Fahrbericht über Supersportwagen MC12 Corsa und Carrera GT-R
Das Heilsversprechen der Hybridtechnik stellt die Zukunft der großkalibrigen Supersportwagen in Frage. Repräsentieren Maserati MC12 Corsa und CGT-Porsche Carrera GT-R mit ihrer bewunderswerten Roheit und Zickigkeit eine schon vergangene Epoche?
Auf unser Unterbewusstes haben wir willentlich keinen Zugriff, das sagte Sigmund Freud. Die Summe all unserer Vorstellungen, Eindrücke und Erinnerungen ist dort gespeichert. Seinen großen Auftritt hat das Unterbewusste oft in unseren Träumen, wo Verschüttetes oder Erinnernswertes auf die Bühne zoppt wie ein auftauchender Pottwal. Leider gab es zur Lebenszeit von Sigmund Freud zu Beginn des 20. Jahrhunderts keinen Porsche Carrera GT zu kaufen – sonst hätte der Begründer der Psychoanalyse und Erforscher des Unterbewussten seine These eindrucksvoll im Selbstversuch überprüfen können. Denn nichts brennt sich stechender auf die Festplatte eines Autoverrückten als der Klang des V10-Motors aus dem Carrera GT.
Zwei Supersportwagen
Eine Testfahrt reicht aus, um nachts von vierrädrigen Hunden zu träumen, deren Laute ganz komisch und wirr klingen, nicht nach Hundegebell, sondern wie das hochfrequente Wuuuhhp-Wuuuhhp des V10-Motors. Medizinische Warnhinweise am Armaturenbrett wären eigentlich angebracht: Eine Überdosierung von V10 kann nachhaltige Schäden an der Psyche, taube Ohren und wirre Träume erzeugen. Auch die Automobilindustrie scheint um unser Wohlergehen bemüht, denn sie sagt: Supersportwagen mit maximalem Hubraum sind tot! Downsizing, CO2-Reduktion, Umweltverträglichkeit – diese Faktoren werden Maschinen mit gefräßigen Hubräumen und zehn oder zwölf Zylinderschlünden wie beim Maserati MC12 Corsa oder beim Porsche Carrera GT den Garaus bereiten. Sprechen wir bei Supersportwagen von etwas Vergangenem, dessen Zeit unwiderbringlich vorbei ist? Von kränklich zuckenden Dinosauriern, die kurz vor dem Aussterben stehen, weil ihnen das Futter ausgeht und das Klima sich wandelt? Doch das wäre schade, die Erkenntnis gewinnt, wer solche Autos nochmal fährt, am besten in ihrer radikalsten, kompromisslosesten Form: getunt und maximal zugespitzt auf Rennstrecke und Querdynamik.
700 PS starker MC12 Corsa./strong>
Die perverse Krone in unserem Doppel- Whopper-Duo trägt der Maserati MC12 Corsa. Der Namenszusatz ist kein belanglos-beliebiges Anhängsel eines Tuners, sondern eine wahre Chiffre: Maserati legte eine Zwölf-Wagen- Serie auf, abgeleitet von jenen Maserati- MC12-Rennwagen, die seit Jahren im GTRennsport Erfolge zuhauf scheffeln. Dieses Sondermodell war ausschließlich für den Verzehr auf der Rundstrecke gedacht, doch Ex- DTM-Pilot Hubert Haupt stellte das keinesfalls zufrieden: Er wollte die Überdosierung auch für die Straße, was eine lange Reihe Geld kostete und eine ebenso lange Reihe amüsanter Geschichten zutage förderte. Zum Beispiel resultierte das aufwendige Zulassungsprocedere in witzigen behördlichen Verfügungen: Nachts im Regen darf der starke Wagen nicht gefahren werden, denn er hat eine wenig blendsichere Lexan-Windschutzscheibe.
