Corvette, F-Type, AMG GT, GT-R, 911 Turbo
Ein Kampf gegen die Tücken der verschiedenen Handlingstrecken und gegen Temperaturen, bei denen sich problemlos Fleisch garen lässt: Fünf Sportwagen, mindestens 510 PS stark, bollern über das Bridgestone-Testgelände nahe Aprilia, Italien. Welches Konzept funktioniert dort auf trockenem Asphalt am besten, welches bei Nässe? Der Sportwagen-Test des Jahres.
Äußerste Humor- und Emotionslosigkeit: die zwei bestimmenden Wesensmerkmale eines internationalen Standards wie dem ISO 8601. Er legt unverrückbar fest, dass der Donnerstag der vierte Tag jener Woche ist, die für gewöhnlich mit einem Montag beginnt. Vier Donnerstage in einer Woche? Ausgeschlossen – bis jetzt. Denn als Chevrolet, Jaguar, Mercedes, Nissan und Porsche ihre Triebwerke zum viertägigen International Test Drive anlassen, donnert es an jedem dieser vier Tage. Und zwar gewaltig. Selbst die beiden Turbo-gedämpften Sechszylinder-Vertreter dieses Quintetts wummern kräftig mit, der GT-R etwas entschlossener als der 911 Turbo, beide jedoch unüberhörbar. Die Corvette Z06 grollt brodelnd, der F-Type R prasselt metallisch, der GT S brüllt kehlig.
Außerhalb des Testgeländes nahe Rom kippen Vespas erschüttert um, Apes hüpfen vor Schreck in den Straßengraben, alte Punto werfen angsterfüllt alle Radkappen von sich, doch die fünf Sportwagen bleiben hinter den hohen Zäunen. Hier können sie sich austoben, getrieben von Chefredakteuren internationaler auto motor sport-Schwesterpublikationen, auf trockener und nasser Fahrbahn. Können zeigen, wie talentiert sie sich in Kurven werfen und wie sie dort wieder herauskommen.
Corvette Z06 mit brachialer Leistung und Performance
Die Corvette Z06 macht klar, dass sie das mit maximalem Tempo erledigen möchte: ausladender Frontspoiler, verstellbarer Heckflügel und Cup-Reifen mit einem Profil, das in seiner Üppigkeit an die Vegetation einer kasachischen Halbwüste erinnert. In 335er Breite stecken die Reifen auf der Hinterachse übrigens – aus gutem Grund, schließlich entlädt sich dort die Gewalt von 659 PS und 881 Newtonmetern, mühsam kanalisiert von einem manuellen Siebenganggetriebe und einem elektronisch geregelten Sperrdifferenzial. Klingt furchteinflößend? Stimmt. Sollte es auch, aus Prinzip. Doch nur wenige Runden auf dem Handlingkurs genügen, um sich zu trauen, die Corvette zu fordern. Tolle Ergonomie, packende Sitze (nebenbei bemerkt: endlich auch ein hübsches Ambiente), aber auch zahllose Verstellmöglichkeiten für die Regelelektronik, Gaspedalkennlinie, Adaptivdämpfer und elektromechanische Lenkung. Der Track-Modus sollte es schon sein, schließlich ist der Name Programm. Knapp 1,6 Tonnen wiegt die Z06 laut Hersteller, ein wenig schwerer fühlt sie sich schon an, vielleicht ist es aber auch die üppige Breite von 1,96 Meter, die irritiert. Selbst der Mercedes fällt etwas schmaler aus. Im Gegensatz zum Sternen-Express verlangt die Corvette etwas mehr Kraft von ihrem Fahrer, doch dann lenkt sie auf den Zentimeter genau ein, die Vorderräder beißen zu, geben den Asphalt nicht mehr her. Zusammen mit dem festen Grip der Antriebsräder generiert der Chevrolet ein neutrales Eigenlenkverhalten bei absurder Querbeschleunigung. Leistungsübersteuern? Bei 880 Newtonmetern Drehmoment vielleicht nicht, aber bei 881 ... Eine Frage der Ehre, na klar.
