So viel Milch trinken die Deutschen - und so wenig wissen sie darüber
Die Deutschen und ihre Milch - das ist eine besondere Beziehung. 96 Prozent der Menschen in Europa konsumieren Milchprodukte, die meisten halten sie für essenziell für ihre Ernährung. Doch zwischen der Vorstellung der Verbraucher und der Realität auf den Milchhöfen klafft eine große Lücke. Das geht aus einer internationalen Verbraucherstudie des EU-Programms "Enjoy, it's from Europe" hervor.
Diese Wissenslücke hat Diplom-Psychologe Jens Lönneker intensiv erforscht. Im Podcast "Let's talk Milch" der Initiative Milch klärt er mit Branchenexpertin Melanie Wegener, wie moderne Milchwirtschaft funktioniert. "Wir kämpfen tagtäglich mit diesen überholten Narrativen", sagt Wegener, Kommunikatorin bei der größten deutschen Molkerei-Genossenschaft DMK. Viele Kinder wüssten nicht einmal mehr, wo die Milch herkomme.
Falsche Bilder prägen die Vorstellung
Das Problem beginnt bereits bei der Bildsprache. Ein Landwirt kniet neben einer Kuh, Tier und Mensch in Symbiose glücklich vereint - solche Motive sollen vermitteln, dass das Tier gut behandelt wird. "Die Bildsprache wird gezielt eingesetzt, um eine psychologische Wirkung zu erzielen", erklärt Lönneker. Doch gekünstelte Bilder können die Realität verzerren und zu falschen Vorstellungen von moderner Kuhhaltung führen.
Der Tiefenpsychologe hat vier große Narrative identifiziert, mit denen sich Verbraucher ein Bild der Milchwirtschaft zurechtlegen. Diese basieren häufig auf persönlichen Eindrücken und Spekulationen: Ein Trecker mit Güllefass, ein Melkkarussell, TV-Sendungen wie "Bauer sucht Frau". Schon entstünden Vorstellungen vom vermeintlich rückständigen Bauern. Und dann gebe es das positiv besetzte Narrativ des Ökobauern im Landidyll. "Das ist Bullerbü und hat mit landwirtschaftlicher Realität nichts zu tun", so der Psychologe.
Dreiviertel der Menschen in Europa leben in Städten - ihnen fehlt der Bezug zur Landwirtschaft. Sie bekommen selten mit, dass immer mehr Milchhöfe technisch hochmodern ausgerüstet sind. Die Kühe könnten selbst entscheiden, wann sie gemolken werden, aus der Gülle werde in Biogasanlagen Strom hergestellt. "Für viele Menschen bedeuten Technologie und Effizienz gleich schlechter Umgang mit Tieren. Dabei bieten gerade die modernen Höfe positive Effekte und Vorteile für die Tiere", betont Wegener. In der agrarischen Kreislaufwirtschaft würden Ressourcen effizient genutzt und Abfälle recycelt; viele Landwirte bauen demnach ihre Futtermittel selbst an und tracken ihre Emissionen, um ihre CO2-Bilanz zu verbessern, so Wegener. Zudem gebe es auf EU-Ebene viele Programme, die Austausch fördern, zum Beispiel Transparenz-Initiativen zu Biodiversität oder CO2-Reduktion.
So konsumieren die Deutschen
Doch wie konsumieren die Deutschen eigentlich? Ein Drittel (33 Prozent) hält Milchprodukte für einen essenziellen Bestandteil ihrer Ernährung, weitere 39 Prozent immerhin für wichtig - mehr als in anderen europäischen Ländern. Im Ernährungsmix belegen Milchprodukte allerdings nur den geteilten vierten Platz nach Gemüse (28 Prozent), Obst (14 Prozent), Geflügel (11 Prozent) - zusammen mit Fleisch erreichen Milchprodukte einen Anteil von 8 Prozent.
Beim Blick auf die Geschlechter zeigen sich deutliche Unterschiede. Frauen konsumieren häufiger Milchprodukte als Männer - 31 Prozent gegenüber 21 Prozent. Gleichzeitig sind es ebenfalls Frauen, die öfter zu pflanzlichen Alternativen greifen. Ein scheinbarer Widerspruch, der sich bei genauerem Hinsehen auflöst: Frauen setzen insgesamt bewusster auf Abwechslung in ihrer Ernährung.
Was treibt die Deutschen an, wenn sie zur Milchtüte greifen? Nährwert, Gewohnheit, Geschmack und Bequemlichkeit stehen ganz oben auf der Liste. Bei der konkreten Kaufentscheidung im Supermarkt spielen Preis, Geschmack, Haltbarkeit, Nährwert und Tierwohl ebenfalls eine große Rolle. Umweltaspekte spielen hingegen eine untergeordnete Rolle - nur zehn Prozent nennen sie als Kaufgrund. Auch bei den Konsumbedenken rangierten das Klima auf Rang drei - nach Tierwohl und Lebensmittelverschwendung (beide 41 Prozent).
Beim Joghurt offenbaren sich die Ernährungstrends besonders deutlich. Fast die Hälfte der Deutschen bevorzugt fettarme oder proteinreiche Varianten - ein klares Signal für wachsendes Gesundheitsbewusstsein. Probiotische Joghurts, die gut für die Verdauung sein sollen, sind besonders bei 36- bis 45-Jährigen und bei Eltern beliebt.
Warum manche auf Milch verzichten
Doch nicht alle Deutschen sind Milch-Fans. Wer wenig oder gar keine Milchprodukte konsumiert, hat dafür verschiedene Gründe. Ein Faktor überrascht: 40 Prozent der Wenig-Konsumenten nennen Tierschutzbedenken als Hauptgrund - hier setzt die Studie von Psychologe Lönneker an. Laktoseintoleranz und Geschmackspräferenzen spielen ebenfalls eine Rolle. Bemerkenswert: Frauen berichten häufiger über Laktoseintoleranz als Männer - 35 Prozent gegenüber 26 Prozent.
Die jüngste Generation zwischen 18 und 24 Jahren fällt durch eine besonders hohe Geschmacksabneigung auf: 36 Prozent mögen schlicht den Geschmack von Milch nicht, während es im Durchschnitt nur 22 Prozent sind. Hier deutet sich ein Generationenwandel an.