Robuster Schwede mit Turbo-Dampf im Check

Lässig zoomt das Le-Mans-blaue Coupé von Friedemann Kirn durch das bayrische Voralpenland.
Warum ein schwedischer Flugzeugbauer das Wort "Downsizing" schon kannte, bevor es erfunden war. Und warum Maverick ohne den Saab 900 Turbo niemals abgehoben wäre.
Eine Kawasaki GPZ 900 R Ninja ist 1986 so ziemlich das Coolste, womit ein Kerl unterwegs sein kann. Diesseits einer F-14 natürlich. Trotzdem hätte Tony Scott Lieutenant Pete Mitchell alias Maverick lieber in einen Saab 900 Turbo statt auf ein Motorrad setzen sollen. Weniger weil die Schweden auch Kampfflugzeuge bauten. Eher aus Dankbarkeit, weil er seinen Job als "Top Gun"-Regisseur ohne Saab vermutlich nie bekommen hätte.
Saab 900 galt als Auto für Intellektuelle
Ins Fadenkreuz der Produzenten Don Simpson und Jerry Bruckheimer war der Filmemacher geraten, nachdem er 1983 für einen Werbespot einen Saab-Düsenjäger und einen 900 gemeinsam in Szene gesetzt hatte. Halbdunkle Hangars, Machos mit Pilotenbrillen, heroischer Soundtrack und glühende Nachbrenner: Ähnlichkeiten zur späteren "Top Gun"-Stilistik sind unverkennbar.
Doch so sehr das Video im Gedächtnis geblieben ist, so wenig dürfte es damals bei der Zielgruppe verfangen haben. Zumindest fällt es schwer zu glauben, dass Architekten, Ärzte oder Professoren, die dafür sorgten, dass dem Saab 900 hierzulande bald das Image eines Intellektuellenautos anhaftete, für Militärkitsch made in Hollywood empfänglich waren.
Saab 900 Turbo neu so teuer wie 5er BMW
Eher blätterten die Herren mit Hornbrillen und schwarzen Rollkragenpullis in den hochwertig gedruckten "Form und Funktion"-Broschüren vom Saab-Händler, einer Mischung aus Verkaufsprospekt und Technik-Lehrbuch, und studierten die Besonderheiten der Schwedenautos, die von Akademikern nicht nur gefahren wurden, weil sie intelligent konstruiert waren, sondern auch, weil ihr Kauf eine gewisse Solvenz voraussetzte. Ein 900 Turbo kostete 1991 knapp 50.000 Mark. Damit lag er auf dem Niveau eines Mercedes W 124 oder BMW 5er – beides Autos, die Saab-Käufer bewusst vermieden, sei es, um auf subtile Weise ihre Abneigung gegen das Establishment kundzutun oder weil ihnen die deutschen Premiummarken schlicht zu statusschwanger und zu wenig kreativ waren.
Saab stand für konsequentes Andersdenken. Der 1947 ins Autogeschäft eingestiegene Flugzeugbauer hatte selbstreparierende Stoßfänger erfunden, die bis zu einem Aufpralltempo von acht km/h frei von Blessuren blieben. Wer sonst hatte ein schnittiges Coupé im Programm, das dank umklappbarer Rücksitze und großer Heckklappe den Nutzwert eines Kombis bot? Und vor allem: einen "Motor mit Doppelleben" (O-Ton Hersteller), braver Alltagsantrieb und feuriger Treibsatz zugleich, der "Saab" und "Turbo" später fast zu Synonymen werden ließ.
Sitzposition wie im Flugzeugcockpit
Dass wir es mit einem ungewöhnlichen Auto zu tun haben, wird schon vor dem Einsteigen deutlich. Die Schweller gehen als Teil der Türen mit auf, es gibt also keine dreckigen Hosenbeine. Die aufrechte Sitzposition hinter der konkav gewölbten, steilen Panoramascheibe erinnert an ein Flugzeugcockpit. An das Zündschloss zwischen den Vordersitzen hat man sich schnell gewöhnt. Die Bedienung ist durchdacht und rätselfrei, der Bug wohltuend schlank wie eine Jet-Nase, die Übersicht perfekt.
