Fahrbericht mit dem KTM X-Bow

Im Rahmen der FIA GT-Meisterschaft dreht der KTM X-Bow seit geraumer Zeit flotte Runden. Aber wie verhält sich nun die seit August 2008 als Zweisitzer rollende Straßenversion des rasanten Racecars?
Keine Frage: Menschen mit Sinn für das praktikabel Bodenständige werden beim Anblick des KTM X-Bow (sprich: Crossbow) an ihre Grenzen stoßen. Frei stehende Räder, karge Sitzschalen und eine Fahrgastzelle ohne Türen, Dach und Windschutzscheibe prädestinieren den jungen Wilden aus der Alpenrepublik nicht eben zum Fall für jedermann.
Das radikale Konzept weckt Interesse
Jeden Mann und die meisten Frauen begeistern kann der Zweisitzer hingegen schon. Kaum jemand, dem wir im Rahmen der ersten Ausfahrt im Salzkammergut begegnet sind, konnte sich dem Charme der kompromisslosen, wenngleich im Antriebsstrang auf Großserientechnik vertrauenden Fahrmaschine entziehen. Ob Bauarbeiter am Straßenrand oder im Gartenpool planschende Kinder - das rege Interesse der Umwelt ist dem X-Bow-Piloten gewiss.
Neid oder Missgunst scheint das Fliegengewicht mit dem grimmigen Blick nicht zu wecken. Kein Wunder - tritt doch der Österreicher, dem der Brückenschlag zwischen Zwei- und Vierradbranche gleichsam in den Namen geschrieben steht, alles andere als großkopfert auf. So, wie die Mehrheit der Bevölkerung Leichtathleten deutlich positiver gegenüber steht als Bodybuildern, so schlägt auch dem mit 3,74 Meter Länge angenehm zierlich geratenen Monocoque-Sportwagen durchweg Sympathie entgegen.
Selbst unbedarften Zeitgenossen ist beim Anblick des gerade einmal 790 Kilo schweren, steirischen Fliegengewichts auf Anhieb klar, dass das Sein bei der Entwicklung hier klar vor dem schönen Schein ging. Obwohl dem seit 15 Jahren für die Formensprache der Marke KTM verantwortlichen Designer Gerald Kiska weitgehend freie Hand gelassen wurde, waren zwei Vorgaben von Beginn an zementiert: 1,5 g Querbeschleunigung mit Straßenreifen und 200 Kilogramm Abtrieb auf der hinteren Antriebsachse bei 200 km/h galt es zu realisieren. Dass dies gelungen ist, ohne von der für die Motorräder der Marke typischen Handschrift abzuweichen, ist Österreichs größtem Designbetrieb hoch anzurechnen. In der Folge bekennt sich der X-Bow ebenso unverhohlen zu seiner Technik nebst aller Ecken und Kanten wie die Zweiräder mit KTM-Emblem.
Der KTM ist vor allem eins: ein reinrassiges Sportgerät
Entsprechend puristisch gerät der Umgang mit dem österreichischen Mittelmotorsportler. In die minimal gepolsterten, aber in drei Breiten erhältlichen Sitzschalen wird von oben hineingeklettert statt seitlich hineingeglitten. Zugunsten eines möglichst geringen Gewichts bei gleichzeitiger maximaler Steifigkeit wurde auf Türen verzichtet. Kernzelle des X-Bow ist ein zweisitziges von Dallara entwickeltes und beim süddeutschen Kohlefaser-Spezialisten Wethje gefertigtes Carbon-Composite- Monocoque, das gerade einmal 90 Kilo auf die Waage bringt.
Der von Audi zugelieferte Zweiliter-TFSI-Motor hat quer hinter den Sitzen in einem Alu-Rahmen Platz gefunden und gibt via manuellem Sechsganggetriebe nebst mechanischem Sperrdifferenzial (obligatorisch, aber aufpreispflichtig) bis zu 310 Newtonmeter Drehmoment und 240 PS an die 235/40 R 18 großen Hinterräder ab. Die vorderen Michelin Pilot Sport-Pneus warten mit der Dimension 205/40 R 17 auf.
Das Leistungsgewicht von 3,3 Kilogramm pro PS beeindruckt ebenso wie die vom Hersteller versprochene Performance: 3,9 Sekunden sollen beim Spurt aus dem Stand auf Landstraßentempo vergehen, bis zu 220 km/h in der Spitze drin sein. Tatsächlich verführt die Leichtigkeit, mit welcher der X-Bow gen Horizont stürmt und das an Formelautos erinnernde spontane Befolgen von Lenkbefehlen zur ungezügelten Kurvenhatz. Allerdings will die eigene Sensorik zuerst auf die neuen Gegebenheiten justiert sein. Dank der zupackenden Brembo-Stopper (ohne ABS) lassen sich Bremspunkte deutlich später setzen, als das an wesentlich gewichtigere Sportgeräte gewöhnte Fahrerhirn anfangs glauben mag. Zudem liegen die möglichen Kurventempi höher, als in Anbetracht der normalen Michelin-Pneus zu vermuten wäre. 195 km/h waren in der Fahrerlagerkurve des Salzburgrings locker drin. Die verzögerungsfrei und präzise agierende Lenkung (ohne Servounterstützung) hält den KTM dabei stets sicher auf Kurs. Wer angesichts derart kompromissloser Sporttauglichkeit ungebührlich raue Umgangsformen im Alltag fürchtet, wird dennoch eines Besseren belehrt.
Dem X-Bow fehlt Stauraum - Niemand vermisst ihn
Sicher - zum Brötchen holen oder für den genüsslichen Wochenendtrip empfehlen sich andere Wegbegleiter. Das unterstreicht schon die völlige Abwesenheit wie auch immer gearteter Staufächer. Aber schlechte Fahrbahnoberflächen oder unbefestigte Bankette können den Steirer - eine feste Hand am Volant vorausgesetzt - nicht wirklich erschüttern. Auch der Sitzkomfort fällt insgesamt besser aus, als die spärliche Polsterung der Sitznischen auf den ersten Blick vermuten lässt. Für flotte Landstraßenüberflüge ist der in Deutschland inklusive der obligatorischen Extras Sperrdifferenzial und abnehmbares Lenkrad ab 56.953 Euro zu habende X-Bow demnach bestens gerüstet. Einzig die fest montierten, die Sicht nach hinten beeinträchtigenden Vierpunktgurte und der sich nicht automatisch zurücksetzende Blinker sind anfänglich gewöhnungsbedürftig. Letztgenannter muss ebenso wie beim Motorrad per Knopfdruck gesetzt und auch wieder deaktiviert werden.
Ach ja - und dann wäre da noch die gleichfalls dem Zweiradbereich entstammende zentrale Info-Einheit. Jene offeriert zwei verschiedene Betriebsarten - den Race- und den Road Mode - und ist nicht frei von Risiko: Da im Rennstreckenmodus Drehzahl, Speed, und Rundenzeiten im Focus stehen, rückt Banales zwangsläufig in den Hintergrund. Der Füllstand des über dem Unterboden befindlichen 40-Liter-Tanks beispielsweise. Wenn sich beim Tritt aufs Gaspedal plötzlich gar nichts mehr tut, muss das also nicht unbedingt Schlimmes verheißen. Gut möglich, dass es den KTM X-Bow dann schlicht nach einem guten Tropfen dürstet - Super Plus, versteht sich.