Pirelli verschweigt Neukonstruktion
In Australien kam eine unglaubliche Geschichte ans Licht: Demnach soll Pirelli beim GP Brasilien einen neuen Reifentyp eingeführt haben, ohne dass die Teams etwas davon wussten.
Pirelli hat mit Bernie Ecclestone einen Vertrag für 2017 bis 2019 abgeschlossen. Der Vertrag mit der FIA ist jedoch immer noch immer nicht unterschrieben. "Die Anwälte brüten schon über dem Papierkram", erklärte Pirelli-Sportchef Paul Hembery in Melbourne.
Es ist kein Geheimnis, dass FIA-Präsident Jean Todt eher Michelin als Reifenpartner favorisiert. Und dass die Teams von Pirelli Reifen fordern, die nicht unwiederbringlich einbrechen, wenn sie einmal zu hart gefordert wurden.
Der jüngste Vorfall wird das Vertrauensverhältnis zwischen FIA, den Teams und Pirelli weiter belasten. Bei einem Meeting zwischen den Technikdirektoren und FIA-Rennleiter Charlie Whiting kam eine unglaubliche Geschichte ans Licht: Angeblich hat Pirelli schon beim GP Brasilien 2015 einen neuen Reifentyp eingeführt, ohne dass die FIA oder irgendein Team davon wussten.
Es soll sich um die Reifen handeln, die dann offiziell 2 Wochen später in Abu Dhabi nach dem Saisonfinale getestet wurden. Also die Reifen mit der doppellagigen Lauffläche. Die laut Hembery allerdings nicht den Zweck erfüllt, den sie erfüllen sollte.
Sie war als Vorwarnsystem für die Fahrer gedacht, wenn der Reifen zu stark abgefahren ist. Ein Technikchef meinte zu auto motor und sport: "Wir sind uns nicht mehr sicher, was wir in Abu Dhabi überhaupt getestet haben."
Pirelli-Mann deckt Reifen-Update auf
Die Geschichte kam ans Licht, weil ein für Lotus abgestellter Pirelli-Techniker offenbar aus Versehen eine E-Mail aus dem Pirelli-Hauptquartier mit der Information über den neuen Reifentyp an die Lotus-Technikabteilung weitergeleitet hatte. Dieser angeblich neue Reifentyp soll sich inzwischen als der alte herausgestellt haben. Das schürte den Verdacht, dass der Test im letzten Jahr nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht hat und Pirelli daraufhin zu den bewährten Reifen zurückkehrte.
Großen Einfluss hatte die Reifenänderung für die letzten zwei Grand Prix des Jahres 2015 nicht. Das Kräfteverhältnis blieb gleich. Die Beteiligten sind trotzdem sauer. Der Reifenlieferant ist verpflichtet, technische Änderungen am Reifen mit den Teams und der FIA zu kommunizieren. Die Frage ist, ob diese Affäre Konsequenzen haben wird.
Auf die Ernüchterung folgte eine der konstruktivsten Sitzungen in der Geschichte der Technik-Kommission. Die Technikchefs diktierten Pirelli, was sie von den Reifen für 2017 erwarten. Und Pirelli versprach, alles einzuhalten.
Die Teams wollen einen Reifen, der unter allen Bedingungen von der Konstruktion her eine komplette Renndistanz hält. Und zwar ohne, dass man die Reifen aus Sicherheitsgründen auf über 20 PSI aufpumpen muss. Tatsächlich sind bereits jetzt viele Autos während des Rennens illegal. Weil bei Safety-Car-Phasen die Drücke unter die Werte fallen, die von Pirelli vorgeschrieben werden.
Die Teams fordern auch einen Reifen, der bei aggressiver Fahrweise nicht sofort einbricht und sich dann nie wieder erholt. Das wurde als eines der Hauptprobleme beim Überholen identifiziert. Wenn der nachfolgende Fahrer zu dicht auffährt und Abtrieb verliert, beginnen die Reifen durch das Rutschen zu überhitzen. Sie sind dann für ein Überholmanöver unbrauchbar.
Test-Basis ist ein aufgerüstetes 2015er Auto
Gewünscht sind Reifen, die abhängig von der Gummimischung nicht nur unterschiedlich Grip entwickeln, sondern auch genauso dezidiert unterschiedlich abbauen. Ein Ingenieur erklärt: "Die Unterschiede der einzelnen Reifentypen müssen so sein, dass der weichere Reifen mehr Rundenzeit bringt, aber entsprechend mehr verschleißt. So dass unter dem Strich, der harte Reifen ohne Boxenstopp so schnell ist wie der weiche Reifen mit Boxenstopp. Das würde viel mehr Strategien erlauben."
In der Frage, wie die breiteren Reifen für 2017 ab Juni getestet werden sollen, ist man einen kleinen Schritt weiter. Man einigte sich darauf, dass die Basis ein 2015er Auto sein soll, das aerodynamisch auf 25 Prozent mehr Abtrieb hochgerüstet wird.
Dabei stehen aber noch einige Hindernisse im Weg: HaasF1 hat kein 2015er Auto. Teams, die über den Winter den Motorhersteller gewechselt haben, kommen für die Testfahrten ebenfalls nicht in Frage. Und dann ist da noch die Frage, ob die zusätzliche Windkanal- und CFD-Zeit zum 25/25-Kontingent zählt oder nicht. Falls nicht, wäre das für die betreffenden Teams ein Geschenk, weil man bereits 2017er Entwicklungen in den Testträger einfließen lassen könnte.