Mercedes V-Klasse und VW T6 Multivan im Vergleich
Seit 1950 tourt der VW Bus durch die Weltgeschichte. Nun kommt die sechste Generation, die uns sehr bekannt vorkommt. Statt alles neu zu machen, wollten die Entwickler die T5-Basis perfektionieren. Genügt das, um wieder gegen die V-Klasse zu bestehen?
Die Entwicklung der Butterbrezel muss als weitestgehend abgeschlossen gelten. Sie ist seit Jahren ganz die Alte. Trotz aller Innovationskraft des Deutschen Bäckerhandwerks haben sich weder technisch noch stilistisch entscheidende Neuerungen ergeben. Wenn wir es für das Wesen einer Neuerung halten, dass sie Neues bringt, gilt Gleiches für den Multivan. 2003 startete der T5. Keineswegs übereilt kündigte VW für 2015 die neue Generation an. Die steht nun hier, unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum vom T5. Reicht das gegen die V-Klasse?
Dass der T6 Multivan 2.0 TDI so wirklich richtig neu gar nicht ist, weiß auch VW. Und nutzt es. Während Renault oder Mercedes bei den aktuellen Generationen von Trafic und V-Klasse an der Front je zehn Zentimeter zusätzliche Knautschzone einkonstruierten, um die Anforderungen für den Fußgänger-Crashschutz zu bestehen, muss der T6 Multivan 2.0 TDI die noch nicht erfüllen. Weil drunter weiterhin der T5 steckt, spart sich VW eine neue Homologation.
VW T6 Multivan weiter auf T5-Basis
Die alte Basis hat auch Vorteile beim Platzangebot. Schließlich ist der Kasten in der Autowelt der geometrische Körper mit der besten Raumausnutzung. Bei unveränderten Abmessungen und dem Quermotor-Vorderradantriebs-Layout schafft der VW T6 Multivan 2.0 TDI innen trotz 24,8 Zentimetern weniger Außenlänge ein ähnlich verschwenderisches Raumangebot wie die längsmotorige, hinterradgetriebene Mercedes V-Klasse in der beliebten, aber sperrigeren Langversion.
Der höhere VW T6 Multivan bietet zudem bessere Variabilität. Wobei es eine Kleinigkeit gibt, um die T5-Besitzer die Fahrer des neuen Multivan im Alltag am meisten beneiden werden: Die Rücksitzbank lässt sich nun auf den Schienen verschieben, ohne dass dafür wie bisher die Lehne umgeklappt werden muss. Klapptisch, Sonnenrollos und die optionale Kühlbox zählen zur Multivan.Folklore wie das Schlafsofa. So lässt sich die nun besser gepolsterte Bank flach klappen und mit den Sitzen in der Reihe zwei zu einem Bett zusammenräumen. Die zwei Einzelsitze lassen sich drehen und auf dem gesamten Schienenbereich arretieren. Dagegen dürfen die vier Rücksitze der Mercedes V-Klasse nur fünf Zentimeter vor- oder zurückrücken. Andernfalls besteht laut Bedienungsanleitung "erhöhte Verletzungsgefahr oder sogar Lebensgefahr". Mercedes erklärt die Einschränkung damit, dass die Passagiere bei einem Unfall nur so optimal zum Windowbag positioniert sind und genügend Abstand zu anderen Sitzen haben.
Beim VW T6 Multivan sind eher die Bandscheiben in Gefahr – wenn es gilt, die Sitze auszubauen. Das sei nun leichter, sagt VW, womit aber nur gemeint ist, dass man die Endplatten der Schienen nun einfacher abnehmen kann. Wer die 40 Kilo schweren Sitze herauswuchten will, sollte dagegen eine neugierige Einstellung zum Erlebnis Hexenschuss mitbringen.
