Dodge Viper SRT-10 im Test
Zehn Zylinder, über acht Liter Hubraum und 506 PS machen den Dodge Viper SRT-10 zu einem Macho-Sportwagen ohne Kompromisse.
Eine Chiffre für Mega-Power: 500. Das ist in den USA die magische Zahl, um die sich die Daten des sportlichen Flaggschiffs der Chrysler-Marke Dodge ranken. 505 für den Hubraum, 500 für die Leistung, 500 für das Drehmoment. Übersetzt in europäische Maßeinheiten liest sich das so: 505 Kubik-Inch ergeben 8285 Kubikzentimeter Hubraum, aus 500 Horsepower werden nach der hier üblichen Messmethode und mit geänderter Auspuffanlage 506 PS, aus 500 Poundfeet 711 Newtonmeter. Das Motorpotenzial des Dodge Viper übertrifft alles, was die Brutalo-V8 der goldenen sechziger Jahre in Amerika lieferten, als Muscle-Cars das Thema Nummer eins der Autokultur waren und aus Anzeigen blauer Reifenqualm quoll. Für immer vorbei, hieß es, als die große Kastration der US-Motoren begann und übereifrige Politiker gar forderten, kein Auto mehr zuzulassen, das schneller als 120 km/h laufen kann. Die Historie hat das korrigiert. Das Muscle-Auto ist wieder da, und heute heißt es Dodge Viper. Einziger Schönheitsfehler: kein Achtzylinder mehr. Was angesichts der PS-Mühle unter der langen Motorhaube leicht zu verschmerzen ist. Zehn Zylinder versammeln sich hier, sauber im 90-Grad-Winkel und in V-Form antretend. Die Basistechnik zeigt das klassische amerikanische Strickmuster: eine einzige Nockenwelle im V der zahlreichen Töpfe, Stoßstangen und Kipphebel zur Betätigung der nur zwei Ventile pro Zylinder. Detroit Iron in Bestform. Pardon. Der Dodge.Motor besteht komplett aus Aluminium. Aber seine Wurzeln hat er in einem Eisenbrocken, der in Pickups von Dodge Dienst tut. Im ersten Viper konnte die Großkolbenmaschine ihre Truck-Gene nicht leugnen.
Leistung gab es satt, aber zähes Ansprechen und eine ausgeprägte Drehzahl-Allergie machten deutlich, dass aus einem Arbeitsgaul so leicht kein Rennpferd wird. Schnee von gestern. Die neue Viper.Maschine, gründlich überarbeitet und im Hubraum vergrößert, zeigt einen veränderten Charakter. Nach dem Anlassen verfällt sie in einen bei 800/min hoch liegenden, schüttelnden Leerlauf. Ganz wie damals, als das Rumpeln beim Showdown an der Ampel den Einsatz einer scharfen Nockenwelle verkündete und damit dem Konkurrenten in der Spur daneben ein Warnsignal zukommen ließ. Und dann? Kraft ohne Ende. Wer im ersten Gang Vollgas gibt, muss ein Profi sein. Denn sonst rührt sich der Dodge nicht vom Fleck und produziert einen qualmenden Burnout. Gekonnte Behandlung von Gas und Kupplung katapultiert den Zweisitzer davon, als gäbe es kein Morgen. Eine Antriebsschlupfregelung gibt es nicht.
