Rennanalyse GP Brasilien 2019
Nach dem verrückten Rennen von Sao Paulo gab es viel zu analysieren. Wir blicken auf die entscheidenden Szenen und beantworten die wichtigsten Fragen. Zum Beispiel, wie Mercedes in der Schlussphase ein Anfängerfehler unterlaufen konnte.
Wie kam Verstappen an Hamilton vorbei?
Mercedes erkannte im ersten Stint von Sao Paulo relativ schnell, dass Max Verstappen an diesem Tag mit normalen Mitteln nicht zu schlagen ist. Wegen der im Vergleich zum Training deutlich höheren Temperaturen schwankten die Strategen zwischen einer Einstopp- und einer Zweistopp-Taktik. Und so fiel die Entscheidung am Kommandostand, Red Bull mit einem aggressiven frühen Boxenstopp herauszufordern.
„Wir lagen gerade so im Undercut-Fenster“, erklärte Technikchef James Allison, der für den abwesenden Teamchef Toto Wolff in Interlagos das Zepter schwang. „Dann half uns auch noch Robert Kubica, der Max in der Boxengasse etwas einbremste. Und schon lagen wir auf der Strecke plötzlich vorne.“
Eigentlich dachte man im Mercedes-Lager, dass Hamilton die Führung ähnlich locker verteidigen würde, wie zuvor Verstappen. „ Doch um den Undercut erfolgreich durchzuführen musste Lewis auf den schnellen Runden in und aus den Boxen fast seine gesamte Elektro-Energie einsetzen. Als es dann die Zielgerade den Berg hinauf ging, war nichts mehr da und er wurde zur leichten Beute.“
Gerne hätte Mercedes in der ersten Safety-Car-Phase noch einmal einen Angriff per Boxenstopp gewagt. Doch Red Bull kam Hamilton zuvor. Für Teamchef Christian Horner war das keine leichte Entscheidung: „Wir wussten, dass Lewis reinkommt, wenn wir es nicht tun. Aber wenn man mit relativ frischen Reifen in Führung liegt, kostet es etwas Überwindung, die Position freiwillig abzugeben.“ Mit frischen Reifen machte Verstappen dann beim Restart aber erneut kurzen Prozess mit Hamilton und fuhr am Ende locker zum dritten Saisonerfolg.
Zum Dank durfte Strategin Hannah Schmitz die Trophäe für das Siegerteam auf dem Podium in Empfang nehmen: „Hannah wurde letztes Jahr Mutter und ist nach ihrer Babypause wieder in den Job zurückgekehrt. Sie pendelt jeden Tag vier Stunden mit dem Auto in die Fabrik. Aber sie ist immer mit Leidenschaft dabei und hat heute die richtigen Entscheidungen getroffen. Da fand ich es nur angebracht, dass sie den Pokal entgegennimmt. Sie ist ein wichtiges Mitglied unseres Teams und ein tolles Beispiel für alle arbeitenden Mütter.“
Warum schickte die Rennleitung das Safety-Car raus?
Als Valtteri Bottas in Runde 54 mit einem rauchenden Heck ausrollte, da sah es zunächst nicht so aus, als müsse das Safety-Car ausrücken. Der Mercedes parkte relativ sicher innen in Kurve vier. Doch die Streckenposten schafften es nicht, das havarierte Auto hinter die Bande zu bugsieren. „Der Mercedes hat sich keinen Millimeter bewegt, weil er mit dem Unterboden auf einem kleinen Hügel aufsetzte“, klärte FIA-Rennleiter Michael Masi auf. „ Wir haben die Stelle erst mit doppelten gelben Flaggen abgesichert. Doch als wir den Bergekran einsetzen mussten, war klar, dass automatisch auch das Safety-Car kommen muss.“
Die genaue Ursache für den Motorschaden hatte Mercedes direkt nach dem Rennen noch nicht parat. Die Ingenieure bemerkten in den Daten nur, dass der Antrieb überdurchschnittlich viel Öl verbraucht. „Dann ging irgendwann einfach nichts mehr weiter“, zuckte Technikchef Allison mit den Schultern. Weil beim Einsatz eines alten Triebwerks im Saisonfinale von Abu Dhabi das gleiche Problem droht, ist die Chance hoch, dass Bottas einen neuen Motor einsetzen muss und dadurch eine Startplatzstrafe kassiert.
