Siegreiche Mercedes Silberpfeile
So wie in der Saison 2014 fuhr Mercedes der Konkurrenz schon lange nicht mehr um die Ohren. Der Werksrennwagen vom Typ AMG W 05 wurde damit ein würdiger Nachfolger der alten Titelgewinner.
Das Jahr 1932 war nicht der beste Moment, um über neue Rennwagen nachzudenken. Der Schwarze Freitag vom Oktober 1929 mit dem Crash der New Yorker Börse und die folgende Weltwirtschaftskrise hatten den Markt für edle und entsprechend teure Automobile auf mikroskopische Größe schrumpfen lassen.
Das teure Reklame-Instrument Motorsport mochten sich die Hersteller oft nicht mehr leisten, und es war ein schieres Wunder, dass Manfred von Brauchitsch 1932 das Avus-Rennen gewinnen konnte. Er fuhr einen mit silbernen Aluminiumblechen verkleideten Mercedes.Benz SSKL. Sogar das frühere Mercedes.Ass Rudolf Caracciola, jetzt im viel moderneren Alfa Romeo, wurde überholt − Aerodynamik als Zauberwort.
Doch zwei Jahre später kehrte das Werks-team von Mercedes zum internationalen Motorsport zurück. Die neue GP-Formel setzte ein Maximalgewicht von nur 750 Kilogramm für die Rennwagen fest, ohne Reifen, ohne Öl, ohne Wasser und Kraftstoff.
Mercedes mit 646 PS auf dem Prüfstand
Alfred Neubauer, sozusagen Rennleiter im Wartestand, hatte im September 1932 bereits für den Einsatz von fünf Wagen plädiert. Chefingenieur Hans Nibel wählte einen Stahlrahmen aus U-Profilen, ein mit der Hinterachse verblocktes Transaxle-Getriebe und eine Kardanwelle, die, über Zwischen-Zahnräder eine Handbreit nach unten versetzt, nur knapp über der Straßenoberfläche rotierte – so konnte der Fahrersitz des Monopostos tief ins Chassis hineinwandern.
Der Motor orientierte sich an dem des neuen Mercedes 380: acht Zylinder in Reihe, aber 3,4 Liter Hubraum, zwei obenliegende Nockenwellen und vier Ventile pro Zylinder. Das Konzept war ausbaufähig.
Bis zum Jahr 1937 sollten die Reihen-Achtzylinder Dienst tun, zum Schluss mit fast dem doppelten Hubraum und, auf dem Prüfstand, martialischen 646 PS Leistung.
Mythos der Silberpfeile
Doch 1934 begann bescheidener. Für das Avus-Rennen im Mai reichte es zwar nicht mehr, doch am folgenden ersten Juni-Wochenende traten die neuen Mercedes Silberpfeile auf dem Nürburgring an. Das Eifelrennen konnte Manfred von Brauchitsch im neuen Silberpfeil prompt für sich entscheiden.
Der Mythos um die Mercedes.Rennwagen trat in eine neue Phase. Außer dem Sieg beim Eifelrennen gab es einen zweiten Platz im Großen Preis von Deutschland, Siege bei der Coppa Acerbo und im Grand Prix von Italien, dazu einen Doppelsieg im GP Spanien. Luigi Fagioli, Rudolf Caracciola und von Brauchitsch bildeten das erfolgreiche Fahrertrio der Saison 1934. Um die Europameisterschaft wurde freilich in diesem Jahr noch nicht gefahren. Dieser neue Titel, der heutigen Weltmeisterschaft entsprechend, blieb dem folgenden Jahr vorbehalten.
Der Mercedes W 25 geht erstarkt in das Rennjahr 1935. Schon im vergangenen August hatte der M-25-B-Motor debütiert, mit vier Litern Kapazität und 398 PS Leistung. Gegen die Silberpfeile aus Untertürkheim ist kein Kraut gewachsen. Sie siegen im GP Monaco, auf dem schnellen Kurs von Tripolis und auf der noch schnelleren Avus. Auf den Betongeraden kommen die W 25 an die 300-km/h-Grenze. Das große Problem sind die Reifen.
"Caratsch" ist Europameister
Dem Doppelsieg im GP von Frankreich folgen 1935 sage und schreibe drei Wiederholungen: 1. und 2. Platz für die W 25 im Grand Prix Barcelona, in den Großen Preisen von Belgien und der Schweiz. Zum Saisonende dann ein weiterer Paukenschlag: Der Grand Prix von Spanien erlebt auf den ersten drei Plätzen drei Mercedes W 25 mit den Fahrern Caracciola, Fagioli und von Brauchitsch. "Caratsch", wie seine Freunde ihn nennen, ist am Ende der Saison der erste Europameister.
1936 sammeln die W 25 noch Erfolge in Monaco, in Tripolis und in Barcelona, aber der prestigeträchtige Titel des Europameisters geht in diesem Jahr an Bernd Rosemeyer mit dem Auto Union V16.
Für 1937 greift Renn-Ingenieur Uhlenhaut tief in die Trickkiste. Der W 125 entsteht, nun aber mit Ovalrohr-Rahmen, hinten mit einer De-Dion-Doppelgelenkachse und Drehstabfederung, vorne mit doppelten Querlenkern und Schraubenfedern, wie sie prinzipiell auch im Mercedes 230 zum Einsatz kommen.
Mercedes W 125 erreicht 390 km/h
Das mögliche Spitzentempo etwa auf der Avus wird mit riesigen 24-Zoll-Antriebsrädern noch einmal gesteigert. Normalerweise rollt der W 125 auf 19-Zoll-Rädern. Auf der Berliner Hochgeschwindigkeitspiste erreicht er mit einer Stromlinien-Karosserie 390 km/h. Der 5,7 Liter große Achtzylinder leistet knapp 600 PS, auf dem Prüfstand sogar 646.
