Corvette Z06 im Supertest am Nürburgring und in Hockenheim

Mit ihrer ausdrucksvollen Erscheinung sorgte die Corvette schon vor mehr als einem Vierteljahrhundert für Aufsehen. Heute ist es nicht mehr allein die markante Optik des V8-Boliden - auch fahrdynamisch weckt er helle Begeisterung, wie der Supertest zeigt.
Was ihre Herkunft, Geschichte und letztlich auch ihre Bedeutung für den Automobilbau in den USA angeht, ist kein Wort ungeschrieben geblieben. Die lange Ahnengalerie ist bis in die letzten Verästelungen durchdekliniert worden, und die Mär von ihrer früher mal zweifelhaften Rolle in den Händen gewisser Kundenkreise ist auch schon bis zur Unkenntlichkeit verblasst. Trotz aller Maßnahmen zur Vitalisierung ihrer Gene ist die Corvette im Grunde ihrer Substanz ein automobiles Fossil: Eins mit einem über viele Jahrzehnte verdichteten Charakter, der sich von Strömungen und Trends der Zeit niemals hat verbiegen lassen. Die Prinzipientreue des US-Klassikers ist ebenso legendär wie die des Elfers. Unvorstellbar der Gedanke, dass dem Corvette-Antrieb ein oder zwei Zylinderpaare hinzugefügt oder abgezogen werden könnten. Auch der angestammte Platz des Big Blocks zu Füßen des Fahrer ist ein Sakrileg, genauso die Transaxle-Bauweise mit dem an der Hinterachse angeflanschten Getriebe. Die Karosseriehaut aus Kunststoff ist seit Jahrzenten ebenso gesetzt wie die skurrilen Querblattfedern – jene Relikte aus der Zeit der Pferdekutschen, die man in den europäischen Tempeln des Sportwagenbaus nicht mal mehr mit spitzen Fingern anfassen würde. Braucht man über Ketten oder Zahnriemen angetriebene DOHC-Zylinderköpfe, so, wie es der Status Quo des Sportwagenbaus befiehlt? Muss es sein, dass die Steuerzeiten analog der Drehzahl automatisch verändert werden, um den Ladungswechsel zu optimieren? Keineswegs – es geht auch einfacher, und zwar ganz so wie zu Großvaters Zeiten: Mit herkömmlichen Stoßstangen und althergebrachten Kipphebeln, die von einer einzigen untenliegenden Nockenwelle in Bewegung gesetzt werden. Und mit zwei Ventilen pro Zylinder – eines für das angesaugte Frischgas, das andere für das verbrannte Gemisch –, ist nach amerikanischer V8-Satzung der technischen Vorsorge zumindest quantitativ ausreichend Genüge getan.
Zwei Ventile pro Zylinder genügen
Aber was heißt hier ausreichend? Ist es vielleicht nur der warme Klang des legendären Ami-V8? Oder seine niederfrequente Stampede in den unteren vierstelligen Drehzahlbereichen? Ist es das leichte Schütteln, das ihn auf so sympathische Weise lebendig erscheinen lässt und womöglich dazu führt, dass man ihm – etwas Wohlwollen vorausgesetzt – gern für alles eine Absolution erteilt und ihm folglich alles verzeiht? Ganz so, wie man Rücksicht auf ältere Menschen nimmt? Nein, die Corvette braucht keine gesonderten Sympathiepunkte – weder auf Grund ihrer bisherigen Lebensleistung, noch weil sie amerikanischer Abstammung ist. Auch ist Nachsicht auf Grund ihres unverändert gebliebenen Konzepts völlig fehl am Platz. Man begegnet ihr in ihrer jüngsten und ausgereiftesten Fassung am besten mit Respekt und mit derselben Erwartungshaltung, die auch an einen Sportwagen neuester Konzeption angelegt wird, dessen Entwicklung frei von tradierten Zwängen und ohne Rücksicht auf Konventionen vorangetrieben werden konnte – so wie beispielsweise beim neuen Audi R8.
Die vom Autor immer wieder gern zitierte These, wonach es nicht in erster Linie auf das Konzept ankommt, sondern auf die Menschen, die dahinter stehen und es interpretieren, wird von der Corvette Z06 einmal mehr bestätigt. Denn konzeptionell hat sich weder gegenüber ihren Vorgängern noch gegenüber dem aktuellen C6-Basismodells Signifikantes getan. Dass sie sich im Resultat trotzdem eine völlig neue Welt erschließt, darf insgeheim als volle Breitseite gegen die vielen hoch technisierten Neukonstruktionen angesehen werden, die versuchen, mit dem High-Tech-Siegel Furore zu machen. So viel vorweg: Für die eingefleischte Corvette-Gemeinde dürfte der Ausgang des Supertests der klassische innere Reichsparteitag sein. Ungeachtet des konventionellen Motorenkonzepts offenbart die Z06-Spezifikation unter der Bezeichnung L57 aber einige herausragende Besonderheiten, die den eisernen Willen der Ingenieure bekunden, dem klassischen ohv-Triebwerks (over head valves) nicht nur alles Mögliche, sondern auch Unmögliches abzuverlangen. Hohe Drehzahlen beispielsweise. Ventile und Pleuel sind aus extrem leichten und hochfesten Titanlegierungen gefertigt und deshalb in der Lage, Drehzahlen von bis zu 7.000/min mitzugehen.
