Die Kunst des Abschiedsnehmens: Praktische Tipps einer "Death Doula"

Sterben und Trauer sind Themen, über die wir in unserer Gesellschaft oft nur ungern sprechen. Doch Abschiednehmen gehört zum Leben - und es gibt Wege, diesen Prozess bewusst und einfühlsam zu gestalten. Charlotte Wiedemann, Kulturjournalistin und ausgebildete "Death Doula" (Sterbeamme), begleitet Menschen am Lebensende und gibt in ihrem Buch "Die Kunst des Abschiednehmens" wertvolle Einblicke. Im Interview teilt sie praxisnahe Tipps, unkonventionelle Rituale und Ratschläge für den Umgang mit Trauernden - von Kindern über Freundinnen und Freunden bis hin zu Familienmitgliedern - und zeigt, wie wir dem Tod offen begegnen können, ohne die Lebendigkeit zu verlieren.
Was genau macht eine "Death Doula" - und wann ist es sinnvoll, eine Begleitung wie Sie dazuzuholen?
Charlotte Wiedemann: Eine "Death Doula" begleitet Menschen am Lebensende - und oft schon viel früher. Wir schaffen Raum, um über Wünsche, Ängste und Bedürfnisse zu sprechen, bevor es zu spät ist. Das kann bedeuten, eine sterbende Person in ihren letzten Tagen, aber auch in ihren letzten Jahren zu unterstützen, das Beziehungsgeflecht dieser Person dabei im Blick zu behalten und zum Beispiel zu helfen, Rituale des Abschieds zu gestalten. Sinnvoll ist eine Begleitung immer dann, wenn die eigene Kraft oder Sprache fehlt, um mit dem Unausweichlichen umzugehen oder eine Perspektive von außen hilft, aus eigenen oder familiären Mustern auszubrechen.
Viele sind sich unsicher im Umgang mit Trauernden: Was sollte man auf keinen Fall sagen oder tun?
Wiedemann: Sätze wie "Er oder sie ist jetzt an einem besseren Ort" oder "Du musst nach vorn schauen" sind gut gemeint, aber sie übergehen den Schmerz. Trauer will nicht repariert werden. Sie braucht Raum, Zeit und Anerkennung. Das Schlimmste, was man tun kann, ist, aus Unsicherheit leere Floskeln zu verwenden - und sich dadurch zu entziehen. Präsenz ist wichtiger als die perfekten Worte.
Und was hilft Trauernden wirklich? Auch im Alltag, wenn die erste Anteilnahme vorbei ist?
Wiedemann: Hilfreich ist, wenn jemand bleibt, wenn andere schon weitergezogen sind. Eine Nachricht Wochen nach der Beerdigung, ein gemeinsamer Spaziergang, praktische Unterstützung im Alltag - das sind Gesten, die tragen. Es geht aber trotzdem weniger darum, etwas zu tun, als vielmehr darum, da zu sein. Die Erfahrung, nicht vergessen zu werden, ist in der Trauer oft heilsamer als jedes Trostwort.
Wie kann man Kinder auf Verlust vorbereiten oder mit ihnen über den Tod sprechen?
Wiedemann: Kinder haben meist weniger Angst vor dem Tod als Erwachsene - sie spüren aber sehr genau, wenn etwas verheimlicht oder beschönigt wird. Offenheit ist entscheidend. Man darf sagen: "Oma wird bald sterben, und das macht uns traurig." Geschichten, Bilderbücher und kleine Rituale helfen, Worte zu finden. Wichtig ist, dass Kinder sich als Teil des Geschehens erleben dürfen - auch beim Abschied.
Viele haben Angst, auf das Thema Tod überhaupt einzugehen. Wie lässt sich diese Hemmschwelle überwinden?
Wiedemann: Indem man beginnt, darüber zu sprechen, bevor der Ernstfall eintritt. Der Tod verliert seinen Schrecken, wenn wir ihn ins Leben holen - in Gesprächen, in Kunst, in Ritualen. Ich glaube, dass in dieser Offenheit viel Freiheit liegt: Wer sich dem Thema stellt, lebt bewusster. Man erkennt, was wirklich zählt.
Können Sie einige unkonventionelle Rituale oder Formen des Abschiednehmens teilen?
Wiedemann: Ich habe Trauerfeiern erlebt, bei denen gemeinsam gekocht, getanzt oder gemalt wurde. Manche Menschen schreiben Briefe an ihre Verstorbenen, andere gestalten Urnen oder Gedenkobjekte selbst. Es geht nicht darum, etwas Außergewöhnliches zu inszenieren, sondern etwas Echtes zu schaffen - einen Ausdruck, der dem gelebten Leben entspricht. Unkonventionell wird es oft genau dann, wenn es wirklich persönlich wird.
Welche Rolle spielt Humor im Umgang mit Sterben und Trauer - darf man lachen?
Wiedemann: Unbedingt. Lachen entlastet, verbindet und erinnert uns daran, dass das Leben auch im Abschied noch Lebendigkeit kennt. Humor ist kein Mangel an Respekt, sondern ein Ausdruck von Menschlichkeit. Oft erzählen Angehörige im Rückblick die schönsten, wärmsten Anekdoten - und lachen dabei mit Tränen in den Augen. Das ist Trauer in ihrer ganzen Tiefe und Bandbreite.
Was kann jeder Mensch schon zu Lebzeiten tun, um Angehörigen das Abschiednehmen leichter zu machen?
Wiedemann: Das Wichtigste ist, Klarheit zu schaffen: Wünsche für die eigene Bestattung, Musik, Worte, vielleicht ein Abschiedsbrief. Aber auch Gespräche zu führen, die sonst verdrängt werden. Wer sich vorbereitet, schenkt den anderen Entlastung und sich selbst Frieden. Abschied beginnt nicht erst mit dem Tod - er ist ein Teil des Lebens, den wir bewusst gestalten können.