BMW Alpina B6 S im sport auto-Supertest

Fahrleistungen auf dem Niveau exotischer Sportwagen, gepaart mit bester Alltagstauglichkeit – die traditionelle Alpina- Philosophie erfährt mit dem neuen B6 S Coupé eine starke Belebung.
Als „Hersteller Exclusiver Automobile“ sind die Möglichkeiten beliebiger Portfolio-Erweiterung naturgemäß stark eingeschränkt, schon weil das Eigenschaftswort in der Unterzeile des Firmenlogos eine gewisse Einmaligkeit in den Vordergrund rückt. Überdies hat die Exklusivität der Marke Alpina in den fast 50 Jahren Selbstständigkeit dank der ausschließlichen Fokussierung auf die Marke BMW eine Strahlkraft angenommen, die in ihrer Helligkeit extremen Seltenheitswert hat. Die eingespielte Beziehung BMW – Alpina trägt in Zeiten beliebig erscheinender, global vollzogener Partnerwechsel geradezu anachronistische Züge. Der traditionell in tiefem Blau oder dunklem Grün erscheinende Fixstern, der sich als Zeichen der Beständigkeit mitunter noch immer mit goldenen Zierstreifen präsentiert, erfreut sich offenbar gerade deshalb ungebrochener Sympathie – zur Freude des Herstellers auch in Form von zuletzt weltweit über 1.000 verkauften BMW Alpina-Modellen. Der Erfolg des Buchloer Familienbetriebs gründet sich freilich nicht nur auf die sympathische, durch besondere Farben, Stil und Technik stets erkennbare Herangehensweise an das Thema Auto, sondern in starkem Maße auch auf der Basisarbeit seitens des großen Partners aus München.
Der Tradition verpflichtet
Dass sich Alpina angesichts des mittlerweile riesigen Modellfächers nie mit der undankbaren oder womöglich auch anzüglichen Rolle des Lückenfüllers oder -büßers auseinandersetzen musste, ist zum Teil sicher das Ergebnis detaillierter Absprachen. In erster Linie dürfte es aber dem Feingefühl der handelnden Personen zuzuschreiben sein, das jedes der mittlerweile zehn Modelle der Produktpalette durch die besondere technische Konditionierung als schlüssige Ergänzung zum bestehenden BMW-Angebot aufgefasst werden kann – sowohl seitens BMW selbst als auch seitens der Kunden. So startet das neue Topmodell B6 S zwar nominell in etwa derselben Liga wie der M6 der BMW-Tochter M GmbH, sucht sich aber qua Definition plakativ einen weniger sportlich ambitionierten Kundenkreis. Laut Alpina ist dieser eher dem klassischen Gran Turismo zugeneigt als der womöglich vulgär vorgebrachten Sportlichkeit. So offenbart sich ein Alpina gemäß seines Auftrags in elegantem Stil, mit einem herrschaftlichen Auf- und souveränem Antritt. Den offiziellen Beginn der Gran Turismo-Ära markierte bei Alpina bereits in den siebziger Jahren das legendäre 3.0 CSL Leichtbaucoupé, mit dem in den Aufbruchsjahren 1973 und 1977 sogar die Tourenwagen-Europameisterschaft gewonnen wurde. Dessen Nachfolger aus dem Jahr 1978, das in der S-Version schon 330 PS starke B7 Turbo Coupé auf Basis der 6er-Baureihe, hat als Sammlerstück bereits Kultstatus erlangt. Die magische 300-km/h-Hürde erreichte schließlich 1992 erstmals das B12 5.7 Coupé auf Basis der 8er-Reihe, das in der stärksten Fassung später sogar mit 416 PS aufwartete.
Gegen das immense Leistungsangebot des jüngsten Topmodells aus Buchloe nehmen sich die Ahnen leistungsmäßig aber geradezu bescheiden aus. 530 PS – immerhin 23 Pferdestärken mehr als bei M6 – schlummern unter der markant geschnittenen, insgesamt stärker nach oben gewölbten und zudem mit zwei auffälligen Kühlluftauslässen versehenen Motorhaube, die nach dem Öffnen das Geheimnis der immensen Kraftausbeute freizügig preisgibt. Dem aus dem B5 grundsätzlich bekannten 4,4-Liter-Achtzylinder ist ein sogenannter Radialverdichter beigeordnet. Er wird über einen Zahnriemen angetrieben und versorgt die Brennräume schon sehr frühzeitig mit einem Ladedruck von 0,8 bar. Durch eine Änderung der Nockenwellenspreizung wurde gegenüber dem 500 PS starken Vorgängermodell der Verbrennungsablauf optimiert – was laut Hersteller zu deutlich niedrigeren Abgastemperaturen geführt hat. Das Temperaturdelta bildet nun die Basis für die Leistungssteigerung auf besagte 530 PS sowie eine Drehmomenterhöhung auf nunmehr 725 Newtonmeter. Akustisch macht sich der bis zu 105.000 Umdrehungen pro Minute rotierende Verdichter, der gewissermaßen eine Kombination aus Kompressor und Turbolader darstellt, durch ein unterschwelliges, eher an- als aufregendes Pfeifen bemerkbar. Dieses geht aber ab dem mittleren Drehzahlbereich im grundsätzlich ebenfalls hintergründig wirksamen V8-Wummern vollständig unter. Die Leistungsentwicklung ist analog der Laufkultur vorbildlich. Sie erinnert in ihrer Gleichmäßigkeit eher an einen großvolumigen Saugmotor denn an ein nachträglich unter Druck gesetztes Triebwerk.