Besitzer Friedemann Kirn erteilt die Startfreigabe. Mit kehligem Brodeln erwacht der aufgeladene Vierzylinder zum Leben und verfällt in einen rauchig-dunklen Leerlauf. Der kühle Schwede hat ein heißes Herz, das hört man schon. Dem Zweiliter-Aggregat, in den Tiefen seines Blocks das Kind einer in den Sechzigern vor dem britischen Motorenbauer Ricardo geschlossenen Zweckehe mit Triumph, hatten die Ingenieure um Turbo-Papst Per Gillbrand schon 1977 im Vorgänger 99 per Garrett-Lader zusätzliche Power eingeblasen, da war die Aufladung per Abgasturbine noch ein exotisches Privileg von BMW- und Porsche-Sportwagen. Familienautobauer Saab ging es aber nicht etwa um Spitzenleistung, sondern um Überholreserven und einen moderaten Kraftstoffverbrauch im Teillastbetrieb, der über 80 Prozent des Alltagsverkehrs ausmacht.
Downsizing der 70er
Tatsächlich könnten die technischen Erklärungen in Saabs Verkaufsliteratur aus einem populärwissenschaftlichen Essay über Downsizing stammen. Das Motoren-Modewort des Millenniums kannten sie in Trollhättan jedenfalls lange, bevor es erfunden war, und Saabs Konzept wurde noch effizienter, als die Schweden ihr Triebwerk 1984 mit Vierventilkopf und Ladeluftkühler modernisierten und dadurch 160 PS, mit der "roten Box", einem Steuergerät in Signalfarbe, im sportlich aufgebrezelten Topmodell sogar 185 PS, aus ihm herauskitzelten.
Der Turbo 16S mit gestrafftem Fahrwerk und aerodynamischen Schürzen markiert die höchste Ausbaustufe der bis 1994 gebauten ersten 900-Generation und ist bei Saab-Fans nicht ohne Grund am begehrtesten: ein Coupé von starkem Charakter, dezent im Auftritt, zeitlos, eigenwüchsig und markant, von den strömungsgünstigen "Gurkenhobel"-Felgen bis zum großen Heckspoiler, und auch beim Fahren ein erfrischender Kontrast zum Mainstream.
Den Bereich unter 2800/min gönnt sich der schwedische Vierzylinder zum Luftholen. Oberhalb davon zündet der Nachbrenner, der Zeiger der Turboanzeige zuckt plötzlich nach rechts, und wie vom Katapult abgeschossen schnellt das Coupé nach vorn. Clever: Die von Saab erfundene Klopfregelung APC (Automatic Performance Control) passt den Ladedruck der Spritqualität an. Dadurch verträgt der 900er sogar Normalbenzin.
Faszinierende Durchzugsstärke in den Kasseler Bergen
Sein prägendes Charaktermerkmal ist die hohe Durchzugskraft aus der Mitte des Drehzahlbands. In den Kasseler Bergen, wo die Fahrer sechszylindriger BMW Anfang der Neunziger hektisch herunterschalten mussten, um am Rand des roten Bereichs die letzten Pferdestärken einzufangen, traten Saab-Piloten einfach im Fünften aufs Gas und genossen das Gefühl, gleichsam an einem gespannten Gummiseil hängend, jede Steigung einfach einebnen zu können.
Noch heute beherrscht ein Saab 900 das forcierte Überholspur-Pressing mit Bravour. Bis 200 km/h ist er voll bei der Musik moderner und vermeintlich schnellerer Autos, im Innenraum gleichwohl dann nicht mehr leise. Am wohlsten fühlt er sich beim zügig-entspannten Kilometerfressen, birgt seinen Fahrer in straffen, rückenfreundlich konturierten Sitzen und in der Gewissheit jederzeit abrufbarer Reserven, umfächelt ihn dabei mit einer ingeniösen Lüftungsanlage, die beim unterdruckgesteuerten Verstellen ihrer Klappen ächzt wie Darth Vader nach dem Zug an einer Camel ohne Filter. Auch die Straßenlage enttäuscht nicht. Um den Preis eines recht herben Abrollkomforts ist der 900 nicht nur ein gut liegendes, sondern trotz milder Untersteuerneigung für einen Fronttriebler auch sehr agiles Auto.
Auf dem Rückweg von der Foto-Tour im bayerischen Voralpenland vernascht das Le-Mans-blaue Coupé von Friedemann Kirn bummelnde Sonntagsfahrer mit beiläufiger Lässigkeit, zoomt mit zischendem Turbo über die Landstraßen von Dorf zu Dorf. Kurz vorm Ziel am Ammersee setzt dann plötzlich doch jemand zum Überholen an. Es ist ein Motorrad, eine Kawasaki. Der Typ in der Lederkombi geht kurz neben uns längsseits, schaut herüber, reckt den Daumen hoch – und schießt davon. Sieht ganz so aus, als wäre er gut damit klargekommen, wenn Maverick statt einer Kawa einen Saab gefahren hätte.