Hohe Drehzahlen sind nicht mehr unmöglich
Die Trockensumpfschmierung bietet neben der Sicherung eines von Querkräften unbeeinflussbaren Ölkreislaufs überdies die Möglichkeit, den Schwerpunkt im Sinn der Fahrdynamik dorthin zu befördern, wo er hingehört – nämlich nach unten. Tiefere Griffe in die Trickkiste waren zumindest vordergründig nicht nötig, um dem vorschriftsmäßig hinter der Vorderachse platzierten Achtzylinder auf einen adäquaten Leistungslevel zu heben. Die Hubraumaufstockung auf nunmehr knapp über sieben Liter Arbeitsvolumen (7.011 cm³) geschah aber nicht einfach durch den Einsatz noch größerer Kolben (104,8 Millimeter), sondern beinhaltete auch eine Verlängerung des Hubs auf nunmehr 101,6 Millimeter. Die nominellen Leistungswerte der Z06 – 512 PS und ein maximales Drehmoment von 637 Newtonmeter – reichen für sich genommen zwar aus, um schon mal den Kniefall zu proben. Ließe sich ihr gegebenes Temperament für größere Kreise erlebbar machen, wäre ihr der stehende Beifall ganzer Gesellschaftsgruppen sicher. Dabei ist es keineswegs allein der gewaltige Druck, den der komplett aus Aluminium gefertigte V8 auszuteilen imstande ist, sondern vor allem das weite Spektrum seines Könnens.
Als veritabler Ami-V8 beherrscht er das Cruiser-Fach wie kein Zweiter: Dumpf wummernd in der fünften oder der ellenlangen sechsten Gangstufe durch die Landschaft zu gondeln – das hat was. Es beruhigt den Geist und befriedet die Seele. Nur 2.770 Umdrehungen reichen im letzten Gang aus, um mit Tempo 200 raumgreifend Kilometer zu machen. Die extrem lange Übersetzung der sechsten Gangstufe lässt bei maximaler Motordrehzahl zumindest theoretisch ein für ein landgestütze Fahrzeuge irrwitziges Tempo zu: 505 km/h. Im fünften Gang sind rechnerisch 339 km/h drin – was schon eher Bezug zur Praxis hat: Die tatsächlich erreichbaren 320 km/h sind nämlich auch nicht von schlechten Eltern.
Die auf Grund der extremen Übersetzugsverhältnisse nahe liegende Befürchtung, der Motor könne darunter in seiner universellen Ausdrucksstärke leiden, erweist sich als völlig unbegründet. Abgesehen von den naturgemäß etwas begrenzten Möglichkeiten in der Overdrive-Übersetzung der sechsten Gangstufe ist er in der Lage, mit der Trägheit der Masse regelrecht zu spielen. Wer nie erlebt hat, wie dieser Big Block in Richtung Drehzahlgrenze prescht und dabei brüllt, als wolle er seine Drehfreude in die Welt herausposaunen, wird nicht glauben, dass ein derart großvolumiger Stoßstangenmotor eine derart filigrane Laufkultur an den Tag legen kann.
Filigrane Laufkultur trotz großem Volumen
Dass die subjektiv nach wie vor als geradezu atemberaubend empfundenen Fahrleistungen des Supertest-Modells etwas hinter denen des im Vergleichstest mit der Viper (Ausgabe 4/2006) getesteten Modells hinterherhinken, erklärt sich mit den eklatanten Temperaturunterschieden an den jeweiligen Messtagen. Bei 30 Grad Celsius (siehe Messbedingungen im Datenkasten) ist der Sauerstoffgehalt der Luft naheliegenderweise deutlich geringer als bei den damals herrschenden vier Grad Celsius. In der Beschleunigung bis 200 km/h macht dies einen Unterschied von 1,6 Sekunden aus: 12,0 Sekunden reklamierte die Z06 bei vier Grad Celsius Außentemperatur, 13,6 die bei 30 Grad gemessene Supertest-Corvette. Die zwei Zehntelsekunden, die sich die Z06 unter dem Hitzeschild des Jahrhundert-Frühlings auf dem Kleinen Kurs in Hockenheim gegenüber dem Vergleichstestmodell vom vergangenen Jahr als Zuschlag genehmigte (1.11,5 Minuten), seien ihr unter diesen Umständen generös zugestanden. Dies gilt umso mehr, als das Fahrverhalten des mit speziellen Goodyear Eagle F1 Supercar EMT bereiften Zweisitzers ähnliche Begeisterungsstürme entfacht wie zuvor schon das Triebwerk. Dass sich bei ausgeschalteter Traktionskontrolle jeder Driftwinkel darstellen lässt, ist in Anbetracht der aus sieben Liter Hubraum entwickelten Gewalt eine Selbstverständlichkeit.