Vorbild in Laufkultur und Leistungsentwicklung
Schon bei 2.500/min liegen ganze 200 PS an. Und nur 3.000/ min später wird die immense Wucht spürbar, die in diesem gänzlich unaufgeregt zu Werke gehenden Aggregat steckt. Der Beschleunigungswert bis 200 km/h – kurze 13,1 Sekunden – deutet, wie die Charakterstärke, auf ein wahres Universaltalent hin. Den vom Hersteller angegebenen Beschleunigungswert bis Tempo 100 (4,5 Sekunden) unterbot das Testexemplar generös um eine Zehntelsekunde. In Kombination mit der von ZF beigesteuerten Automatik Sport Switch-Tronic, die laut Ankündigung von der Schaltdynamik her mit einem Doppelkupplungsgetriebe vergleichbar sein soll, tauchen jedoch ein paar Ungereimtheiten auf, die zumindest zu Anfang einen störenden Einfluss auf die Allianz Mensch-Maschine nehmen können. Angesichts der als überaus druckvoll empfundenen Durchzugskraft offenbart sich der Automat im „D“-Modus generell als sehr nervös agierender Konterpart zum Motor. Er schaltet bei moderater, konstanter Gaspedalstellung flugs gleich zwei oder drei Gänge hoch um dann – diesmal allerdings mit nerviger Verzögerung – auf ein kräftiger gedrücktes Pedal mit mindestens ebenso häufigen Schaltvorgängen nach unten zu reagieren.
Wären die einzelnen Gangwechsel ebenso verschliffen wie etwa beim Lexus IS F, ginge die Sache in Ordnung. Mit den bei niedrigem Tempo, beziehungsweise Drehzahlen deutlich vernehmbaren Schaltrucken wird aber nicht nur unnötig viel Unruhe ins System gebracht, sondern sie passen in ihrer häufigen Frequenz auch nicht zum Charakter des Motors. Der ist ja schließlich kraft seiner Anlagen eigentlich dazu auserkoren, aus niedrigsten Drehzahlen heraus mit der Macht seines Drehmoments zu wuchern. Dies wird ihm immerhin im alternativ angebotenen manuellen Schaltmodus gestattet – wenn auch nicht in der gewünschten Konsequenz. An der Art der dann über zwei Drucktasten im rückwärtigen Bereich des Lenkradkranzes initiierten Gangwechsel ändert sich zwar grundsätzlich nichts, aber die Häufigkeit der Schaltvorgänge ist dann zumindest Sache des Fahrers und damit zunächst erst mal kein Thema mehr. Allerdings sollte bei energischer Nutzung der Ressourcen vermieden werden, am Gaspedal die Kickdown-Schwelle zu übertreten. Denn dann ist es mit der netten Selbstbestimmung auch schon wieder vorbei. Das automatisierte Herunterschalten bei Vollgas im manuellen Schaltmodus wird seitens Alpina damit begründet, dass im Falle eines unter Zeitdruck anberaumten Überholvorgangs jede Zeitverkürzung größere Sicherheit bedeute. Selbst wenn es so wäre – die Kehrseite der Medaille sieht im Ernstfall anders aus: Überdrückt der Fahrer nämlich im Kurvengrenzbereich den den Kickdown aktivierenden Widerstand, schaltet die Automatik spontan eigenständig runter.
