Licht und Schatten bei Ferrari

Der Yas Marina Circuit ist keine Ferrari-Strecke. Trotzdem schaffte Charles Leclerc den Sprung ins Q3. Für Sebastian Vettel war wieder mal nach der zweiten K.O.-Runde Schluss. Sieben Zehntel Abstand deuten an, dass die Reifen nicht im Fenster waren. Vettel glaubt nicht daran.
Ferrari hat sich für das Saisonfinale keine Wunder versprochen. Weil Abu Dhabi historisch noch nie eine gute Strecke für Ferrari war. Und weil es in der Theorie mit dem 2020er Auto und seinen Defiziten noch schwerer werden sollte. Deshalb darf man schon von einer kleinen Überraschung sprechen, dass Charles Leclerc sicher in die Top Ten der Startaufstellung gefahren ist, und das auch noch auf den Medium-Reifen. Im Q3 hatte er dann sein Pulver verschossen. Seine Q1-Runde war die schnellste. "Ich habe im Q3 meinen Rhythmus verloren, speziell im letzten Sektor, in dem ich vorher noch so gut war. Das Gefühl für den Soft-Reifen, das ich noch im Q1 hatte, war weg", ärgerte sich Leclerc.
Mit der neuntschnellsten Zeit hatte sich die ganze Arbeit, die er investiert hatte, um ins Q3 zu kommen, nur halb gelohnt. Die Startplatzstrafe wirft Ferraris Speerspitze hinter Pierre Gasly und die beiden Renault zurück, direkt vor Teamkollege Sebastian Vettel. "Da bringt mir auch der Medium-Reifen nichts mehr, auf dem ich mich im Q2 qualifiziert habe. Die Leute um mich herum können frei wählen und werden das Gleiche tun", fürchtet Leclerc.
Für Ferrari-Sportdirektor Laurent Meckies brachte die letzte Qualifikation trotzdem eine positive Erkenntnis. "Wir hatten früher immer im letzten Sektor Probleme. Heute waren wir unter den Schnellsten dort. Das lässt uns für die Zukunft hoffen." Tatsächlich fuhren nur Max Verstappen und Valtteri Bottas schneller durch die elf Kurven.
Vettel zufrieden mit Runden
Sebastian Vettel beendete seine letzte Qualifikation für Ferrari auf dem 13. Platz. Eigentlich ein Resultat, um sich zu ärgern. Zumal im direkten Vergleich zu Leclerc 0,699 Sekunden fehlten. Dabei war Vettel noch auf Soft-Reifen unterwegs, sein Teamkollege jedoch auf den härteren Medium-Gummis. Damit war der Abstand wieder auf ein Maß angewachsen, das man zuletzt vor den Aerodynamik-Upgrades registrierte und das Vettel damals selbst als "Klassenunterschied" bezeichnete.
Trotzdem wirkte der vierfache Weltmeister nicht unzufrieden. "Ich bin happy mit meinen Runden, natürlich nicht mit dem Resultat. Aber es ist nicht das erste Mal in diesem Jahr, dass mir das passiert. Charles war überall schneller. Ich hatte das Gefühl, dass da nicht mehr viel drin war, wenn ich alles perfekt zusammengekriegt hätte, vielleicht Platz 10." Tatsächlich hätte es auch mit der Idealzeit nicht für das Q3 gereicht. Vettel hätten dann immer noch 0,258 Sekunden gefehlt.
Froh, die Zielflagge zu sehen
So große Abstände erklären sich meistens mit zu hohen oder zu niedrigen Reifentemperaturen, doch das wollte Vettel nicht gelten lassen. "Das Limit war das Auto. Immer wenn ich schneller fahren wollte, gab das Auto nicht mehr her." Das macht stutzig. Vor allem, weil Vettel schon im ersten Sektor fast zwei Zehntel auf Leclerc verlor. Und diese 17 Sekunden bestehen mit Ausnahme der ersten Kurve ausschließlich aus Vollgaspassagen, die auch mit einem Ferrari voll gehen.
An den Topspeeds oder Beschleunigungswerten lässt sich auch nichts Verdächtiges ablesen. Mit 318,4 km/h waren Vettel und Leclerc auf der langen Geraden je nach Sicht der Dinge gleich schnell oder gleich langsam. Auf dem Zielstrich, der 150 Meter hinter Kurve 21 liegt und damit ein Indikator für Beschleunigung ist, war Vettel mit 227,2 km/h um 0,1 km/h schneller als sein Bezwinger. Die meiste Zeit verlor er in den Kurven. Im letzten Sektor allein fast sechs Zehntel.
Wenn man alle Aussagen, Vettels gelassene Reaktion und die harten Fakten zusammenzählt, dann bleibt der Verdacht, dass es am Auto oder an den Reifen oder an beidem liegt. Es machte für den Mann, der Ferrari verlässt, keinen Sinn mehr, sich aufzuregen. Offenbar gibt es aus seiner Sicht Gründe für die ungewöhnlich großen Abstände. Wir werden sie vermutlich erst verstehen, wenn er 2021 in den Aston Martin steigt. Vettel geht zwar im Frieden von Ferrari, und doch gibt er zu: "Ich bin froh, wenn ich die schwarzweiß karierte Flagge sehe. Wenn es so schlecht läuft, willst du nur noch, dass es vorbei ist." Das Ferrari-Kapitel ist abgehakt. "Ich freue mich jetzt auf das, was noch kommt."