Auch musste mit Dunlop erst ein Reifenhersteller gefunden werden, der bereit war, das passende schwarze Gold für den schwarzen Dreizack- Wagen zu mixen. Maserati, Personenkraftwagen, geschlossen – so nennt die Zulassungsbescheinigung mit maßloser Untertreibung die wohl exklusivste aller Einzelumbauten mit deutschem Kennzeichen. Die Änderungsliste vom renntauglichen Sondermodell zum straßentauglichen Rennmodell füllt Seiten: neue Kühlung, Abgasanlage mit Klappensystem, Tankanlage, Überarbeitung der Karosserie, Anpassung des Unterbodens, Fahrwerksumbau, neue Rad- Reifendimensionen – fast 200 000 Euro verschlang die Metamorphose des 1,2 Millionen Euro teuren Sportwagentraums aus Italien. Wofür? Um nachts süß zu träumen und tagsüber das Gott-Gefühl absoluter Unantastbarkeit zu genießen.
Allein die Datenblattzahlen strecken die automobile Welt nieder: Die 700-PS-Marke ist ein fast einmaliges Statement, doch die Kombination mit dem Gewicht einer zu schwer geratenen Lotus Elise von 1150 Kilo gibt alles andere der Lächerlichkeit preis. Nun kann man auf Datenblättern schöne, schnelle Autos entwerfen. Die Fahrbahrkeit und Schlüssigkeit solcher Ultra-Konzepte erweist sich weder im Stadtverkehr noch auf deutschen Autobahnen, wo der MC12 wie ein Kampfjet im Getümmel von Propeller-Flug zeugen wirkt. Nur die Rennstrecke erlaubt die Annäherung an das Limit. Dort kommt die Antwort kurz, knapp und trocken: mit 1.07,6 Minuten neuer Rundenrekord auf dem Kleinen Kurs in Hockenheim. Dass die Speed-Barriere jemals so hoch liegen würde, war nicht zu erwarten, noch dazu, weil der Maserati Corsa ohne straßenzugelassene Sportreifen daherkommt. Und der Grip definiert bekanntlich die dynamischen Ausfallschritte, ob auf der Bremse, in der Kurve oder bei der Traktion.
700 PS wirkungsvoll in Vortrieb umzusetzen, das gelingt den Dunlop-Pneus erwartungsgemäß nur bedingt, die Spurhaltefähigkeit des Hecks definiert den Grenzbereich. Trotzdem gelingt die Reise an der Schwelle zum Abflug noch relativ entspannt, weil das neu justierte Fahrwerk exzellente Rückmeldungen liefert und die servounterstützte Lenkung als Präzisionshandwerkszeug durchgehen könnte. Es tun sich keine Abgründe auf. Was enorm zur Souveränität beiträgt, ist die relative Gediegenheit des Batmobils.
Der Vorgang der Straßenzulassung hat kein archaisch- unkontrollierbares, Angst einflößendes Monster geboren: Der MC12 Corsa ist – trotz allem und entgegen aller Erwartungen – ein normales Auto geblieben. Die Wippenschaltung würde nicht mal einen Fahranfänger vor Probleme stellen, die Bremse verrichtet ihren Dienst ohne Auffälligkeiten. In den Sportsitzen hockt man in leicht liegender Position wie in einem magisch beschleunigten Sonnenstuhl. Das Interieur mit dem digital aufgeblähten Lenkrad nach Formel-1-Manier schmeichelt den Augen und den Händen. Nur das wilde Sammelsurium an Schaltern und Knöpfen auf dem Mitteltunnel lässt Rückschlüsse zu, dass das Konzept nicht von der Straße kommen kann.
Das majestätische Gravitationszentrum dieses Autos ist zweifellos sein Motor. Der Sechs-Liter-V12-Motor neigt zur Abstoßung: Seine tonalen Äußerungen suggerieren ein baldiges mechanisches Ende. Man wähnt sich in einer fahrenden Zementmischtrommel, aus der unentwegt irritierende Geräusche herausgeschleudert werden: das Singen des Getriebes, das Rasseln des Diffs und dann erst der Motor – hohles Gurgeln bei niedrigen Drehzahlen, druckvolles Aufplustern im Mitteldrehzahlbereich, hektischen Schreien nahe der Drehzahlgrenze bei über 8000/min. Der Auspuff hält sich erstaunlicherweise zurück, die Klappen verschlucken das Wilde bei Langsamfahrt. Erst wenn die kanonenartigen Ofenrohre am Heck auf Durchzug stehen, wird auch der Umwelt klar, dass dieser Sound aus dem Schlund der Hölle kommen muss.