Gefühlvolle Streicheleinheiten am Gaspedal vorausgesetzt, offenbart die Z06 nicht nur eine vorbildliche Neutralität im Grenzbereich, sondern auch eine Stabilität, die selbst verwöhnten Grenzbereich-Junkies höchsten Respekt abnötigt. Das leidige Phänomen des Untersteuerns – das von anderen Sportwagenherstellern mit dem Hinweis auf eine erhöhte Fahrsicherheit zunehmend favorisiert wird –, existiert im Fahrprogramm der Corvette so gut wie gar nicht.
Das unvermittelte Einlenken und das im weiteren Verlauf der Kurvenfahrt sich einstellende Fahrverhalten ist klar definiert und bleibt in der Summe immer kalkulierbar. Obwohl die Wankneigung der Karosserie auf ein Minimum begrenzt ist, handelt es sich bei der Z06 keineswegs um ein zum Zweck des sportlichen Eindrucks künstlich verhärtetes, ungelenkes Ungetüm. Von Restkomfort zu sprechen, wäre glatt gelogen. Im Gegenteil: Sowohl die eingangs beschriebenen Langsamfahrqualitäten als auch der Langstrecken-Fahrkomfort sind erstaunlich hoch entwickelt. Nebenbei bemerkt ist die mit ihren ausgestellten Radläufen nun noch etwas wuchtiger auftretende Z06 nicht nur gut zu den Insassen – auch in Sachen Praktikabilität kann ihr kaum ein Supersportler das Wasser reichen. Der Gepäckraum unter dem gläsernen Rückenteil könnte fast als Liegewiese durchgehen. Bis auf die elektrischen Türöffner, die nach Abstellen des Motors nur dann den Ausstieg freigeben, wenn der Rückwärtsgang eingelegt ist – was für eine dämliche Schikane –, zeigt sich der US-Sportler ähnlich umgänglich und verbindlich wie ein Musterschüler aus einem britischen Elite-Internat.
Die Verarbeitungsqualität der im Gegensatz zur stählernen C6 auf einem stabilen Aluminiumchassis mit Magnesiumelementen aufgebauten Z06 geht insgesamt als zufriedenstellend durch. Die nunmehr fest montierte Dachfläche tut in puncto Karosseriestabilität sicher das Ihre, denn Zittern und Ächzen sind aus diesem Umfeld verbannt. Kurzum: Als Z06 weist die Corvette erstmals ein Maß an Solidität auf, das auch den Ansprüchen einer verwöhnteren Klientel genügen dürfte.
Festes Dach - solide Konstruktion
Ungeachtet dessen offenbart der gemeinhin sorgenvolle Blick auf die Gewichtsangabe eine Gesamtkonstitution von beachtenswerter Drahtigkeit. Mit voll getankt nur 1.440 Kilogramm wiegt die Corvette Z06 nicht nur rund einen Zentner weniger als das C6-Basismodell, sondern düpiert damit auch eine ganze, mehrheitlich nicht eben diätbewusste Branche. Man beachte: Die Masse entspricht in etwa der eines gut ausgestatteten Golf GTI der aktuellen Generation. Besonders vor dem Hintergrund ihrer nicht gerade zierlichen Ausmaße und der Tatsache, dass auch dieses Corvette- Modell weder spartanisch ausgestattet ist, noch gängige Sicherheitsfeatures vermissen lässt, wird das Gewicht erst recht ins helle Licht gerückt.
Vorbildlicher lässt sich der sport auto-Index (spax) von 3,7 kaum darstellen. Dass sie zudem vor dem Hintergrund ihres konkurrenzlos günstigen Preises in der Lage ist, von der Performance her in die Niederungen der etablierten europäischen Spitzensportler einzubrechen, darf durchaus als Affront betrachtet werden. Die fantastische Rundenzeit auf der Nordschleife – 7.49 Minuten – ist zwar für weniger am Grenzbereich orientierte Corvette-Fans nur eine weitere Metapher, aber eine, die es bekanntlich in sich hat. Weil die Z06 über ihre bekannten Talente hinaus nun auch noch ein großes Fenster in die spannende Welt der Fahrdynamik eröffnet, in der die Zufriedenheit noch nachhaltiger gefördert wird, dürfte ihr ein Platz in der ewigen Bestenliste sicher sein.