Wer hatte Schuld am Ferrari-Crash?
Sebastian Vettel hatte bereits fast 18 Sekunden auf Teamkollege Charles Leclerc herausgefahren, als das Rennen in Runde 54 neutralisiert wurde. Wie bei Red Bull entschied sich auch Ferrari Leclerc in der Safety-Car-Phase mit frischen Reifen zu bestücken. Und so machte der Monegasse kurz nach dem Restart direkt Jagd auf das Schwesterauto.
In Kurve 1 presste sich der Youngster vorbei. Doch Vettel gab sich nicht geschlagen. Auf der anschließenden Gerade wurde außen der Konter gestartet. Der Heppenheimer war schon fast vorbei am Schwesterauto, als sich sein linkes Hinterrad mit dem rechten Vorderreifen Leclercs verhakte. Bei hohem Tempo hatte die kleine Berührung gravierende Auswirkungen. Leclerc musste mit gebrochener Aufhängung in die Auslaufzone. Bei Vettel löste sich der linke Hinterreifen auf, was ebenfalls zur vorzeitigen Aufgabe führte.
Leclerc war sich keiner Schuld bewusst: „Ich wusste, dass Seb auf der Außenseite angreift und habe ihm etwas Platz gelassen. Ich bin auf meiner Linie geblieben, als er versucht hat, mich etwas nach innen zu drücken. Dann haben wir uns berührt.“ Die FIA-Kommissare untersuchten den Zwischenfall, kamen aber zu dem Ergebnis, dass beide Fahrer den Unfall hätten verhindern können. Deshalb gab es keine Strafe.
Teamchef Mattia Binotto wollte sich nach dem Rennen nicht zur Schuldfrage äußern. Die Situation soll unter der Woche in Maranello in Ruhe analysiert werden. Viele fragten sich, warum Ferrari seine Piloten überhaupt gegeneinander fahren ließ. „Wir hatten den zweiten Platz in der Konstrukteurswertung gesichert. Deshalb durften die Piloten um ihre eigene Position in der Fahrer-WM kämpfen. Frei fahren heißt aber nicht dumme Dinge zu tun“, stellte Binotto klar. „Man muss auf der Strecke stets das richtige Maß in Sachen Risiko wählen. Das Risiko war heute unnötig. Für mich war das einfach eine dumme Aktion.“
Warum wurde Hamilton am Ende noch einmal an die Box geholt?
Der Ferrari-Crash löste sechs Runden vor dem Ende die zweite Safety-Car-Phase aus. Bei Mercedes witterte man plötzlich eine Chance, das Rennen doch noch zu gewinnen. Hamilton wurde zum Last-Minute-Boxenstopp gerufen. „Das war einfach nur doof. Wir dachten, dass wir eine Position im Austausch für frische Reifen verlieren würden. Und dass es anschließend noch genügend Runden gibt, um einen Angriff auf die Spitze zu starten. Doch dabei haben wir komplett falsch gelegen“, gab Allison in schonungsloser Ehrlichkeit zu.