Bei all ihrer Agilität strahlt die Z06 dennoch eine gewisse Gelassenheit aus, denn weder der zornige 6,2-Liter-Kompressor-V8 noch die präzise Lenkung oder die standfeste Bremse mit Carbon-Keramik-Scheiben reagieren übertrieben spitz, sie sind einfach da, wenn man sie braucht, funktionieren dann optimal. Und das Gefühl, diesen motorischen Wahnsinn sozusagen in der rechten Hand zu haben – als ob man soeben das Feuer entdeckt hat. Verbrennungsgefahr besteht indes nicht, die Gänge lassen sich flott sortieren. „Irgendwann hast du das Biest einfach im Griff“, sagt Kollege Kristijan Ticak aus Kroatien. Und bei Nässe? Da bleibt das Traktionsniveau weit oben, dummerweise jedoch nur an der Hinterachse. Vorne reißt die Haftung früh ab, selbst mit zartem Lenkeinschlag bei milder Leistungsabfrage geht’s oft nurmehr geradeaus. Dafür steht ihre Rundenzeit im Trockenen, sie wird keiner der Wettbewerber knacken. Bei jeder Runde dabei: ein Soundtrack zum Söhne zeugen. Fanfaren, mächtige, ebenso lautstark wie zahlreich, zumindest klingt es so.
Jaguar F-Type R AWD: Extraportion Traktion durch Allrad
Selbst den Jaguar F-Type hört man nicht so präsent und lange, obwohl er sich bekanntermaßen der akustischen Zurückhaltung ebenso unverdächtig macht wie seine musizierenden Landsmänner von Iron Maiden. Ein bisschen haben sie ihn eingebremst im Laufe seines jungen Lebens, doch das metallische Prusten und Grölen seines Fünfliter-V8 identifiziert ihn noch immer zweifelsfrei. Bislang generierte der F-Type einen Teil seines Fahrspaßes aus mangelnder Traktion, sein maximales Drehmoment von 680 Newtonmetern kostete die 295er-Hinterreifen gerne Gummi und ließ sie ebenso fix von der Idealline abkommen. Alternativ steckt nun aber eine Abtriebswelle vom Getriebe zur Vorderachse im Antriebsstrang, die über eine elektronisch geregelte Lamellenkupplung bis zu 50 Prozent der Kraft abzweigt. Keine schlechte Idee, denn speziell mit der spitzeren Gaspedalkennlinie beißt das Kompressortriebwerk blitzartig zu, schleudert das über 1,7 Tonnen schwere Coupé geradezu gen Horiziont.
Da die Elektronik aber nicht allzu selbstverliebt mit den Antriebskräften jongliert (der Eindruck entsteht zuweilen beim Porsche und beim Nissan), bleibt das Fahrverhalten des F-Type im Lager der Hecktriebler verhaftet – mit jener Extraportion Traktion, die ihm auf rutschigem Untergrund besten Vortrieb beschert, ohne dass es fad würde im herausgeputzten Interieur. Es gelingt ihm sogar, die schnellste Zeit auf dem anspruchsvollen Nasshandling-Kurs zu erzielen, auch deshalb, weil seine Reifen am besten mit dem hohen Wasserstand auf der Geraden zurechtkommen. Darauf gewettet hätte zunächst niemand, denn der Jaguar lässt zwar durchblicken, dass sein Chassis sehr steif ausgelegt ist (er trägt selbst als Coupé die Versteifungen des Cabrios), das Fahrwerk jedoch überraschend starke Vertikalbewegungen zulässt. Zudem muss die neue Lenkung ihren Turnbeutel mit Rückmeldung und Präzision zu Hause vergessen haben, sie wirkt zu indirekt, spricht vergleichsweise zögerlich an. Alles das verschärft sich im Trockenen zu einer ziemlichen Zockerei um Einlenk- und Bremspunkte, und selbst im Kurvenverlauf fällt es aufgrund des tauben Lenkgefühls schwer, optimal auf Kurs zu bleiben. Nicht falsch verstehen: Der F-Type fährt schnell, schüttet dabei durchaus vorhandene Defizite mit Emotionen zu.
