VW Passat Variant R-Line Edition im Fahrbericht
Wir haben mal in Emden vorbeigeschaut mit dem limitierten Passat-Sondermodell R-Line Edition. Das macht etwas auf böse, doch vor allem bietet es wie alle neuen Passat mehr Sicherheitsassistenz und mehr Multimedia-Kompetenz.
Was wummert denn so von hinten rechts? Leichte Vibrationen bis ins Lenkrad, ungutes Gefühl. Hm, jetzt wo es gerade so schön läuft mit 180 auf der linken Spur. Sicherheitshalber mal am nächsten Rastplatz nachschauen. Ups, der Reifen zeigt eine dicke Beule in der Seitenwand und hat schon merklich Luft verloren.
Dieser Flashback in die frühen 80er, als Bruder Lutz, Freund Michael und ich im Passat Variant TS, rot und mit 85 PS für uns derbe schnell, aus dem Zelturlaub in Südfrankreich heimfuhren, überfällt mich, als es an diesem Tag über die gespenstisch leere Bundesautobahn A 31 hoch in den Norden geht. Emden ist das Ziel, und natürlich hätte der Passat Variant – ein besonders frühes Exemplar der demnächst vorgestellten Facelift-Generation – heute bei Luftverlust längst Alarm geschlagen. Und bei 180, mit dünner Kassettenmucke aus dem plärrenden, weil hoffnungslos überforderten Zentrallautsprecher in der Armaturenbrettmitte, hätte es dieser graue Variant nicht bewenden lassen. Ich sage nur 248. Bergauf. Wobei bergauf auf der als „Ostfriesenspieß“ bekannten A 31 ja ein großes Wort ist.
Teilautonom bis 210 km/h
Er geht also gut, dieser 240-PS-Variant R-Line Edition, der definierter daherkommt als seine Serienbrüder. Alt sieht die mittlerweile achte Modellgeneration ja nun nicht wirklich aus. Hätte es da die Modellpflege gebraucht, die unterm niedersächsischen Tarnmantel verborgen liegt?
Nicht wirklich, wobei das neue LED-Matrixlicht natürlich eine feine Sache ist. Doch VW hat sich beim Facelift umso mehr um die inneren Werte gekümmert. Partikelfilter auch für Benziner, klar. Alle TDI und TSI erfüllen somit die Euro-6d-Temp-Norm und der GTE bereits Euro 6d. Dazu kommen beachtliche Neuerungen im Bereich der Fahrerassistenz und die Möglichkeiten des neuen Modularen Infotainmentbaukastens der dritten Generation (MIB3).
Die eindrucksvollste Neuerung entfaltet ihre Wirkung, sobald der Passat dem skeptischen Fahrer beweisen darf, dass er das in ihn gesetzte Vertrauen verdient: Der Travel Assist lässt den neuen Passat als ersten VW überhaupt teilautomatisiert fahren. Abstandsregeltempomat, Spurführung, Lenkassistent und Navigationssystem verbünden sich hier zu einem System, das den Passat vom Anfahren im Stau bis zu nur noch in Deutschland erlaubten Geschwindigkeiten zum Beinahe-Selbstfahrer macht: Bis hin zu 210 km/h hält der Travel Assist das Auto in der Spur, bremst notfalls durchaus auch mal energisch ab, wenn der Abstand zum Vordermann klein werden könnte, und verlangt vom Fahrer bei all dem nur zum „Ich-bin-da“-Beweis eine Hand am Lenkrad. Dessen kapazitiver Kranz erkennt, wenn man beide Hände in den Schoß legt, und dann gibt es Mecker bis hin zur automatischen Bremsung.
Auf Wunsch reagiert der Travel Assist auch vorausschauend auf Geschwindigkeitsbegrenzungen, lange bevor der Fahrer das Schild wahrnimmt. Etwas übervorsichtig geht das System ans Werk, wenn es auch den Straßenverlauf berücksichtigen soll. Auf der A 31 ist das kein Thema, da geht es ja nur geradeaus an diesem frühen Morgen.
Kurven nimmt er ernst
Aber auf den Landstraßen, die uns nach dem Besuch im Werk Emden noch ein wenig durch Ostfriesland geleiten, dirigiert der Travel Assist den Passat eher defensiv um Kurven. Als Erklärung für das vorausschauend gedrosselte Tempo erscheinen dann im neuen, noch brillanter strahlenden Active-Info-Display und im Head-up-Display ein Kurvensymbol und die für angemessen erachtete Geschwindigkeit. Nach der Kurve geht es automatisch wieder aufs erlaubte Spitzentempo. Erster Eindruck: Auf der Autobahn überzeugt Travel Assist – noch – mehr als über Land. Aber sicher eine feine Sache, wenn man nach einem langen Tag nur noch ankommen möchte.
