Planung, Anspruch und Scheitern
Das Konzept der Reichsautobahn war von Anfang an eng mit der NS-Ideologie verbunden. Straßenbau galt nicht nur als Beschäftigungsmaßnahme, sondern auch als Mittel der Erschließung und Sichtbarmachung des "deutschen Raumes". Die Trassenführung folgte daher häufig nicht der kürzesten Verbindung zwischen zwei Städten, sondern bevorzugte landschaftlich reizvolle Strecken mit weiten Ausblicken und monumentalen Bauwerken.
Zwischen 1937 und 1939 erreichten die Planungen und Bautätigkeiten ihren Höhepunkt. In dieser Zeit wurden auch die fünf später unvollendeten Trassen in Angriff genommen. Gemeinsam war ihnen, dass sie meist nur bis zu einem gewissen Rohbauzustand kamen, bevor sie im Zuge des Kriegsbeginns am 1. September 1939 gestoppt wurden. Arbeitskräfte und Material wurden dem Straßenbau entzogen und der Rüstungsindustrie zugeführt. Nach 1945 kam es zu keiner Wiederaufnahme dieser Projekte – auch, weil viele Trassen durch die deutsch-deutsche Grenze zerschnitten wurden oder inzwischen als technisch überholt galten.
Strecke 85 – Eisenach ↔ Bamberg
Die Strecke 85 war als schnelle Verbindung zwischen Eisenach, Meiningen und Bamberg geplant und sollte eine zentrale Nord-Süd-Achse zwischen Hamburg und München verkürzen. Die geplante Länge betrug rund 150 Kilometer. Die Trasse hätte zahlreiche Mittelstädte erstmals an das Autobahnnetz angebunden – darunter Meiningen, Schmalkalden und Coburg.
Ab 1938 begannen die Bauarbeiten an mehreren Abschnitten. Besonders fortgeschritten war der Bereich zwischen Breitungen und Niederschmalkalden, wo ein rund zehn Kilometer langer Abschnitt bereits mit Tragschicht und Bauwerken versehen war. Dort wurde bereits auf voller Breite trassiert – inklusive Unterführungen und Dammbauten. Weitere Reste finden sich bei Wutha-Farnroda, wo die Widerlager der geplanten Kirchtalbrücke erhalten sind.
Der Kriegsbeginn führte auch hier zum sofortigen Baustopp. Besonders die Lage an der späteren innerdeutschen Grenze machte eine Fortsetzung nach 1945 unmöglich. Teilweise wurde die Trasse in den Fünfzigerjahren in die Bundesstraße 19 integriert. In Breitungen, Niederschmalkalden und Barchfeld ist sie heute noch deutlich zu erkennen. Mit der A 71 (Erfurt–Schweinfurt) und A 73 (Suhl–Coburg–Bamberg) entstanden später leistungsfähige Alternativen – allerdings mit anderem Verlauf.
Strecke 23 – Magdeburg ↔ Halle
Auch in Sachsen-Anhalt begann 1939 der Bau einer neuen Reichsautobahn, die Magdeburg mit Halle verbinden sollte. Die rund 100 Kilometer lange Strecke war Teil eines größeren Plans, Mitteldeutschland besser an das Autobahnnetz anzubinden und eine alternative Nord-Süd-Verbindung abseits von Berlin zu schaffen.
Zwischen Halle-Peißen und Löbejün wurden ab Frühjahr 1939 rund 18 Kilometer in Angriff genommen. Erdbewegungen in Millionenhöhe wurden durchgeführt, erste Brückenfundamente betoniert. Besonders aufwändig war die Trassierung im Bereich des Saaletals. Doch schon im Herbst 1939 wurde der Bau eingestellt, bevor ein durchgehender Abschnitt fertiggestellt war.
In den Jahrzehnten nach dem Krieg blieben einige Fragmente sichtbar – etwa bei Rothenburg oder entlang der späteren A 14-Trasse. In der DDR-Zeit hatten diese Reste keine Priorität, nach der Wiedervereinigung wurden sie durch moderne Straßenbauprojekte ersetzt oder überbaut. Die heutige A 14 folgt in weiten Teilen der einst geplanten Linienführung.
Strecke 71 – Göttingen ↔ Dessau
Die Strecke 71 war ein besonders ambitioniertes Projekt. Sie sollte als Querverbindung von Göttingen über Nordhausen und Sangerhausen nach Dessau führen – südlich des Harzes entlang. Die geplante Länge betrug rund 186 Kilometer. Das technische Herzstück sollte eine monumentale Bogenbrücke bei Rothenburg an der Saale werden – entworfen von Paul Bonatz, mit einer Länge von 670 Metern und einer Höhe von 56 Metern. Sie hätte gleichzeitig von zwei Reichsautobahnen genutzt werden sollen (Strecke 71 und 23).
