VW-Designchef Klaus Bischoff im Interview
Der VW-Designchef muss die bestehende Palette optisch weiterentwickeln und der neuen Modellreihe I.D. ein eigenständiges Gesicht geben – eine Herausforderung.
Klaus Bischoff ist ein stiller Star unter den Autodesignern. Er zeigt weltweite Präsenz und ist immer ansprechbar. Doch er drängt sich nie auf, sondern wartet ab, ob er als Gesprächspartner gewünscht wird – eine Haltung, die ihn von vielen anderen in der Szene unterscheidet und sehr sympathisch macht.
Sie müssen die Marke Volkswagen jetzt für die Zukunft fit machen und die I.D.-Familie formal aufbauen. Wie geht man an ein solches Projekt heran?
Bischoff: Zunächst einmal mit der grundsätzlichen Fragestellung: Was erwarten die Menschen von der Mobilität der Zukunft? Was gibt es überhaupt für Nutzerszenarien, welche Handlungsfelder leiten wir daraus ab, und welche Innovationen müssen wir generieren?
Und was sehen Sie da in einem ersten Schritt?
Bischoff: Die intuitive Bedienung zum Beispiel, weil sie die höhere Informationsdichte, die auf uns zukommt, überhaupt erst beherrschbar macht.
Sind Sie sich denn sicher, dass die Menschen so etwas überhaupt wollen?
Bischoff: Menschen sind soziale Wesen. Sie wollen ständig mit ihren Freunden und der Familie vernetzt sein, wollen wissen, was andere tun. Das muss man auch als Automobilhersteller erkennen und berücksichtigen, das ist ein extrem wichtiger Punkt. Wie Menschen miteinander leben und kommunizieren, müssen wir viel stärker in Mobilitätstechnologien integrieren. Wir sehen das bei VW generell, vor allem aber im Design als Basis unserer Arbeit.
Es geht also auch für Sie nicht mehr nur darum, schnellstmöglich von A nach B zu kommen?
Bischoff: Nein. Mobilität hat ein viel breiteres Spektrum. Das Auto wandelt sich mehr und mehr zu einem mobilen Dienstleister und zum Symbol eines persönlichen Lifestyles.
Was bedeutet das ganz konkret für Ihre Arbeit und Ihre Produkte?
Bischoff: Wir wollen mit unseren Produkten ganz nah an den Bedürfnissen der Menschen sein. Wir bewegen uns also von einem primär technischen Verständnis weg hin zum Menschen als Zentrum unseres Bemühens. Nicht nur das Produkt steht im Vordergrund, sondern der Mensch. Somit wandelt sich auch unser Kundenverständnis ganz grundlegend.
Wie drückt sich das in der Form aus?
Bischoff: Ein Schlüssel für höchste Designqualität ist eine logische, klare Gestaltung. Die daraus resultierende Zeitlosigkeit ist auch ein Teil der Volkswagen-Markenidentität. Gleichzeitig wird das Design aber expressiver, allerdings ohne etwas Aufgesetztes oder Geschminktes. Man sieht die neue Designsprache bereits heute beim Arteon. Er ist quasi ein stilistischer Kompass. Den ausgeprägten Hüftschwung über den Rädern zum Beispiel hätten wir vor ein paar Jahren wohl nicht in dieser Form umsetzen können. Das ist auch Ausdruck einer neuen Unternehmenskultur – und da wird noch mehr kommen. Das war erst der Anfang der Neuorientierung.
Wird es dann als nächstes Projekt einen sinnlichen Golf geben?
Bischoff: Puristische Gestaltung ist Anspruch an Sinnlichkeit. Vergleichen wir es mit einem Schmuckstück: Ein einzelner Stein entfaltet oft mehr Wirkung als ein ganzes Geschmeide. Ein Fahrzeug ist immer auch ein Rahmen für eine Persönlichkeit. Man sagt ja auch, der Golf passt jedem – das ist eben genau dieser Rahmen, der den Menschen und ihrer Persönlichkeit Ausdruck verleiht. Der Golf ist wie ein gut sitzender, dezenter Maßanzug. Nie vordergründig, eher zurückhaltend, immer kultiviert, stilvoll und sympathisch. Mit dieser Strategie wollen wir die beste Marke aller Volumenmarken werden, jedoch mit Premium-Anspruch.
Sie bauen gerade neue Produktwelten mit Blick auf die Elektromobilität auf. Wie unterscheiden Sie da im Design?
Bischoff: Wir entwickeln natürlich unsere Designsprache auch für die klassischen Modelle mit Verbrennungsmotoren weiter. Aber parallel erschaffen wir die neue Welt der Elektroautos. Dazu kommt der Ausbau der SUV-Familie über alle Klassen hinweg. Der neue T-Roc ist markant und authentisch mit extrem ausgeprägten Radhäusern. Auf die progressive Frontgestaltung mit zwei LED-Ringen bin ich sehr stolz. Der neue Touareg dagegen wird das Thema Oberklasse und Luxus für Volkswagen neu definieren. Er steht in einer gewissen Analogie zum Arteon, der sportlich-dynamischen Business-Limousine.