Ankommen, genau: Die A 31 endet an Auffahrt 1 sozusagen in einem Kreisverkehr. Immer geradeaus entlang einer eindrucksvollen Anzahl großer Windräder, dann steht man am Eingang des VW-Werks Emden. Hier wurde im März der 30-millionste Passat produziert, und aus dem eigenen Hafen heraus verschifft Volkswagen pro Jahr knapp 1,5 Millionen Autos diverser Konzernmarken in alle Welt. Sorgsam eingepackt stehen sie auf großen Parkplätzen oder werden, einer undurchschaubaren Choreografie folgend, von eingespielten Teams in genau der richtigen Reihenfolge über breite Rampen in die Bäuche zweier Schiffe gefahren oder an Land gebracht.
„Hallo Volkswagen“ reicht
Schnell auf einen Kaffee zu Keno Mennebäck, dem geistigen Vater unseres Passat Variant R-Line Edition, dann wird es Zeit, was zu essen. Der neue Modulare Infotainmentbaukasten 3 ist beim Editionsmodell serienmäßig an Bord. Mit der eigenen SIM-Karte bietet er alle Möglichkeiten fürs Musikstreamen oder das Webradio, fürs Navigieren mit Echtzeit-Verkehrsdaten oder die Nutzung der Volkswagen-We-Connect-App. Praktisch auch, dass man zur Nutzung von Apple Carplay oder Android Auto kein Kabel mehr braucht – per Bluetooth lassen sich alle Smartphone-Funktionen nutzen bis hin zum Abhören oder Diktieren von Whatsapp-Nachrichten.
Die Sprachbedienung ist nun auch auf dem aktuellen Stand: Der MIB3 versteht Sätze und auch Fragen, was etwa das Eingeben von Navigationszielen erheblich vereinfacht. Ein „Hallo Volkswagen“ genügt, dann kann man das System mit Wünschen wie – wie kamen wir gerade auf diesen? – „Wo kann ich hier griechisch essen?“ füttern. Prompt zeigt das System eine Liste von Lokalen an, doch wer will schon Gyros oder Souvlaki, wenn das Meer so nahe ist?
Also auf nach Greetsiel. Der kleine Fischerhafen ist unser Ziel, ein Büdchen mit fangfrischem Fisch unsere Idee einer passenden Mahlzeit. Wir lassen uns über kleine Landstraßen fahren und ziehen immer wieder gedanklich den Hut vor der Leistung der Ingenieure, wenn der Passat vor Kreisverkehren rechtzeitig das Tempo drosselt, punktgenau zu Beginn eines Tempolimits verzögert hat und auch in engen Kurven ohne Zutun des Fahrers, nun ja, die Kurve kriegt.
Die Fischer sind wohl schon im Feierabend, in eines der Touri-Lokale wollen wir nicht. Na, dann eben ohne Essen heim. Die A 31 ist frei, der Tank gut gefüllt. „Hallo Volkswagen, fahr mich nach Hause!“ Das hätten wir damals auch gern gesagt, irgendwo bei Grenoble. Nachts, ohne Navi.
„Mal Leidenschaft zeigen“
In knapp einem Jahr brachte ein Team des VW-Werks Emden eine limitierte Sonderserie des Passat Variant von der Idee zur Serienreife. Die Idee zum schwarz-grauen Kombi hatte Keno Mennebäck.
„Moin“, sagt der schlanke Mittdreißiger, als er uns in seiner Ecke des Büroraums in einem schmucklosen Verwaltungsgebäude empfängt. Und dann zeigt er, dass der wortkarge Ostfriese ein Klischee ist, das nicht auf alle zutrifft, die zu jeder Tageszeit mit „Moin“ grüßen.
Denn Mennebäck, Industriemechaniker und studierter Maschinenbauer, Designer und Wirtschaftswissenschaftler, berichtet mit Leidenschaft davon, wie das alles begann: „Der Werksleiter fragte mich im Oktober 2017 nach einer Idee, wie man den Passat zum eher sachten Facelift emotionaler machen könne. Genau mein Ding! Ich entwickelte drei Studien auf Limousinen-, Alltrack- und Variant-Basis, die wir dann in der Pilothalle aufbauten. In der Pilothalle überprüfen wir normalerweise, ob sich Ideen in Großserie in der gewünschten Qualität bauen lassen.“ Soll heißen: Kompetenz für knifflige Aufgaben war vorhanden.
Die Studien präsentierte Mennebäck Anfang 2018 Konzernvorstand Herbert Diess. Der wollte den Variant R-Line. Und als im Mai auch Marketingvorstand Jürgen Stackmann Ja sagte, legten Mennebäck und die Kollegen der Baureihe Mid- und Fullsize los: Chrom weg, dafür glänzend schwarz eloxierte Leisten, um das Auto entschlossener wirken zu lassen. Dann schwarze 19-Zoll-Felgen, schwarze Spiegelkappen und als Highlight ein schwarz lackiertes Dach zum Uni-Grau, der einzigen Farbe. Produktionsverfahren wurden entwickelt und erprobt, bis alles passte. So kommen die 2000 Variant R-Line Edition auf den Markt – in Komplettausstattung und „ mit der Leidenschaft, mit der wir hier Autos bauen und entwickeln“ .