Im Jahr 1938 begannen Trassierungsarbeiten und erste Baugruben. Doch die Diskussion über die gemeinsame Nutzung der Saalebrücke verzögerte den Start, und noch bevor Hochbauten errichtet wurden, kam der Baustopp im November 1939. In der DDR-Zeit wurde das Projekt nicht weiter verfolgt.
Die Idee einer Ost-West-Verbindung im Südharzbereich wurde erst ab den 2000er-Jahren mit dem Bau der A 38 umgesetzt. Diese folgt heute in weiten Teilen der geplanten Trasse von Strecke 71 – mit einer modernen Linienführung und geänderten Querungen. Die historische Saalebrücke wurde allerdings nie gebaut.
Strecke 24 – Hamburg ↔ Hannover
Die Strecke 24 war ein norddeutsches Teilprojekt und wurde als Weiterführung der Fernlinie Hamburg–Frankfurt (HaFraBa) geplant. Der Abschnitt durch die Wedemark bei Hannover sollte etwa 35 Kilometer lang werden. Er verlief durch mooriges Gelände nördlich der Stadt und stellte große bautechnische Herausforderungen dar.
Ab 1938 wurden erste Dämme aufgeschüttet, Drainagegräben angelegt und einzelne Brückenfragmente errichtet. Doch die Fortschritte waren begrenzt, nicht zuletzt aufgrund der schlechten Bodenverhältnisse. Auch hier kam der Bau 1940 endgültig zum Stillstand.
Nach dem Krieg wurde die A 7 – als wichtigste Nord-Süd-Verbindung – weiter westlich gebaut. Die Trasse der Strecke 24 geriet in Vergessenheit. Heute sind in der Wedemark bei Resse noch einige Dämme und Pfeilerreste im Gelände zu erkennen. Ein Lehrpfad informiert über die Geschichte der unvollendeten Autobahn und über die Moorökologie des Gebiets.
Strecke 46 – Fulda ↔ Würzburg
Die Strecke 46 ist das bekannteste Beispiel einer unvollendeten Autobahn in Deutschland. Sie sollte ursprünglich eine Nord-Süd-Verbindung zwischen Fulda in Hessen und Würzburg in Bayern schaffen und dabei die Rhön und den Spessart durchqueren. Anders als die spätere A 7 war diese Trasse stark landschaftsästhetisch motiviert: Zahlreiche Aussichtspunkte waren in die Linienführung integriert, darunter Sichtachsen auf die Burgruine Homburg.
Die Bauarbeiten begannen 1937 und kamen bis 1939 zügig voran. Auf einer Strecke von etwa 30 Kilometern wurden insgesamt 47 Bauwerke im Rohbau errichtet – darunter Unterführungen, Brückenpfeiler, massive Dämme und Gewölbedurchlässe mit Natursteinverblendung. Teilweise fehlte nur noch die Fahrbahndecke. Bekanntestes Bauwerk ist der gewaltige Brückenpfeiler bei Schonderfeld, der sich bis heute als Landmarke über das Tal der Fränkischen Saale erhebt.
Nach dem Kriegsbeginn wurden alle Arbeiten eingestellt. Eine Wiederaufnahme nach 1945 war nie ernsthaft geplant. Stattdessen wurde die A 7 deutlich weiter westlich gebaut – mit flacherer Trassierung und besserer Anbindung an Schweinfurt. Die Reste der Strecke 46 sind heute noch weitgehend erhalten und stehen seit 2003 unter Denkmalschutz. Wanderwege führen entlang der alten Trasse, an mehreren Stellen wurden Informationstafeln errichtet. Die Strecke gilt als das längste historische Technikdenkmal dieser Art in Deutschland.
Gründe für das Scheitern der Projekte
Alle fünf Autobahnprojekte wurden zwischen 1939 und 1940 eingestellt. Die Gründe sind vielfältig, aber sie lassen sich in vier Gruppen zusammenfassen:
- Kriegsbedingter Baustopp: Ab Herbst 1939 wurden Arbeitskräfte und Material für den Kriegseinsatz gebraucht. Die zivile Infrastruktur wurde nicht weitergebaut.
- Technische Veralterung: Viele Trassen wiesen zu enge Kurven und zu steile Steigungen (teilweise über sechs Prozent) auf. Nachkriegsnormen ließen deren Fortsetzung nicht zu.
- Geopolitische Lage nach 1945: Die innerdeutsche Grenze zerschnitt viele Linien. Teile der geplanten Trassen verliefen nun durch verschiedene Besatzungszonen.
- Neue verkehrspolitische Prioritäten: In der Bundesrepublik setzte man ab den 1960er-Jahren auf leistungsfähigere Trassen, die wirtschaftliche Zentren besser erschlossen und auf moderner Geometrie beruhten.