Von dieser Technik profitiert ab 2026 die Serie
Mercedes-AMG hat mit dem Concept GT XX auf der Teststrecke in Nardò eine ganze Reihe neuer Rekorde aufgestellt. Die spektakulärste Leistung: eine vollelektrische Erdumrundung in weniger als acht Tagen. Die beste Nachricht: Teile der dafür notwendigen Technik kommen auch bald in Serienmodellen zum Einsatz.
Mercedes-AMG hat in Nardò gezeigt, wie weit sich elektrische Antriebe heute schon fordern lassen. Der Concept GT XX hat jetzt 25 Rekorde eingefahren – allesamt im Bereich von Distanz und Dauerleistung. Dafür sind verschiedene Bereiche im Elektroauto wichtig: Antrieb, Akku, Ladeinfrastruktur, Software und Kühlung. Im AMG sind all diese Bereiche sehr komplex sowie sorgfältig konzipiert und konstruiert. Werfen wir einen Blick auf die Technik, bevor wir über die Rekorde (weiter unten im Artikel) sprechen.
Antrieb
Drei Yasa-Axialfluss-Maschinen leisten im Verbund 1.000 kW (1.360 PS) und treiben den AMG auf bis zu 360 km/h Höchstgeschwindigkeit. Für die Rekordfahrten war das allerdings nicht wichtig, denn hier lag das durchschnittliche Tempo bei 300 km/h. Warum nicht schneller? Chefingenieur Oliver Wiech fasst es in einfache Worte: "Die Physik macht dir da einen Strich durch die Rechnung. Je schneller du fährst, desto größer dein Luftwiderstand. Also muss man mehr Leistung aufbringen, um diesen zu überwinden, und mehr Leistung erfordert mehr Kühlung und im Zweifel sogar mehr Ladestopps. Also haben wir bei rund 300 km/h das errechnete Optimum als Geschwindigkeit und Effizienz gefunden.
Die Axialfluss-Maschinen aus dem Concept dürften eine der ersten Komponenten sein, die bereits 2026 in Serienmodellen verbaut werden. Zunächst bei AMG, später sicherlich auch bei konventionelleren Modellen aus dem Mercedes-Universum. Gegenüber den gewohnten Radialfluss-Maschinen haben sie den Vorteil, mehr Leistung und Kraft auf geringerem Bauraum bei niedrigerem Gewicht zu vereinen.
Akku
Mercedes-AMG verbaut in den Akku-Modulen des Concept XX neu entwickelte Rundzellen, die schlanker und höher sind als andere Zellen auf dem Markt. Die Zellen selbst werden innerhalb der Module zur Kühlung von einem nicht leitfähigen Öl komplett umspült. Sprich: Es handelt sich um eine direktgekühlte Batterie. Die Hitze entsteht bei Leistungsabfrage im Zellkern. Durch den schlanken Aufbau der Zellen rückt das Kühlmittel also näher an die Wärmequelle selbst und macht die Kühlung effizienter.
Was die Zellchemie betrifft, setzt AMG Nickel, Mangan, Kobalt und Aluminium für gesteigerte Robustheit ein. Die konkrete Netto-Kapazität des Akkus im Concept-Car verrät Mercedes' Sportwagen-Tochter dagegen bislang noch nicht. Rund 100 Kilowattstunden klingen allerdings nicht allzu unwahrscheinlich. Auch die direktgekühlten Akkus sollen laut AMG-CEO Michael Schiebe schon im nächsten Jahr in Serienmodellen eingesetzt werden.
Ladesäule
Zusammen mit Alpitronic hat die Mercedes-Unit "Mercedes Mobility" an einer Lade-Lösung gearbeitet, die den Namen "Schnelllader" wahrlich verdient. Über eine eigene Zuleitung auf dem Testgelände in Süditalien floss so viel Energie in eine neu entwickelte Säule mit gekühlten Kabeln, dass im Durchschnitt pro Ladezyklus mit 850 kW Leistung gezapft wurde. Ladeleistungen von weit über 900 kW sind möglich und damit tankt das Concept XX in nur fünf Minuten Saft für 400 weitere Kilometer. Drei Lader mit insgesamt 2,5 Megawatt Leistung standen für die Rekordfahrten zur Verfügung.
