Radikal-Aero ohne Heckflügel

Peugeot hat erste Bilder seines Hypercars vorgestellt, mit dem die Franzosen 2022 nach Le Mans zurückkehren wollen. Wir zeigen die Fotos und haben erste Infos...
Peugeot hat die ersten Fotos des neuen Hypercars für die Sportwagen-WM und Le Mans vorgestellt. Der Peugeot 9X8 kommt dabei ohne Heckflügel aus. Wir zeigen die Bilder erklären die Hintergründe für die Entscheidung.
Nach der Ankündigung des Hypercar-Projektes vom November 2019 hat Peugeot Sport erstmals tiefere Einblicke in das Programm gewährt: Am Dienstag (6.7.) veröffentlichte die Sport.bteilung erste Bilder und dazu auch noch einige interessante Infos zur Entwicklung. Der neue Le-Mans-Flitzer feiert sein Renndebüt aller Voraussicht nach beim WM-Lauf in Spa 2022.
Es ist übrigens das erste Prototypenprogramm für Peugeot seit dem abrupten Ende des 908-HDI-FAP-Projekts im Januar 2012. Damals trudelte die Peugeot-Mutter PSA in finanzielle Probleme und musste die Fortsetzung des LMP1-Programms beenden, obwohl die neue Hybridversion des 908-Prototypen bereits fertig entwickelt war.
Zurück zur Gegenwart: Auf den ersten Blick fällt besonders die Tatsache auf, dass der Peugeot ohne klassischen Heckflügel auskommt. Das ist zwei Umständen geschuldet: Erstens haben die Ingenieure bei den Hypercars deutlich mehr Freiheiten als die Hersteller aus der amerikanischen LMDh-Klasse, die ja bereits existierende LMP2-Rennwagen als technische Basis verwenden. Zweitens gelten für beide Klassen (LMH und LMDh) sogenannte Performance-Fenster, die ein Wettrüsten unterbinden sollen.
Abtrieb vs. Luftwiderstand
Bei diesen Fenstern werden Motorleistung, Luftwiderstand und Abtrieb in Relation gesetzt und limitiert. Das Fenster für die Aero-Ziele ist dabei relativ einfach zu erreichen – offenbar so einfach, dass man auf einen traditionellen Heckflügel auch komplett verzichten kann.
Peugeot setzt im Rahmen des Hypercar-Regelwerks den Fokus auf klassischen Ground Effect, der primär vom Unterboden des Fahrzeuges erzeugt wird. Vorteil: Abtrieb vom Unterboden geht nur zu einem sehr kleinen Teil in den Luftwiderstand ein, Ingenieure bezeichnen das auch gerne als "billigen" Abtrieb.
Im Prinzip geht es darum, über die Expansionskanäle des Heckdiffusors eine Unterdruckzone zu erzeugen, die das Fahrzeug an den Boden saugt. Das gelingt umso besser, je mehr man den Unterboden im Heckbereich gegen seitlich einströmende Luft abdichtet, denn das erzeugt Verwirbelungen, die den Abtrieb beeinträchtigen. Peugeot versiegelt den Unterboden im Heckbereich gegen seitliche Einströmungen durch gezielte Luftschleusen.
Bei Peugeot Sport ist man sehr überzeugt, dass das gewagte Konzept funktionieren wird. Und offensichtlich hat man auch den Segen der Regelgeber für diese Lösung, denn das normale Verfahren sieht vor, dass man technische Detaillösungen mit den Behörden vorher abklärt.
Ground Effect plus Überströmung
Natürlich ist die Form der Motorabdeckung und der oberen Heckverkleidung dafür ausgelegt, noch zusätzlichen Abtrieb durch Überströmung zu generieren – wenngleich in deutlich geringerem Maße als bei einem klassischen Heckflügel.
"Wir setzen auf eine Kombination aus Ground Effect vom Unterboden in Verbindung mit Abtrieb durch Überströmung von der oberen Karosserieverkleidung", erklärt Olivier Jansonnie, Technikdirektor bei Peugeot Sport. "Man kann auf den ersten Blick erkennen, dass sich das Konzept deutlich von dem unterscheidet, was zum Beispiel früher in der LMP1-Klasse üblich war."
Jansonnie sagt, dass das neue LMH-Reglement den Ingenieuren mehr Freiheiten beim Layout der Aerodynamik zugesteht: "Das Reglement für den Unterboden ist einerseits freizügiger als früher, parallel gibt es aber eine Obergrenze für den erreichbaren Abtrieb, dazu hat man generell mehr Freiheiten bei der Art, wie man Downforce produziert. Alle drei Faktoren haben uns zu der vorliegenden Lösung ohne Heckflügel animiert."
