Wie sicher fahren Lastenräder?

Immer mehr Menschen nutzen sie als Autoersatz, der Gesetzgeber stellt jedoch nur geringe Anforderungen an die Sicherheit von Lastenrädern. Wir haben daher ausprobiert, was bis zu 250 Kilo Gesamtgewicht für Fahrdynamik und Bremsen bedeuten.
Die Verkaufszahlen von Lastenrädern steigen rasant: Nach Schätzungen des Verbandes Cycling Industries Europe (CIE) legten die Verkäufe von 2019 bis 2020 um über 50 Prozent zu. Und das, nachdem sie schon im Jahr zuvor um gut 60 Prozent angestiegen waren.
In vielen Städten sind die zwei- oder dreirädrigen Transporträder nicht mehr aus dem Straßenbild wegzudenken. Doch warum berichtet auto motor und sport über Cargo-Bikes und überlässt das Thema nicht den Fahrradtiteln im Verlag? Ganz einfach: Viele Autofahrer dürften noch nie auf einem Lastenrad gesessen haben, sie wissen gar nicht, wie sich die Packesel fahren oder in welchen Situationen sie etwas mehr Platz brauchen. Beim Anfahren an Ampeln – bis aus wackeligem Zickzack-Gewürge ein stabiler Geradeauslauf wird – waren wir Cargo-Neulinge für jeden Spielraum dankbar. Verständnis für ein Transportmittel zu bekommen, mit dem man sich die Verkehrsfläche teilt, kann also nicht schaden. Auch wer selbst über eine solche Anschaffung nachdenkt, dürfte sich für Sicherheit und Fahrdynamik von Lastenrädern interessieren.
Bergamont E-Cargoville LT
Das Bergamont entspricht am ehesten einem herkömmlichen E-Bike. Dank robustem Rahmen, großen 26-Zoll-Rädern und vertrauter Sitzposition fühlen sich Lastenrad-Neulinge sofort wohl. Mit erlaubten 190 Kilo Gesamtgewicht schleppt das E-Cargoville dennoch viel Gepäck. Der lange Hinterbau schafft Platz für einen großen Gepäckträger, wahlweise lässt sich eine Sitzbank für bis zu zwei Kinder anbringen. Vorn befinden sich Aufnahmen für eine weitere Ablage.
Das Bergamont lässt sich auf Anhieb zielsicher durch Testparcours und Stadtverkehr dirigieren. Im Stand sollte man es mit viel Gepäck jedoch nicht allzu schräg halten: Es droht Kippgefahr. Das Aufbocken auf den Zweibeinständer erfordert zudem viel Kraft. Leer kam das Bergamont nicht an die Bremswerte einiger Konkurrenten heran. Mit 5,5 Metern stand es aus 25 km/h zwei Meter später als das Johansson. Zum Vergleich: Ein geübter Fahrer bringt ein normales E-Bike nach rund drei Metern zum Stehen. Beim Bergamont verbessert Zusatzgewicht auf dem Heckträger die Bremswirkung. Trotz vergleichsweise schwacher 65 Nm Drehmoment gibt es kaum Probleme beim Anfahren am Berg.
(+) Wendig und fahrsicher • vergleichsweise kurz und schmal • problemloses Anfahren
(-) Bremse verlangt kräftiges Zupacken • im Stand kein Gangwechsel möglich • Aufbocken erfordert viel Kraft
Ca Go Bike FS 200
Womit wir gleich bei einem Haupthandicap des Ca Go wären: Sein Antrieb mit automatischer Nabenschaltung widersetzt sich schon bei mittleren Steigungen allen Anfahrbemühungen. Damit der E-Motor seine 85 Nm beisteuern kann, muss das Rad erst einmal anrollen. Doch selbst kräftige Waden reichten an den Stuttgarter Steigungen oft nicht aus, um mit Gepäck loszukommen.
Zum Fahren auf der Ebene ist die Schaltung hingegen prima: Einfach am Bordcomputer die gewünschte Trittfrequenz einstellen und der Automatik die Wahl der passenden Übersetzung überlassen. Im Flachland überzeugt das FS 200 zudem mit entspanntem Geradeauslauf und sicherem Fahrgefühl in weiten Kurven. Mit knapp 2,70 Metern ist das FS 200 so lang wie ein Smart Fortwo. Durch die tief angebrachte Gepäckwanne bleibt der Schwerpunkt auch mit Zusatzballast weit unten. Zudem erzielte das Ca Go beladen und unbeladen beeindruckend kurze Bremswege. Enge Kurven zu meistern erfordert jedoch viel Training – auch weil das 20 Zoll kleine Vorderrad von der Gepäckwanne verdeckt wird und sich die Seilzuglenkung schwammig anfühlt, wenn Ballast geladen wird.
(+) Tiefer Schwerpunkt • sehr gute Bremswerte • sicherer Geradeauslauf • Abblend- und Fernlicht
(-) Anfahren am Berg teils unmöglich • anspruchsvolles Fahrverhalten in engen Situationen • kraftintensives Aufbocken
Johansson Oscar S
Das ungewöhnlichste Rad im Test stammt von Johansson. Mit seinen drei Rädern kann das Oscar S auch im Stand nicht umkippen — gerade beladen ein großer Vorteil. Auch das Anfahren am Berg klappt bestens, da man bei niedrigem Tempo nicht erst das Gleichgewicht finden muss.