Mercedes-AMG GT S als Musterbeispiel des Standardantriebs
Nur feuern eben andere viel flotter über die glühend heiße Piste, ohne dabei dröge zu wirken – der Mercedes-AMG GT S etwa. Ähnlich wie die Corvette mag er den großen Auftritt, was sich in seinem Fall ebenfalls auf den Sound bezieht, jedoch weniger auf die Optik außen, sondern vielmehr innen. Breite, geschwungene Mittelkonsole, geradezu schon kunstvoll herausgearbeitete Tasten für allerlei Variables, angefangen vom Auspuff über das Getriebe bis hin zum gesamten Antrieb – und wen der kalt lässt, dessen Atem kondensiert selbst im Hochsommer. Hinsichtlich Ansprechverhalten, Leistungsentfaltung und nicht zuletzt Klang muss sich kein Motoren-Freak mehr vor aufgeladenen Vierliter-Achtzylindern fürchten. Beinahe schon ungezogen schnoddert das Triebwerk mit seinen zwischen den Zylinderbänken untergebrachten Ladern, schmettert jenseits von 5.000 Umdrehungen Arien voll Zorn und Wut, dreht weiter, verlangt erst gegen 7.000/min nach dem nächsten Gang – eiligst serviert vom an der Hinterachse angebrachten Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe.
Jetzt gilt es nur noch, den AMG mit Kurven zu füttern, er schnappt geradezu danach, wie ein Hipster nach der nächsten Latte Macchiato mit Sojamilch. Doch der GT S offenbart schnell seinen harten Kern hinter der modischen Fassade, fährt sich um ein Vielfaches agiler, als es die sperrigen Abmessungen vermuten lassen. Vor allem das ungestüme Einlenkverhalten zusammen mit der vergleichsweise leichtgängigen Lenkung traut ihm kaum jemand zu. Doch er hat’s drauf, lässt seinen Fahrer nie im Unklaren darüber, was gerade passiert und gleich passieren könnte. Ähnlich wie der Chevrolet wirkt der Mercedes immer bei sich, gestattet sich nur minimale Karosseriebewegungen, schießt vorwiegend neutral durch Kurven, lässt sehr wohl durchblicken, wenn Übersteuern droht, doch dann ist Reaktionsvermögen gefragt.
Bis dahin fahren sich ohnehin die meisten AMG-Piloten um den Verstand, wissen es sicher zu schätzen, dass der GT S bei all seiner Einlenk-Gier dabei selbst auf der Bremse stabil bleibt. So weit, so trocken. Bei gefluteter Strecke vergisst sich der Mercedes jedoch nicht, denn hier zeigt sich, dass sich die Entwickler bei der Applikation des ESP besonders viel Mühe gegeben haben. Mit ebenso zahlreichen wie sensiblen Eingriffen bleibt der GT S stabil auf der Ideallinie, das elektronisch geregelte Sperrdifferenzial hilft tapfer mit. Selbst der begeisternde Grip an der Vorderachse bleibt erhalten, er harmoniert mit jenem an der Hinterachse – ganz im Gegensatz zur Corvette. So bremst der AMG selbst den allradgetriebenen, aber mit weit spärlicher profilierten Reifen ausgerüsteten Nissan aus.
Nissan GT-R auch in seinem achten Jahr noch vorne dabei
Dabei schlägt sich der GT-R tapfer, frühere Modelljahrgänge ließen auf Strecken dieser Art zeitiger alle Haftung fahren. Xia Dong von auto motor sport in China ist begeistert: „Selbst jetzt bietet der Nissan eine hervorragende Rückmeldung, lässt gut mit sich arbeiten.“ Recht hat er, auch wenn man sich ein wenig auf den cleveren Allradantrieb einschießen muss. Hier und da ein Lastwechsel hilft dann, um den schweren 2+2 so zu positionieren, dass es okay ist, wenn ein Großteil seines Drehmoments von 632 Nm an die Vorderräder geschickt wird. Bei hohem Reibwert gilt dagegen: Ab in den Teppich mit dir, Gaspedal! Über 1,8 Tonnen wiegt der Japaner, doch es scheint egal, denn die Masse kommt immer exakt dorthin, wo sie der Fahrer hinschickt.