Das einzige Gefühl der Deplatziertheit trifft den MC12 Corsa.Piloten ausgerechnet im Straßenverkehr. Sieht man einmal davon ab, dass der Aufmerksamkeitsfaktor enorm, aber irgendwie auch peinlich ist, wirkt vieles von dem, was auf der Rennstrecke Sinn machte, auf der Straße nur absurd: Aus der sensiblen Lenkung wird eine hypersensible, aus der ansprechenden Bremse eine anspruchsvolle, aus dem mitteilsamen Fahrwerk ein geschwätziger Genosse. Nur wer das ganz Besondere besonders liebt, wird sich so was antun.
Der zweite im Bund
Ganz anders der zweite Dinosaurier, der Porsche Carrera GT. Sein Münchener Besitzer hat den Porsche-Supersportler bei CGT ebenfalls einer Rosskur für die Rennstrecke unterzogen.Das Ergebnis ist weit weniger gewalttätig als die Push-Push-Präsenz des MC12 Corsa. Der Wechsel auf 19-Zoll-Pirelli Corsa.Reifen, ein Fahrwerksupgrade des Spezialisten KW und ein neuer Aero-Mix wie der wuchtig ausfahrende Monster-Heckspoiler unterstreichen optisch, was der Carrera GT-R technisch bereits serienmäßig zu bieten hat. Der Besitzer war weise genug, von weiteren tief greifenden Veränderungen die Finger zu lassen. Einzig die angepasste Motorelektronik versprach auf dem Papier einen Schritt nach vorn. Die essentiellen Bausteine wie Motormechanik oder Getriebe blieben unangetastet.
So verwundert es nicht, dass man sich im Gegensatz zum MC12 im CGT-Porsche auf der öffentlichen Straße weit mehr zuhause fühlt. Die schlüssige Abfolge vertrauter Porsche- Zutaten, die perfekte Ergonomie – nichts lässt darauf schließen, in einem verkrampften Supersportwagen zu sitzen. Kurioserweise scheute sich Porsche nicht, eine Keramikkupplung zu verbauen, die manchen Besitzer zur Weißglut trieb und fürderhin zur sofortigen Wandlung anregte. Versuchen Sie mal, einen Carrera rückwärts berghoch einzuparken. Sie sollten eine Viertelstunde einkalkulieren – oder einen anderen Parkplatz suchen.
Starker V10-Motor
Die Grammfeilscherei bei der Kupplung hat jedoch einen wahren und guten Beweggrund: Der V10-Motor des Carrera GT-R ist – wie im Maserati MC12 Corsa – der Höhepunkt dieses Autos, sein Konzept basiert auf der radikalen Minimierung der Schwungmassen und da wollte man das schöne Bild eben nicht durch eine schwere Kupplung ruinieren. Allzu verständlich, schließlich sind die geringen rotierenden Massen auch für die geniale musikalische Untermalung jeder Kurbelwellenrotation verantwortlich. Richtig überzeugend ist das Carrera GT-R-Paket also erst in Bewegung.
Dem gestrafften Fahrwerk gelingt der Kompromiss aus Sportlichkeit und Restkomfort, die Lenkung ist ein verlängertes Tastorgan der Fahrerhände und der V10-Motor schiebt, als gäbe es kein Morgen. Die Milde auf der Straße wurde auch durch die Tuningmaßnahmen nicht entblößt, bestenfalls präzisiert und angemessen verschärft. Im Umkehrschluss fällt der dynamische Zugewinn des Carrera GT-R – wenn man das bei der erreichten Höhe des Technikstands überhaupt so sagen darf – auf der Rennstrecke eher bescheiden aus. Die Rundenzeiten in Hockenheim lagen auf dem Niveau des Basisfahrzeuges, die Testfahrten wurden jedoch durch eine rutschende Kupplung beeinträchtigt. Trotzdem: 1.08,6 Minuten in Hockenheim sind eine Spitzenzeit, zieht man in Betracht, dass der Carrera GT-R 200 Kilo mehr auf die Waage stemmt als der MC12 Corsa. Ob das Downsizing der Zukunft je eine ähnliche Faszination liefern kann wie die großkalibrigen Waffen der jüngeren Vergangenheit? Gut, dass wir ein letztes Mal per Stethoskop das V12-Trompeten und das V10-Geheul im Unterbewusstsein abgespeichert haben. Alle paar Jahre wird es uns wieder verfolgen, in unseren Träumen.