Caracciola wird mit dem Mercedes W 125 erneut Europameister, das Avus-Rennen von 1937 bleibt auf Jahrzehnte hinaus das schnellste Rennen der Welt. Auto-Union-Pilot Bernd Rosemeyer fährt mit 276 km/h Schnittgeschwindigkeit den Rundenrekord.
Für die Saison 1938 werden die Karten neu gemischt: Mercedes erwägt sogar, einen 4,5-Liter-Saugmotor mit 24 Zylindern zu bauen, greift dann aber doch auf einen Kompressor-V12 zurück, der in die neu vorgeschriebene Dreiliter-Kategorie für aufgeladene Motoren passt. 1938 noch mit zwei Roots-Gebläsen bestückt, erhält der V12 1939 einen zweistufigen Kompressor. Leistet die M-154-Version von 1938 zwischen 397 und 465 PS, kommt das weiterentwickelte M-163-Aggregat 1939 auf 483 Pferdestärken.
Die Erfolgsbilanz der Dreiliter-Silberpfeile ist beeindruckend. 1938 gibt es Dreifach-Siege in Tripolis, Frankreich und der Schweiz, einen Doppelsieg beim GP Deutschland und Siege bei der Coppa Ciano und der Coppa Acerbo. Rudolf Caracciola wird zum dritten Mal Europameister.
Ab 1954 2,5-Liter-Saugmotoren
1939 folgt ihm auf dem Mercedes W 154 ein ehemaliger Rennmonteur: Hermann Lang. Der einstige Nachwuchsfahrer entscheidet die GP von Pau, Tripolis, Belgien, Deutschland und der Schweiz für sich, dazu das Wiener Höhenstraßen-Rennen und das Internationale Eifelrennen. Der Zweite Weltkrieg zerstört die großartige Verbindung von Silberpfeil und neuem Ausnahmetalent.
Für die Saison 1954 gilt ein neues Reglement, das in der nun neuen Formel 1 die 2,5-Liter-Saugmotoren favorisiert. Rennleiter Alfred Neubauer, zeitweise Kolumnist von auto motor und sport, nörgelt: "Der Konstrukteur muss sich auf ausgetretenen Pfaden bewegen." Doch die Männer um Chefingenieur Fritz Nallinger und Versuchsleiter Uhlenhaut zaubern einen technisch kaum schlagbaren Formelwagen zusammen.
Mercedes W 196 sichert Fangio die WM
Der W 196 wird von einem Reihen-Achtzylinder mit Mittelabtrieb befeuert, die Ventile schließen desmodromisch, dazu Einzelradaufhängung mit innenliegenden Bremstrommeln. Bei leerer und damit leichter werdendem Tank verstellt sich automatisch die Federhärte. Der Argentinier Juan Manuel Fangio sichert sich damit die Weltmeisterschaften 1954 und 1955.
Es folgt eine Pause im Spitzensport. 1989 gewinnt der Sauber-Mercedes-Prototyp die 24 Stunden von Le Mans. Ab 1993 liefert Mercedes GP-Motoren, seit 2010 gibt es wieder ein offizielles F1-Werksteam. Die Saga der silbernen Siege geht weiter.
Info
Das Meisterauto 2014: wahrlich eine Klasse für sich
Der Mercedes AMG W05 fuhr 2014 in einer eigenen Klasse. 19 Starts, 16 Siege, elf davon im Doppelpack, 18 Pole-Positions, zwölf schnellste Runden, 31 Podiumsplatzierungen, 701 Punkte und 978 Führungsrunden sind stille Dokumente einer selten gesehenen Überlegenheit, höchstens vergleichbar mit dem Durchmarsch von McLaren-Honda 1988 oder von Ferrari in den Jahren 2002 und 2004. Der Silberpfeil moderner Prägung hatte nur eine Schwäche: Hin und wieder streikte die Technik. Nach Rennkilometern liegt der Mercedes hinter McLaren und Ferrari nur auf Rang drei. An vier von fünf Ausfällen war ein Defekt schuld.
Nico Rosberg wurde bei seinem Angriff auf den Titel beim Finale in Abu Dhabi durch Schäden in der Stromversorgung und an der Kühlpumpe für die Elektromotoren gebremst. Mercedes schlug die Gegner mit Vorsprung durch Technik. Lewis Hamilton und Nico Rosberg hatten nicht nur den Vorteil der besten Antriebseinheit. Sie saßen auch im besten Chassis mit der besten Aerodynamik. Im Scheitelpunkt der schnellen Kurven waren sie um bis zu 15 km/h schneller als ihre Verfolger. An der Aerodynamik wurde bis zum letzten Rennen gefeilt. Die meisten anderen Teams stellten die Weiterentwicklung schon im Sommer ein. So kam es, dass Mercedes mit einer Ausbaustufe beim GP Japan noch einmal vier Zehntelsekunden auf die Rivalen gewann.
Die Antriebseinheit wurde seit 2010 konsequent für den Tag X entwickelt. Keiner steckte so viel Zeit, so viel Geld und so viele Ideen in die neue Hybridformel wie Mercedes. Zwei Beispiele: die Trennung von Turbine und Verdichter und der kurze Auspuff. Der V6-Turbo und seine beiden Elektromotoren gaben im Zusammenspiel rund 820 PS ab. Das waren bis zu 60 PS mehr als bei den Konkurrenzprodukten von Ferrari und Renault. Trotz der höheren Leistung hatte Mercedes auch beim Spritverbrauch einen Vorteil: dank effizienterer Verbrennung und besserer Nutzung der vom Turbolader betriebenen Elektromaschine MGU-H.