Die Dosierung der Kraft obliegt allein dem Fahrer. Und der muss sich darüber klar sein, dass er die Büchse der Pandora öffnet. e Aus dem behäbigen V10 ist eine echte Giftschlange geworden. Ab dem mittleren Drehzahlbereich beißt sie zu, aggressiv jede Bewegung des Gaspedals beantwortend. Das belanglose Brummeln der niedrigen Drehzahlen wird zum Donner. Er lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass hier ein Hubvolumen bei der Arbeit ist, das ein stattliches Schiff über die Wellen schieben könnte. Wenn auch nur ein Hauch von Feuchtigkeit auf dem Asphalt liegt, drehen bei einem unvorsichtigen Tritt aufs Gaspedal noch bei 100 km/h die Antriebsräder durch. Beim Herausbeschleunigen aus Kurven ist höchste Aufmerksamkeit geboten, weil schon eine Prise zu viel Gas das Heck zappeln lässt. Als einziges Zugeständnis an die Moderne gibt es ABS. Damit erzielt der Viper herausragende Verzögerungswerte. Fading bei höchster Beanspruchung ist für die Brembo-Bremsanlage ohnehin ein Fremdwort. Dennoch: Im Grunde seiner Technik ist der Viper.Roadster ein Auto aus den Sechzigern. Ohne ausgefuchste Elektronik, die bei Fahrfehlern korrigierend eingreift. Eine Maschine, die den Fahrer in den Vordergrund stellt. Ein wildes Biest, das mit gekonnten Lenkmanövern gezähmt sein will. Die Ultra-Spreizung der sechs Gänge entschärft die Brutalität der Kraftentfaltung ein bisschen, weil man oft mit Drehzahlen unterwegs ist, bei denen auch der riesige Zehnzylinder keine Bäume ausreißt. Für sportliches Fahren muss man umdenken und konsequent nach der Anzeige des Drehzahlmessers fahren. Wer so schaltet, wie er es von weniger exotischen Autos gewohnt ist, liegt falsch. In der Stadt bereits in den Fünften schalten, bei Landstraßentempo in den Sechsten? Das bringt selbst diesen Riesenmotor aus dem Konzept und erzeugt ein unschönes Ruckeln. Die herkömmlichen Vorstellungen von Gangbereichen stellt der Dodge auf den Kopf. Schon der erste reicht bis über 80 km/h. Der sechste ist so lang übersetzt, dass der Viper damit theoretisch 480 km/h erreichen könnte. Er taugt allein als Autobahngang: beschleunigen bis zur gewünschten Geschwindigkeit, anschließend Dahinrollen mit Minimaldrehzahl.
200 km/h entsprechen gerade mal 2.500 Umdrehungen. Wer die Dynamik auskosten möchte, muss einen Gang tiefer fahren, als es das Gefühl diktiert. Nur dann entblößt der V10 seine Giftzähne und zeigt eine gnadenlose Kraftentfaltung. Zumal den vielen Pferdestärken ein geringes Gewicht entgegen steht: Mit 1.576 Kilogramm ist der Dodge rund 200 Kilogramm leichter als das neue Carbon-Kunstwerk aus dem gleichen Konzern, der Mercedes SLR McLaren. Das Weglassen von als überflüssig betrachteten Komfort-Attributen bringt offensichtlich mehr als der exzessive Einsatz von High Tech-Materialien. Die extrem lange Übersetzung wird von den US-Verbrauchsvorschriften diktiert. Was im gesetzlichen Zyklus funktioniert, hat aber mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Wer Leistung fordert, muss in kurzen Abständen eine Tankstelle anfahren. Denn mit weniger als 20 Liter/100 Kilometer geht dann nichts, und der Tank fasst nur bescheidene 70 Liter. Ein bisschen Erholung tut ohnehin gut nach einem Parforce-Ritt mit dem Dodge. Denn er fordert seinen Mann, physisch und psychisch. Die Bedienungskräfte für die Kupplung und die störrische Sechsgangschaltung sind hoch. Die im Überfluss vorhandene Leistung erfordert ebenso ständige Konzentration wie der nervöse Geradeauslauf, der schon von leichten Längsrillen empfindlich beeinträchtigt wird. Dazu kommt eine Kakophonie von Geräuschen: Die Karosserie knistert, der Antriebsstrang lässt klackende Lastwechselschläge hören, der Wind tobt um die Stoffhaube. Die Heizung grillt den rechten Fahrerfuß durch, während der linke medium bleibt. Offen macht Viper.Fahren Freude. Das Verdeck ist leicht zu bedienen, ohne Elektromotor, versteht sich. Vor dem Öffnen muss der Deckel des winzigen Kofferraums geöffnet werden, was trotz der unterstützenden Gasdruckfedern einen hohen Kraftaufwand erfordert. Dann entpuppt sich der Dodge als feiner Roadster – ohne die Luftwirbel, die beim Vorgänger das Offenfahren zur Tortur machten. Sogar die Federung trägt zum Vergnügen bei. Die Federwege sind naturgemäß knapp bemessen, was auf langen Bodenwellen bisweilen zu abrupten Vertikalbewegungen führt. Aber die Schraubenfedern sprechen sauber an und vermitteln damit einen Komforteindruck, der sich für einen kompromisslosen Sportwagen sehen lassen kann. Auch wenn hier Ansätze zur Zivilisierung sichtbar werden – der Dodge Viper bleibt ein Auto gewordener Anachronismus: schnell, laut, brutal, fahrerisch anspruchsvoll. Keine Rücksicht nehmend auf das Sterne-Ranking von auto motor und sport. Schön, dass es so etwas heute noch gibt.