Durch die Neigetechnik, mit der sich der Fahrer in Kurven legen kann, kommen mit etwas Übung trotzdem Biker-Gefühle auf. Das aufwendige Fahrwerk mit doppelten Dreiecksquerlenkern verfügt zudem über eine fein ansprechende Federung, dank derer das Transportgut selbst auf Kopfsteinpflaster nicht durchgeschüttelt wird. Die Spurbreite des Johansson von ca. 70 Zentimetern erfordert an Engstellen jedoch präzises Dirigieren. Die Wannen der Frontlader von Ca Go und Riese & Müller fallen jedoch ähnlich breit aus.
Da zwei Vorderräder Grip aufbauen, erzielt Oscar leer die kürzesten Bremswege. Beladen lässt sich der Bremsgriff nicht mehr ganz so vehement ziehen, da die vorn angebrachte Box dazu führt, dass wenig Druck aufs Hinterrad kommt, wodurch es sich labiler anfühlt als bei Rädern mit hecklastigerer Gewichtsverteilung.
(+) Kann nicht umkippen • unter allen Bedingungen einfaches Anfahren • kräftige Bremswirkung • kein Aufbocken nötig
(-) Erfordert Konzentration an engen Stellen • wird beladen beim Bremsen hinten leicht
Riese & Müller Packster 70
Mit seiner flexibel nutzbaren Kunststoffwanne zwischen Vorderrad und Fahrer ähnelt das Packster 70 konstruktiv dem Ca Go. Daher verwundert es nicht, dass auch die Fahreigenschaften ähnlich ausfallen: Durch den langen Radstand und den tiefen Schwerpunkt wirkt es in lang gezogenen Kurven und beim Geradeauslauf sehr souverän. Die Länge und das verdeckte Vorderrad erfordern jedoch in engeren Situationen viel Übung und Konzentration. Auch beim Riese & Müller fühlte sich die Lenkung unter Beladung schwammig an. Zudem kam es mit 75 Extrakilo im Gepäckabteil auf deutlich längere Bremswege als das Ca Go.
In einigen Punkten stellt sich das Packster 70 jedoch auch deutlich besser an als sein direkter Konkurrent: Es auf den soliden und breiten Ständer zu wuchten erfordert wesentlich weniger Kraft. Die stufenlose Nabenschaltung verzichtet auf eine Automatiksteuerung. Die manuelle Übersetzungswahl ermöglicht Anfahren am Berg auch noch an Steigungen, an denen man mit dem Ca Go bereits resigniert hat. Zum Fern- und Abblendlicht gesellt sich zudem noch ein Bremslicht.
(+) Sicherer Geradeauslauf durch niedrigen Schwerpunkt • kurze Bremswege leer • praktischer Ständer • Fern- und Abblendlicht
(-) Durch die Länge unhandlich • beladen längere Bremswege und unpräzise Lenkung
Tern GSD S00
Trotz kompakter Abmessungen und kleiner 20-Zoll Räder lässt sich das Tern auf bis zu 200 Kilo Gesamtgewicht beladen. Dass es selbst dann nicht überfordert oder instabil wirkt, spricht für die Solidität des Rahmens. Wie fürs Bergamont stehen für Mitfahrer oder Gepäck unterschiedliche Träger zur Wahl, die am langen Hinterbau verschraubt werden. Riemenantrieb statt Kette und Radverkleidungen sorgen dafür, dass die Hosenbeine sauber bleiben.
Die Ladung sitzt jedoch typbedingt höher als bei den Modellen mit Transportschale, was in Kombination mit den kleinen Rädern zu einem etwas unruhigeren Fahrverhalten führt. Bei geeignetem Gepäck empfiehlt sich eine Unterbringung auf den ausklappbaren Trittbrettern, die tiefer liegen und das Handling stabilisieren. Beladen fiel auch die Bremsleistung eher mäßig aus. Dafür wirkt das GSD selbst mit 75 kg Ballast noch wendig, und es bedarf wenig Übung, um engere Passagen kollisionsfrei zu absolvieren. Auch das Anfahren an Steigungen klappt meist problemlos, ebenso das Aufbocken, das nur wenig Kraft erfordert. Der Zweibeinständer rastet zudem sicher ein und lässt sich nur per Lenkerhebel wieder entriegeln.
(+) Agiles Handling • verlangt wenig Übung • praktischer Ständer • meistert Steigungen problemlos • Bremslicht
(-) Bremst nicht ganz so vehement wie die besten Konkurrenten • wirkt beladen etwas nervös
Kein ABS an Bord
Am Ende noch ein Hinweis, der für alle Biker gilt: Tückischer Untergrund wie eine nasse Kurve erfordert Fingerspitzengefühl am Bremsgriff, um nicht wegzurutschen. Angesichts der hohen Preise von bis zu 10.000 Euro verwundert es daher, dass kein Cargo-Rad mit ABS ausgestattet ist, wie es etwa E-Motor-Marktführer Bosch anbietet. Zumindest optional sollte es die Stotterbremse geben.