chevrolet Camaro SS klassisch mit einem Schlüsseldreh im Zündschloss überredet werden, worauf er in einen tiefenentspannten Leerlauf verfällt. Wie von einer Jahresproduktion an Wattebäuschchen gedämmt, wartet der Kurzhuber dezent wummernd auf weitere Befehle.
Chevrolet Camaro SS in 5,2 Sekunden von null auf 100 km/h
Noch stellen sich die Temperaturanzeigen für Wasser und Öl tot, also steht zunächst eine Runde Warmbummeln auf dem Programm. Dabei regt sich auch die Nadel des Drehzahlmessers kaum, denn das Automatikgetriebe des Chevrolet Camaro SS reduziert seinen Arbeitsaufwand ebenfalls auf ein Minimum und sortiert sich flugs in die sechste Welle. Unglücklicherweise muss das Getriebe jedoch auch die anderen fünf Stufen immer mal wieder bemühen, was zu quälend langen Schaltpausen führt, deren Ende ein beherzter Ruck im Antriebsstrang verkündet. Ob sich der Fahrer für das D- oder S-Programm entscheidet oder die Gänge mit den angetäuschten Paddeln (darunter liegen einfache Drucktasten) am Lenkrad selbsttätig wählt, spielt dabei keine Rolle. Immerhin: Im manuellen Modus erlaubt der Automat eine Drehzahlorgie bis in den Begrenzer, wenngleich der V8 gar nicht über die 6.500/min-Marke hinaus will.
Bis zum Limit entfaltet er seine Leistung mit dem Gleichmut eines amerikanischen Siedlertreks, ohne Löcher oder Spitzen. Dabei grölt der Zweiventiler inbrünstig großvolumige Schlachtgesänge, aber sozial verträglich wie hinter vorgehaltener Hand – zumindest kommt es den Insassen so vor. Das Publikum draußen kriegt dagegen richtig was zu hören. Klangfetischisten müssen also mindestens zum Schiebedach für 1.000 Euro oder gleich zum Chevrolet Camaro SS Cabrio (plus 5.000 Euro) greifen. In jedem Fall liefert der Camaro gute Beschleunigungswerte, sprintet in 5,2 Sekunden von null auf 100 km/h. Der Hersteller gibt lediglich 5,4 Sekunden an – der Motor liefert also maximale Leistung durch stark reduzierten technischen Aufwand.
Chevrolet Camaro SS mit präzisem Fahrverhalten
Punkt 2, das Fahrwerk: Adaptive Dämpfer? Aktiver Wankausgleich? Oder gar eine Luftfederung? Ach was. Eine Vorderachse mit Doppelquerlenkern, eine Vierlenker-Hinterachse, jeweils mit 23 und 24 Millimeter dicken Stabilisatoren müssen reichen, um dem immerhin 1,8 Tonnen schweren Chevrolet Camaro SS zu ordentlicher Querdynamik zu verhelfen. Sicherheitshalber stecken an den vier Enden der Aufhängung grundsätzlich 20-Zoll-Räder. Soweit, so agil, doch was ist mit der Lenkung? Sie arbeitet bei US-Fahrzeugen meist mit der Präzision einer Schrotflinte, erweist sich im Chevrolet Camaro SS jedoch mit 16,1:1 als angenehm direkt übersetzt und versorgt den Fahrer mit ausgesprochen zuverlässiger Rückmeldung.
Wer beherzt in Kurven feuert, erlebt ein überraschend präzises Fahrverhalten, das sich Untersteuern lange verkneift. Stattdessen lugt der mächtige Hintern des Chevrolet Camaro SS beim Erreichen des Limits immer weiter in Richtung Horizont, was die serienmäßige Stabilitätskontrolle zu rigiden Eingriffen veranlasst. Doch da sich die USA als Land rühmen, in dem alles möglich ist, lässt sich das ESP auch abschalten. Vollständig. Viel wichtiger: die extrem wirkungsvolle Vierkolben-Festsattelbremse, die Bremswege von konstant unter 36 Meter aus 100 km/h ermöglicht. Völlig ausgebremst dagegen: der Federungskomfort. Offenbar wurde auch er drastisch reduziert, um den Fahrspaß zu maximieren.
Sportsitze können mit der Dynamik nicht mithalten
Punkt 3, das Interieur: Ausgefeilte Sitzkonstruktionen? Kühles Aluminium? Edelste Hölzer? Oder gar ein smartes Infotainmentsystem? Alles viel zu teuer. Dennoch erweist sich die Serienausstattung als ähnlich umfangreich wie das Angebot neumodischer Kaffeehausketten. Sechs Airbags, Head-up-Display, Klimaanlage, Audiosystem mit AUX- und USB-Anschluss und so weiter. Mit Leder bezogene, elektrisch verstellbare Sportsitze zählen ebenfalls dazu, deren überschaubarer Seitenhalt und softe Polsterung mit der Dynamik des Chevrolet Camaro SS kaum schritthalten können.
An Platz herrscht dagegen kein Mangel, einzig das Schiebedach zwingt großgewachsene Fahrer in eine unbequeme Haltung mit eingezogenem Kopf. Chevrolet Camaro SS-Eigner können sogar guten Willen zeigen und zwei weiteren Personen eine Mitfahrt im Fond anbieten. Die dortige Enge verhindert allerdings weitere Touren zu viert. Immerhin lässt sich die Rücksitzlehne am Stück umklappen, was den zerklüfteten, angeblich 320 Liter fassenden Kofferraum spürbar vergrößert. Eines bleibt jedoch: die extrem hohe Ladekante, über die das Gepäck auf den labberigen Filzboden gewuchtet werden muss.
Ein PS gibt es für 101 Euro
Apropos: Ebenso sparsam eingerichtet präsentiert sich das Cockpit der getesteten US-Variante. Reich bestückt mit Instrumenten, erschüttert es mit einer liederlichen Materialqualität. „Na und“, werden Fans sagen, die Reduzierung von optischen Oberflächlichkeiten ermöglicht schließlich eine Maximierung des Preis-Leistungs-Verhältnisses, denn inklusive Automatikgetriebe kostet der Chevrolet Camaro SS 40.990 Euro. Das macht 101 Euro pro PS, ein BMW M3 kommt auf 163. Dem sensationell günstigen Einstiegspreis stehen – vorsichtig ausgedrückt – bescheidene Verbrauchswerte um 15 Liter/100 km, klassenüblich hohe Versicherungseinstufungen sowie jährliche Wartungsintervalle gegenüber.
Dennoch findet sich in den Preislisten europäischer Hersteller eigentlich keine Alternative, zumindest keine emotionalere. Und wirklich vorwerfen lässt sich dem Camaro nichts, abgesehen vom unsäglichen Automatikgetriebe. Tipp zum Schluss: bei der Bestellung einfach weglassen, 2.000 Euro sparen und damit zugleich das identische, durch eine höhere Verdichtung um 27 PS stärkere V8-Triebwerk mitnehmen. Reduce to the max eben.