Steht der Lenkwinkel, setzt sich der Nissan förmlich in die Kurve, baut unter dem Fauchen des doppelt aufgeladenen V6-Triebwerks heftige Querbeschleunigung auf, beginnt bei zu mutiger Leistungsabfrage über alle vier Räder zum Außenrand zu drängen. Selbst zackige Richtungswechsel bringen den GT-R nicht aus der Fassung, dann setzt er sich eben in die nächste Kurve. Dabei muss das Sechsgang-Doppelkupplungsgetriebe nicht allzu oft bemüht werden, das nutzbare Drehzahlband des 3,8-Liter-Aggregats fällt breit genug aus. Und das typische Mahlen und Schaben des Getriebes bei mäßigem Tempo gehört inzwischen wohl ebenso zur geschätzten GT-R-Folklore wie die Informationsflut im Cockpit.
Porsche 911 Turbo ist die nüchterne technokratische Referenz
Mit derartigen Eigenheiten fremdelt der Porsche, nimmt für sich eher die Rolle der technokratischen Referenz in dieser Klasse in Anspruch. Pedro Silva, Chefredakteur von auto hoje aus Portugal, ist ihm jedenfalls verfallen: „Ich liebe das noch immer vorhandene Heckmotor-Gefühl. Der Turbo lässt sich dennoch perfekt positionieren.“ Den Elfer zeichnet die Harmonie von Bedienkräften, Rückmeldung, Übersicht, Stabilität und Leistung aus, an die kein anderer der Wettbewerber heranreicht.Wird er nicht provoziert, sondern einfach nur schnell bewegt, kommt beim Beifahrer schon mal der Eindruck auf, neben ihm arbeite ein ICE-Führer, so sparsam sind dessen Manöver.
Nicht nur der Biturbo-Boxer im Heck arbeitet gedämpft wie ein in Decken gewickelter Laubbläser (okay, einer mit dickem Motor, zugegeben), nein, das gesamte Tempo-Erlebnis kommt einem vor wie in Watte gepackt. Runde um Runde brät der Elfer über den Kurs, legt sich jedes Asphaltkörnchen so zurecht, wie er es braucht, lässt sich keinerlei Ermüdung anmerken. Das gilt übrigens für beide Kurse, trocken wie nass, wenngleich beim Anbremsen auf niedrigem Reibwert ein Anflug von Unruhe durchschimmert. Das ändert nichts daran, dass der Porsche in Summe die schnellste Zeit einfährt, dabei jedoch so unterkühlt wirkt, dass selbst an diesen vier Donnerstagen nahe Rom Eisplatten auf den Strecken zu befürchten sind. Geschwindigkeit allein ist manchmal eben nicht genug.
Die Teststrecken von Bridgestone und das Messequipment
In der Nähe von Aprilia, rund 30 Kilometer südöstlich von Rom, unterhält der japanische Reifenkonzern Birdgestone (www.bridgestone.eu) sein europäisches Test- und Schulungszentrum. Auf dem 114 Hektar großen Gelände befinden sich neben einem vier Kilometer großen Hochgeschwindigkeitsoval, diversen Kreisbahnen und Schlechtwegstrecken ein Nass- und ein Trockenhandling-Kurs. Die bewässerte Rundstrecke ist 1.577 Meter lang. Jene Variante der trockenen Handlingstrecke, auf der die Sportwagen gemessen wurden, ist 1.906 Meter lang. Die Geschwindigkeiten und Sektorenzeiten erfasste der mit GPS, Bluetooth, WLAN und Mobilfunk (optional) ausgerüstete Racenavigator One von Macrix (www.race-navigator.com). Das Gerät integriert zusätzlich zwei Kameras in seinem Gehäuse, das an der Windschutzscheibe angebracht wird.