Software
Der Versuchsaufbau beginnt natürlich virtuell in zahlreichen Simulationen. Gemeinsam mit der AMG-Motorsport-Abteilung im britischen Brixworth wurde eine Betriebsstrategie für das Wechselspiel zwischen Antrieb, Batterie-Management, Verschleiß und weiteren Parametern entwickelt. Weil zwei Fahrzeuge rund um die Uhr im Drei-Schicht-Betrieb bewegt wurden, war das ein einigermaßen komplexes Vorhaben. Dazu unterschiedliche Witterungsbedingungen, allein zwischen Tag und Nacht.
Für die Fahrer sollte es möglichst einfach sein, das Fahrzeug und die relevanten Komponenten in den jeweils optimalen Betriebsfenstern zu halten. Dafür wurde der "Predictive Performance Manager" entwickelt. Ein Assistent, der durch laufende Berechnungen die optimalen Lade-Zeitpunkte ermittelt – und nicht nur das. Schon weit vor dem Anfahren der Ladesäule ermittelt das System den besten Zeitpunkt für einen Übergang in den Segel-Betrieb und schließlich in die Rekuperation. So kommt der Akku optimal vorbereitet an der Ladesäule an.
Die über die gesamte Projektdauer in Nardò, aber auch bei den Simulationen im Vorfeld gewonnenen Daten sollen nun für eine Anpassung und Optimierung der AMG.EA-Plattform genutzt werden.
Kühlung
Eines der komplexesten Systeme ist die Kühlung von HV-Batterie, Antriebseinheiten und Elektronik. An der Vorderachse platziert AMG den "Central Coolant Hub" – das Gehirn des Systems. Es beherbergt Temperatursensoren, Hochleistungspumpen sowie 4- und 5-Wege-Ventile. Damit können je nach akutem Bedarf einzelne Kühlkreisläufe zu- und abgeschaltet werden. Warum überhaupt mehrere? Nun, weil Akku, Antrieb und Elektronik jeweils unterschiedliche Temperaturfenster für den besten Wirkungsgrad haben. Eine permanent durchströmte Unterbodenkühlplatte hilft indes dabei, den Hauptkühler so weit zu entlasten, dass die aktiven Aeroelemente an der Front so häufig wie möglich geschlossen bleiben können, um für bessere Aerodynamik zu sorgen.
Warum der ganze Aufwand? Vor allem deshalb, weil so auf ein De-Rating verzichtet werden kann. Kommt der XX an die Ladesäule, saugt der Akku sofort mit hoher Leistung Energie, ohne noch extra vorbereitet werden zu müssen. Nach dem Ladevorgang kann das Auto wiederum sofort die volle Antriebsleistung abrufen, wenn alle erforderlichen Komponenten im richtigen Fenster arbeiten. Nur ein Element musste nicht besonders gekühlt werden: die Bremsanlage. Denn mechanische Bremsen kamen bei der Rekordfahrt so gut wie nie zum Einsatz.
Die Rekord-Fahrten
Ein neuer Bestwert: Innerhalb eines Tages legte der GT XX 5.479 Kilometer zurück. Das sind mehr als 1.500 Kilometer über der bisherigen Bestmarke für Elektrofahrzeuge – häufig gefahren mit 300 km/h. Das könnte selbst nächtlichen Langstreckenfahrern auf der deutschen Autobahn Hoffnung machen. Mercedes betont, dass noch deutlich höhere Geschwindigkeiten möglich seien, dass die Entwicklungs-Ingenieure aber eine Fahrt mit 300 km/h und anschließendem Hochleistungsladen als ideale Balance für den Rekordversuch ermittelt haben.
Die größte Leistung des Extremtests: 40.075 Kilometer in nur 7 Tagen, 13 Stunden und 24 Minuten – eine Distanz, die dem Erdumfang entspricht. Damit bewies der GT XX, dass elektrische Hochleistungsantriebe über Tage hinweg konstante Leistung bringen können.
Der Härtetest für Mensch und Maschine
Mehr als 3.000 Runden auf der Teststrecke, zwei parallel eingesetzte Fahrzeuge und Temperaturen von über 35 Grad im Schatten – die Bedingungen waren beim Rekordversuch extrem. Trotzdem blieben beide GT XX laut Mercedes bis zum Ende voll einsatzfähig und demonstrierten eine bisher unerreichte Dauerleistung.