„Wir haben nicht nur einen Platz gegen Albon verloren sondern noch einen zweiten gegen Gasly. Und durch die Menge an Trümmerteilen auf der Strecke blieb das Safety-Car deutlich länger draußen als angenommen. Das war wirklich ein Anfängerfehler von uns. Wir wollten mit einem etwas zu langsamen Auto einfach zu viel erreichen. Als Lewis hinter Gasly auf die Strecke kam, wurde uns direkt klar, dass es ein Fehler war.“
Mit nur noch zwei Runden auf der Uhr machte das Safety-Car die Bahn frei. Gasly konnte Hamilton schnell aufschnupfen, doch gegen Albon ging der Weltmeister im Infield etwas zu ungestüm vor. Der Thailänder wurde rüde von der Bahn und somit auch vom Podium gekickt. „Das war klar mein Fehler. Ich muss mich bei Alex entschuldigen“, gestand Hamilton anschließend. Weil der Fall so klar war, schickte Mercedes nicht einmal einen Vertreter zur FIA-Untersuchung. Die Fünf-Sekunden-Strafe warf Hamilton von Rang drei auf Platz sieben zurück.
Wie kamen Gasly und Sainz zum ersten Podium?
Die Ausfälle von Bottas und den beiden Ferrari sowie die Strafe gegen Hamilton sorgte am Ende dafür, dass zwei Plätze auf dem Podium durch Mittelfeld-Teams besetzt wurden. Pierre Gasly hielt sich das ganze Rennen über immer an der Spitze der Verfolger auf und wurde am Ende mit Rang zwei belohnt. Teamchef Franz Tost wollte das Ergebnis aber nicht überbewerten: „Der zweite Platz war natürlich Glück. Ich habe mich schon persönlich bei Binotto bedankt. Aber Pierre ist sehr clever gefahren. Er hat vor allem zu Beginn des Rennens die Reifen sehr gut am Leben gehalten. Er hat seinen Verfolgern nie die Chance zum Angriff gegeben. Das war sicher eines seiner besten Rennen.“
Bei Toro Rosso setzte man wegen den hohen Temperaturen am Rennsonntag auf eine Zweistopp-Strategie, die am Ende aufging. Manch einer wunderte sich nur, warum Gasly in der letzten Runde nicht einfach Hamilton vorbeiließ, um keine Kollision zu riskieren und das Podium zu sichern. Außerdem drohte dem Briten ja noch die Strafe. „Man unterbricht einen Piloten nicht, der sich im Zweikampf befindet“, erklärte Tost. „Würde man ihm sagen, dass er den Verfolger vorbeilassen soll, dann hätte er das nicht verstanden. Deshalb haben wir ihn kämpfen lassen.“
Mit Carlos Sainz feierte noch ein weiterer Pilot sein erstes Podium. Der Spanier hatte es nach seinem Motorenproblem im Qualifying aber deutlich schwieriger, sich vom letzten Startplatz durchs Feld zu tanken. „Wir haben uns für eine riskante Einstopp-Taktik entschieden“, berichtete Teamchef Andreas Seidl später. „Das war nicht ganz einfach mit Soft und Medium. Carlos ist einen langen Stint über 41 Runden gefahren. Das war ein Pokerspiel. Wir haben ihn dann während der Safety-Car-Phase einfach draußen gelassen, in der Hoffnung, dass er am Schluss irgendwie überlebt.“
Die letzte Safety-Car-Phase half Sainz dabei, sich vor den Verfolgern auf Platz vier über den Zielstrich zu retten. Die Hamilton-Strafe bescherte dem Madrilenen dann nachträglich das erste Podium. Kurz sah es dann aber so aus, als müsse McLaren den Pokal doch noch abgeben. Alfa Romeo hatte der FIA gemeldet, dass Sainz mit offenem DRS-Flügel am havarierten Bottas-Mercedes vorbeigerast war, als dort doppelt gelb geschwenkt wurde. „Wir haben uns das angeschaut“, verriet Rennleiter Masi. „Carlos hatte zwar den Flügel offen, aber das ist keine automatische Strafe. In den Daten haben wir erkannt, dass er Tempo rausgenommen hat. Das war das Entscheidende.“
In der Galerie zeigen wir Ihnen noch einmal die Highlights des Rennens von Sao Paulo.