Und was kennzeichnet die I.D.-Familie?
Bischoff: Der I.D. verkörpert Einzigartigkeit. Nehmen wir zuerst die Proportionen. Er hat einen extrem langen Radstand, ganz kurze Überhänge und sehr große Räder. Damit wollen wir die Basis für eine neue Identität schaffen, die in der Kontradiktion zu Autos mit Verbrennungsmotor steht. Die Elektroautos brauchen keine Motorhaube im klassischen Sinn, deshalb können wir den Raum maximal ausnutzen. Die Größe der Innenräume ist klassenüberlegen. Die Gestaltung ist im Prinzip mit wenigen Worten beschrieben.
Wenn man die Logos weglässt – erkennt man ihn aus Ihrer Sicht noch als VW?
Bischoff: Ich glaube, dass man ihn zuerst als futuristisches E-Auto wahrnimmt. Aber die klare Gestaltung, die schnelle – also sehr schräg gestellte – A-Säule und die starke C-Säule sowie die umlaufende horizontale Linie werden ganz eindeutig einen Volkswagen symbolisieren. Uns ist es natürlich sehr wichtig, dabei die Menschen mitzunehmen. Deshalb prüfen wir gerade intensiv bei diversen Designpräsentationen weltweit, wie das neue E-Auto-Design bei den Kunden ankommt.
Brauchen denn die Elektroautos wirklich eine eigene Optik?
Bischoff: Wir legen ja den Hebel richtig um. Wir machen nicht nur ein Auto, sondern gleich eine ganze Familie, die eine eigene, untereinander verbundene Designlinie und Kultur hat. Das gibt Eigen-ständigkeit und Charakterstärke. Der Einfluss des Designs ist deutlich tief greifender geworden als früher. Das freut mich sehr, und ich nehme diese Chance auch wahr. Mir ist das so wichtig, dass ich mich auch persönlich stark einbringe.
Wie sieht das Interieurkonzept aus?
Bischoff: Es ist extrem zurückhaltend und wird auch in der Serie sehr clean sein. Wir werden ein ebenfalls stark reduziertes Bedienkonzept mit Touch-Steuerung haben. Kernstück wird ein sehr innovatives Head-up-Display mit Augmented-Reality-Technologie sein. Die Fläche, die es im Sichtfeld belegen kann, ist sehr groß, mit einer starken Tiefenwirkung. So können wir Informationen bis zu 17 Meter voraus auf die Straße projizieren. Das wird eine neue Art von Interface mit hoher Informationsfülle. Die Augen können dabei auf der Straße bleiben. Diese Technologie wird speziell für die I.D.-Familie entwickelt.
Wie charakterisieren Sie einen SUV wie die Studie Crozz als Teil der I.D.-Familie?
Bischoff: Weltweit sind bei den Kunden SUV angesagt. Deshalb haben wir uns intensive Gedanken gemacht, wie die Proportionen eines SUV der Zukunft aussehen sollen – vor allem wenn er elektrisch angetrieben wird. Was für ein Gefühl wollen wir dem Auto überhaupt mitgeben? Wir haben uns für eine fließende, maskuline Identität entschieden. Die Fronthaube soll Dominanz erzeugen, und wir wollen eine stehende Front, aber keinen klassischen Kühlergrill, da wir den einfach nicht mehr brauchen. Den Platz unter der Haube werden wir dennoch nutzen, möglicherweise bringen wir dort noch einen zweiten Gepäckraum unter. Die Dimensionen sind trotzdem kompakt und entsprechen ungefähr dem Format eines Tiguan.
Wie seriennah ist der I.D. Buzz?
Bischoff: Dieses Auto hat mich meine ganze Karriere begleitet. Seit 15 Jahren versuchen wir, das Microbus-Feeling aufleben zu lassen. Dabei soll maximale Funktionalität gepaart sein mit höchster Emotionalität. Die Studie hat die Außenlänge des aktuellen T6, ein mögliches Serienfahrzeug würde etwas kompakter ausfallen. Es gibt kaum ein anderes Auto auf der Welt, das sympathischer wahrgenommen wird – und eine Ikone der Freiheit darstellt. Und was ist Freiheit? Mobilität!
Die Augen von Klaus Bischoff leuchten. Er ist stolz auf die neue I.D.-Familie und darauf, wie sich die Marke generell entwickelt. Er würde es nie sagen, aber für ihn kommen die personellen Veränderungen bei der Marke einem Befreiungsschlag gleich. Und trotzdem bleibt er ein leidenschaftlicher Teamplayer: Immer wenn er irgendwo auf der Welt eine neue Studie präsentiert, versäumt er es nicht, sich auch via Facebook bei seinen Mitarbeitern zu bedanken und Komplimente zu machen: „Congrats“ .