T6 Multivan mit nutzmunterem TDI
Nachdem wir so fleißig um- und ausgeräumt haben, stellen wir noch fest, dass man auf den Sitzen tatsächlich auch bequem sitzen kann - und zwar auf allen Plätzen und in beiden Mobilen. So, jetzt klettern wir mal ins Cockpit. Da wirkt der holzvertäfelte Mercedes V 250 d lang weiterhin hochwertiger und großraumlimousiniger, wohingegen der VW Multivan auch in sechster Generation nutzwertiger und pragmatischer daherkommt. Bei der Bedienung pflegen beide die firmentypischen Eigenheiten: Für die umstandskrämerische Menüstruktur des serienmäßigen Comand-Infotainments in der Mercedes V-Klasse benötigen alle Neulinge Eingewöhnung. Und zumindest wer von T3 oder T4 in den VW T6 umsteigt, braucht kurz, um zu erkennen, dass dieses kleine runde Ding da vorn mit den vielen Knöpfen nicht nur Bordcomputer, Abstandstempomat und Infotainment zu lenken vermag, sondern gar den ganzen Bus.
Schlüsseldreh, der Zweiliter-Turbodiesel der Baureihe EA 288 Nutz nagelt sacht los. Wählhebel auf D. Gas./span>. Na, auf jetzt! Mehr Gas. Nachdem er erst nicht los will, raspelt der VW T6 Multivan nun energisch voran - weil sein Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe etwas überrascht erscheint, wenn der Motor mit seinen zwei Turbos samt variabler Ladergeometrie das maximale Drehmoment so plötzlich bei 1.400/min beisammen hat. Beim Mercedes V 250 d lang geht das alles besonnener. Der Wandler überschlupft das kurze Laderzögern. Danach schaltet die Automatik betulich, aber weich durch die sieben Stufen. Nach 190 PS fühlt sich der nagelige 2,1-Liter-Biturbo aber nie an, was auch daran liegt, dass er fast 2,5 Tonnen V-Klasse herumwuchten muss. Temperamentvoller sprintet der 79 Kilo leichtere VW T6, sein Motor spricht spontaner an, dreht flockiger, zieht vehementer, selbstzündet trotz 2.000 bar Einspritzdruck sanfter. Beim Verbrauch (Mercedes V-Klasse 9,1 l/100 km, VW T6 9,3 l/100 km) liegen beide auf gleichem Niveau.
Handling? Tja nun, ähm
Auch die Unlust zu Richtungswechseln eint beide. Mit den neuen Adaptivdämpfern stampft der VW T6 Multivan nicht mehr durch Kurven. Seine Lenkung ist zwar stößig, spricht aber direkter und präziser an. Der Mercedes V 250 d lenkt träger, untersteuert früher und wird rigider vom ESP eingebremst als der VW.
Der VW T6 Multivan 2.0 TDI hat sich beim Komfort verbessert – noch ein Verdienst der adaptiven Dämpfer. So steckt er im Komfort-Modus kurze Unebenheiten leer wie beladen so gut weg wie der Mercedes V 250 d mit seinen zweistufigen Dämpfern. Lange Wellen dagegen packt die V-Klasse souveräner, während der VW T6 ihnen im Comfort-Modus noch lange nachschwingt, was eine gewisse Seefestigkeit der Passagiere in der dritten Reihe geboten erscheinen lässt. Im Normal-Modus strafft sich der VW T6 Multivan, sortiert dann Stöße aber nicht mehr so beflissen aus. Schließlich gibt es einen Sport-Modus – einen überaus entbehrlichen.
Der modernisierte VW T6 Multivan 2.0 TDI holt sich die Eigenschaftswertung. Doch wohl zum ersten Mal in der Geschichte von auto motor und sport kann ein Mercedes mit besserer Ausstattung zum Gesamtsieg kontern – als Avantgarde Edition hat der V 250 d LED-Adaptivlicht, E-Schiebetüren und -Heckklappe, Navi und Leder dabei. So gewinnt die Mercedes V-Klasse gegen den VW T6 Multivan 2.0 TDI, dessen – sagen wir: Bewährte – Basis VW bis zum Maximum weiterentwickelt hat. Er bleibt eines der großen Universalgenies und ganz der Alte – aber auf Dauer womöglich etwas zu ganz.