Beim Kickdown wird geschaltet
Bei ausgeschaltetem ESP ist ein fulminanter Heckschwung das Mindeste, was den Fahrer dann erwartet, weil selbst die dicksten Antriebsräder in dieser prekären Grenzbereichsituation spontan jegliche Seitenhaftung verlieren. Die Jagd nach optimalen Rundenzeiten hängt im Ergebnis also ganz wesentlich davon ab, ob der Fahrer sich und seinen Gasfuß ordentlich unter Kontrolle und die zu ungewöhnlichem Aktionismus neigende Automatik in ihrer Arbeitsweise verinnerlicht hat. Um es so auszudrücken: Die für die vorliegende Gewichtsklasse von über 1,8 Tonnen sehr überzeugenden Rundenzeiten sowohl auf dem Kleinen Kurs in Hockenheim (1.14,8 Minuten) als auch auf der Nordschleife des Nürburgrings (8.10 Minuten) wurden nicht wegen der Sechsgang-Automatik erreicht, sondern trotz ihrer Einflussnahme. Dennoch muss an dieser Stelle eine Lanze für sie gebrochen werden. Denn bei zügiger Autobahnfahrt – zweifellos die vornehmliche Berufung des BMW Alpina B6 S – ist man geneigt, ihr doch eine angemessene Arbeitsweise zu bescheinigen, weil bei höheren Geschwindigkeiten die Schaltrucke verschliffener ausfallen und die Automatik sich naturgemäß weniger oft veranlasst sieht, die Gänge immer wieder neu zu sortieren.
Auch wenn der starke 2+2-Sitzer auf Grund seines ausgewiesenen Alltagsbezugs in Sachen Längsdynamik in der Topliga nicht ganz oben mitmischen kann, steht ihm das Prädikat zu, im automobilen Kosmos zu den Schnellsten zu gehören. Der Höchstgeschwindigkeit von 318 km/h nähert man sich im edlen Coupé in einer Unaufgeregtheit an, die von einer extrem großen technischen Souveränität zeugt. So ist nicht nur der Geradeauslauf selbst perfekt angelegt, sondern auch die Arbeitsweise der Lenkung vermittelt das Gefühl, selbst Tempo 400 locker angehen zu können. Die Direktheit etwa einer Aktivlenkung wird aber immer dann vermisst, wenn die Handlichkeit und die Agilität in den Vordergrund des Leistungsspektrums rücken. Das Gefühl, ein großes, schweres Coupé zu bewegen, wird durch die Lenkungscharakteristik insofern verstärkt, als die Servolenkung vergleichsweise große Lenkeinschläge einfordert. Dass das knapp fünf Meter lange Coupé generell nicht dazu taugt, den Sparringspartner in der Weltergewichtsklasse zu mimen, zeigt sich darüber hinaus in einem Einlenkverhalten, das zum einen dem Gewicht von 1.815 Kilogramm geschuldet ist und zu anderen als Folge des im Alltag ungewöhnlich komfortabel arbeitenden Fahrwerk-Setups angesehen werden kann. Die in schnittig gefahrenen Kurven doch sehr ausgeprägte Seitenneigung der Karosserie können schließlich auch die verstärkten Stabilisatoren nicht verhindern. Vor dem Hintergrund des gepflegten Federungs- und Abrollkomforts verwundert es aber geradezu, mit welcher Routine und Gewissenhaftigkeit der Alpina die Fahrdynamikprüfungen hinter sich bringt.
Ausgeprägte Seitenneigung
Das bei der anliegenden Leistung in Kurven verständlicherweise stets drängende Heck lässt sich bei ausgeschaltetem ESP mit etwas Geschick am Volant noch recht einfach bändigen. Der Übergang von der Haft- in die Gleitreibung ist lediglich auf nasser Fahrbahn von einer Zackigkeit, die unangenehme Überraschungen beinhalten kann. Ansonsten zeigen die serienmäßigen Michelin Pilot Sport 2-Reifen auch in der gewaltigen 20-Zoll-Dimension die bekannten angenehmen Charaktereigenschaften. Sie sind ein Garant dafür, dass sich der Fahrer dem Grenzbereich so gefahrlos wie möglich annähern kann – sofern er die Automatik im Griff hat. Dass sogar die Traktion trotz des gewaltigen Drehmoments nicht zum leidigen Thema wird, ist der serienmäßig verbauten speziellen Drexler-Sperre zu verdanken, die beim Beschleunigen bis zu 30 Prozent und im Schubbetrieb bis zu 20 Prozent Sperrwirkung erzeugt. Das Arbeitsprinzip des pfiffigen Hinterachs-Differenzials entspricht einer Kombination aus Lamellen- und Viscosperre mit je sechs Innen- und Außenlamellen. Das drehmoment- und nicht – wie sonst üblich – drehzahlfühlende Differential verbessert nicht nur das Lastwechselverhalten in Kurven bei plötzlicher Gaswegnahme, sondern sorgt auch durch ein schnelles Öffnen für ein harmonisches Einlenkverhalten. Eingedenk des ambivalenten Anspruches, der Allgäuer Fahrzeughersteller selbst an seine Produkte knüpft, darf letztgenanntes Verhalten auch als Metapher für den Charakter des B6 S herangezogen werden. Das große Alpina Coupé ist bereit einzulenken, auch wenn ihm als ausgewiesener Gran Turismo der knallharte Sporteinsatz doch etwas gegen den Strich geht.