Mini-Finne, große Wirkung
Die Interaktion zwischen Frontsplitter, Frontdiffusor und Heckdiffusor ist zentral für das Peugeot-Konzept. Das finale Layout ist noch nicht bestimmt, wie Jansonnie erklärt: "Per Reglement hat man nur ein Element, um die Aero-Balance des Autos zu trimmen, da haben wir verschiedene Lösungen. Welche wir letztlich verwenden, entscheiden wir nach den ersten Testfahrten."
Nur zur Klarstellung: Ein sogenannter angeblasener Diffusor, wie er mal in der Formel 1 üblich war, ist bei den Prototypen im Langstreckensport nicht möglich, weil die Abgase vom Verbrennungsmotor noch oben durch die Heckverkleidung ausgeleitet werden müssen.
Eine weitere außergewöhnliche Lösung bei Peugeot ist die relativ zierliche Heckfinne, die sich vom Ende der Cockpitkanzel recht niedrig in Längsrichtung über die Heckverkleidung spannt. Die Finne dient dazu, das Auto bei der Kombination aus Drehwinkeln und hohen Geschwindigkeiten über den Winddruck abzubremsen, zum Beispiel bei einem Aufhängungsschaden oder einem Reifenplatzer. Die Heckfinnen fallen bei den Konkurenten Toyota und Glickenhaus deutlich größer aus als bei Peugeot.
Aero-Trimmung noch unklar
Als Kompensation verwendet Peugeot zwei in den hinteren Radhäusern integrierte vertikale Finnen. "Wir müssen gegenüber den Regelbehörden den Nachweis erbringen, dass das Auto bei seitlichem Windangriff, also von 0 bis 180 Grad, stabil ist", erklärt Jansonnie. "Um ehrlich zu sein, war dieser Punkt die größte Herausforderung für uns, und wir haben einige Zeit gebraucht, um unsere Idee umzusetzen. Im Ursprungskonzept war unsere Finne deutlich größer, und im Übrigen sind wir darauf vorbereitet, sie wieder größer zu gestalten, sollte das notwendig sein. In der alten LMP1-Klasse war die Größe der Finne vorgeschrieben, jetzt ist die Gestaltung frei. Nach unserer Simulation sind wir mit der aktuellen Lösung da, wo das Reglement uns haben will."
Bleibt die Frage, wie Peugeot die Aero-Balance trimmen will, denn es ist nur ein einstellbares Element erlaubt, was normalerweise bedeutet: Heckflügel oder Frontflügel. Toyota hat sich nach langen Versuchen gegen den Frontflügel und für den klassischen Heckflügel entschieden. Bei Peugeot ist die Sache noch unentschieden: "Es gibt mehrere Optionen und bisher sind wir mit der Frontflügel.Lösung nicht zufrieden", sagt Jansonnie. "Auch das werden wir bis zum Ende des Jahres nach den Testfahrten entscheiden."
Offenbar kommen auch sogenannte Winglets und Turning Vanes im Unterbodenbereich als Stellmöglichkeiten infrage, doch diese Bauteile sind weniger stabil, wie Jansonnie selbst anführt: "Das Auto muss extremen Beanspruchungen standhalten, besonders beim 24h-Rennen in Le Mans. Daher brauchen wir robuste Lösungen, die zuverlässig sind."
Peugeot 9X8 Hypercar mit V6-Biturbo
Der Star dieser ersten realitätsnahen Präsentation sind zweifellos die gewählten Aero-Lösungen, der Rest vom Schützenfest war bereits bekannt: Der Peugeot 9X8 wird von einem 2,6 Liter großen V6-Biturbomotor angetrieben, natürlich verfügt der Wagen über ein Hybridsystem, das seine Leistung an die Vorderräder abgibt, womit der 9X8 zum temporären Allradler wird. Die Speicherbatterien für den Hybrid stammen vom Zulieferer "Saft" und operieren mit einem 900-Volt-Umfeld. Die Batterien werden mittels großer Lufteinzüge hinter den Fahrertüren gekühlt.
Bei Peugeot ist man sich bewusst, dass diese Lösung anfällig für Verschmutzungen sein kann. "Die Luftsammler liegen weit vorne und hoch oben, damit ist die Gefahr gegeben, dass sich dort Dreck von der Rennstrecke ansammelt", sagt Jansonnie. "Mit so etwas haben wir früher schon mal schlechte Erfahrungen gemacht, das wollen wir für die Zukunft natürlich vermeiden."
Der Motor läuft übrigens seit April auf dem Prüfstand, die 200-kW-MGU sowie das sequenzielle Siebenganggetriebe folgen in Kürze. Bei den Prüfstandsläufen steht die Effizienz im Vordergrund: "Das 24h-Rennen in Le Mans wird ein Sprintrennen, das über die Anzahl der Boxenstopps entschieden wird", sagt Peugeot-Sportchef Jean-Marc Finot. "Deshalb besteht das oberste Ziel für den Powertrain darin, maximale Effizienz, perfekte Kontrolle und uneingeschränkte Zuverlässigkeit zu garantieren."