Von wegen Deutschland kann keine E-Mobilität!
Was bleibt von der IAA in München? Der Eindruck, dass die deutschen Hersteller längst aufgewacht sind und jetzt vielversprechende E-Autos ausrollen – selbst der Vorwurf, sie könnten keine Batteriezellen, läuft inzwischen ins Leere. Eine Sammlung guter Nachrichten.
Mercedes ließ im August mit Rekordfahrten des Elektro-Sportwagens AMG GT XX in Nardo aufhorchen und was neue Elektromodelle angeht war schon im Vorfeld der IAA klar, dass BMW iX3 und Mercedes GLC kaum mehr Argumente für den Kauf ihrer Verbrenner-Brüder übrig lassen: Reichweiten von 700 bis mehr als 800 Kilometer, Ladegeschwindigkeiten von mehr als 300 Kilometer Reichweite in 10 Minuten – und speziell beim BMW mehr als konkurrenzfähige Preise.
Einstiegs-E-Autos mit in Europa hergestellten Zellen
Apropos Preise: Zugegeben, Volkswagen geistert schon länger mit seinen E-Auto-Einstiegsmodellen durch die Presse, aber in München zeigten die Wolfsburger die Urban Car Family aus VW ID.Polo und ID.Cross (siehe Bildergalerie), Cupra Raval sowie Skoda Epiq – und plötzlich sind es nur noch ein paar Monate, bis die ersten Modelle zu Einstiegspreisen um 25.000 Euro auf die Straße rollen: im ersten Quartal 2026.
Das Besondere: Während BMW die Rundzellen des Neue-Klasse-iX3 zumindest bis hin zur Pilotfertigung in Parsdorf selbst entwickelt hat, um mit den Lieferanten aus Fernost "auf Augenhöhe verhandeln zu können", kommen die kleinen Volkswagen mit Batteriezellen made in Europe und sogar made in Germany: In einer Gigafactory in Salzgitter baut die Volkswagen-Tochter PowerCo Einheitszellen. Und 50 Prozent der Einheitszellen sollen aus konzerneigenen Werken kommen – ein zweites hat VW bereits in Valencia aufgebaut, ein drittes entsteht in Kanada.
Ohne China geht’s (noch) nicht, aber in Europa auch
Warum nur 50 Prozent? Weil 100 Prozent Europa ähnlich riskant wären wie 100 Prozent China. Und ja: Batteriezellen, die außerhalb Asiens entstehen, sind deutlich teurer. Aber niedrigere Logistikkosten für die Verwendung in Europa sowie die Mischkalkulation machen die Diversifizierung möglich. Die Skalierungsvorteile der Einheitszelle kommen auch zum Tragen, wenn sie aus China kommen. Wer in dem Fall gierig auf schnelle Kostenvorteile aus ist, spart langfristig an der falschen Stelle.
Apropos Sparen: Könnte man in Kroatien. Da kostet die Kilowattstunde Strom einen Bruchteil dessen, was Unternehmen hier berappen müssen – sagt Nurdin Pitarević, Betriebsleiter bei der Rimac Group. Rimac? Ist seit 2021 Mehrheitseigner an Bugatti Rimac, der Rest gehört VW-Tochter Porsche, das auch mit 24 Prozent an der Rimac Group beteiligt ist.
Leichtere Akkupacks aus Kroatien, europäische Zellen für Stellantis
Rimac baut mit den günstigen Strompreisen keine energieintensiv herzustellenden Batteriezellen, aber ganze Akkus, zum Beispiel den für den Porsche 911 Hybrid. Aber auch für E-Autos. Auf der IAA haben die Kroaten ein Gehäuse aus Verbundwerkstoffen vorgestellt, das 30 Kilogramm Gewicht einspart und demnächst in der Facelift-Version eines E-Auto von einem süddeutschen Hersteller zum Einsatz kommt. Insgesamt kann Rimac rund 100.000 Batteriepacks für E-Autos pro Jahr herstellen – plus etwa 45.000 Hybrid-Akkus, meist für High-Performance-Modelle.
Für Volumenmarken (von Stellantis) entstehen Batteriezellen in zwei Werken der Automotive Cells Company (ACC) in Frankreich, ein drittes ist in Kaiserlautern im Bau. ACC ist ein Joint-Venture von Stellantis, Mercedes-Benz und der Total-Tochter Saft und die Zellen wandern bereits in Modelle von DS beispielsweise und in den elektrischen Opel Grandland. Auch hier dürfte nur eine Mischkalkulation die Produktion in Europa ermöglichen.
Europa holt auf
Aber ein Anfang ist gemacht, und wo es hinführen könnte, wenn europäisches Produktions-Know-How Fahrt aufnimmt, zeigen Ausblicke: Auf der IAA stellte die Audi- respektive Volkswagen-Tochter Ducati ein elektrisches Motorrad mit Festkörper-Akku vor. Er beherbergt Einheitszellen, die diese Zellchemie der Zukunft genauso aufnehmen können, wie NMC, LFP oder Natrium. Länge und Breite der Einheitszelle sind immer gleich, nur die Dicke variiert. Das ermöglicht den immer gleichen Einbau in Cell-to-Pack-Strukturen verschiedenster Modelle und damit enorme Skalierungseffekte. Die Einheitszellen sollen künftig in 80 Prozent aller E-Autos des Konzerns Verwendung finden – das ist das Verbreitungsniveau des Modularen Querbaukastens (MQB), wie er den allermeisten Verbrenner-Modellen von Volkswagen als Basis dient. Vielleicht ein Zeichen, dass Volkswagen auch im Elektro-Zeitalter zu alter Stärke eines Volumenherstellers zurückfinden kann.