Porsche 911 GT3 im sport auto-Supertest
Das jungfräuliche Weiß kann die Tatsache nur unvollkommen
übertünchen, dass es sich beim neuen Porsche 911 GT3 um ein
außergewöhnliches Sportgerät handelt. Der Supertest wird zeigen, ob
der 415 PS starke Sport-Boxer das Zeug zum Überflieger hat.
Würden auch wir uns – wie vielfach noch immer üblich – beim Einordnen und Bewerten eines Sportwagens auf die vier gängigen Größen Höchstgeschwindigkeit, Beschleunigung von null auf Tempo hundert, Preis und Aussehen beschränken, könnten wir uns ebenfalls recht kurz fassen. Das Fazit des neuen Porsche GT3 würde dann ungefähr so lauten: Er fährt sehr schnell geradeaus, nämlich 310 Kilometer in der Stunde. Auch beschleunigt er sehr schnell – in 4,3 Sekunden auf 100 km/h. Selbst beim Preis kann einem schnell schwindelig werden: 108.083 Euro in der Grundausstattung – 130.964 Euro mit allen Extras. Und angesichts der optischen Erscheinung könnte man auch auf die Schnelle zu folgendem Schluss kommen: Nun ja, im Prinzip alles schon mal da gewesen. Was also, so die ergreifende Frage nach dem oberflächlich geführten Diskurs, hat die neueste Fassung des GT3 auf der Pfanne, wo sie doch geradeaus offenbar nicht so viel schneller sein kann als ein Carrera S – aber doch so viel teurer? Dass die intime Annäherung an das Thema nicht unter Zuhilfenahme der gängigen Kriterien aus dem Autoquartett gelingen kann, dürfte sport auto-Lesern schon seit geraumer Zeit bekannt sein. Auch, dass es zum Offenbaren spezifischer Eigenschaften ganz besondere Herangehensweisen und Bewertungsmethoden gibt, die weit über die banale Erörterung der Längsdynamik (Vmax, null bis 100 km/h) hinausgehen.
108.083 Euro für die Grundausstattung
Dass sich die Seele eines Sportwagens überdies erst vollständig erschließt, wenn seine Gegenwart im historischen Kontext beleuchtet werden kann, werden zumindest diejenigen nachvollziehen können, die in der Vergangenheit schon mal näheren Kontakt mit einem der Ahnen des neuen 911 GT3 hatten. So wie beispielsweise sport auto mit dem ersten, als limitiertes Sondermodell herausgebrachten GT3 auf Basis des 996, der im Fazit des damaligen Supertests (8/1999) schon über den grünen Klee gelobt wurde: "Angesichts dieses Temperaments müssen sich einige warm anziehen", hieß es da. Das darauf folgende Modell erhielt knapp vier Jahre später im Supertest mit 59 Punkten nicht nur elf Punkte mehr als der Basis-Carrera, sondern sozusagen eine generelle Absolution, stellvertretend für die gesamte 911er-Baureihe. Zitat: "Der GT3 ist ein anschauliches Paradebeispiel dafür, was sich aus einem Jahrzehnte alten Grundkonzept alles zaubern lässt." Tatsächlich reicht ja die Ahnengalerie der sportlichen Porsche-Ikonen bis in die 70er Jahre zurück, als mit den RS-Varianten sozusagen erste Machbarkeitsstudien für puristische Straßensportler aufgelegt wurden.
Was die Inhalte der beiden vorangegangenen Supertests zum Thema GT3 angeht, so könnte man sie spaßeshalber fast eins zu eins auf das aktuelle Modell übertragen – mit dem Unterschied, dass bei aller Gleichheit des Konzepts und der Ähnlichkeit der Wortwahl unterm Strich nichts geblieben ist, wie es war. Welches Potenzial im Sechszylinder-Boxer generell und im Besonderen in der mechanischen Basis des aktuellen GT3-Triebwerks steckt, zeigt ein Blick zurück in die jüngere Sportgeschichte. Ursprünglich für den Le Mans-Sieger 911 GT1 gebaut, hat sich der Grundmotor schon über mehrere Evolutionsstufen hinweg in den Triebwerken des GT3 Cup, GT3 RS und GT3 RSR bewährt. Bei diesem Aggregat, das sich vom normalen Carrera-Motor deutlich unterscheidet, sind die Zylindergehäuse, der Zylinderkopf sowie die Nockenwellengehäuse zusammengefasst, um die Torsionssteifigkeit des Motors zu erhöhen. Im letzten GT3 mit einer Leistung von 381 PS bei 7.400/min schon Klassenprimus, setzt der in seiner Peripherie sowie in seinem Innersten komplett überarbeitete Wasserboxer selbstredend erneut Maßstäbe. Sämtliche bewegten Teile wurden einer intensiven Gewichtskur unterzogen. Die leichten Titanpleuel wurden zwecks Erhöhung des Wirkungsgrads um 1,5 auf 131,5 Millimeter verlängert, was eine günstigere Überleitung der Kräfte auf die um 600 Gramm erleichterte, achtfach gelagerte Kurbelwelle bewirkt. Ein wesentlicher Bestandteil der aktuellen Leistungssteigerung ist auch die neue Sauganlage mit der so genannten Ram Air-Hutze auf der Heckklappe.
Eine neue Sauganlage sorgt für mehr Leistung
Je nach Tempo wird die Ansaugluft mit zunehmendem Druck direkt in das Luftfiltergehäuse gepresst, was den Luftdurchsatz erhöht und den Ladungswechsel verbessert. Mit den tief greifenden Veränderungen geht überdies ein neuer Sound einher. Die Abgase aller sechs Zylinder werden nun nicht mehr über eine zweiflutige Anlage, sondern über einen gemeinsamen Endschalldämpfer zusammengeführt und über die beiden nun mittig angeordneten Endrohre ins Freie entlassen. Was sich damit klangmäßig im GT3 abspielt, ist ein Megakonzert, wie es sonst nur im Rennumfeld erlebbar ist. Im unteren und mittleren Drehzahlbereich noch sehr dumpf und sonor und keineswegs so dominant, dass sie zur Belästigung wird, entwickelt sich die Soundkulisse ab etwa 6.000 Umdrehungen zu einem musikalische Drama, dass dies einen bei leichtem Hang zur Theatralik tatsächlich zu Tränen rühren kann. Schon ab 7.000/min meint man, umgehend zum Schalthebel greifen zu müssen, weil die Jubelarie dem vermeintlichen Höhepunkt entgegen geht. Erst der Blick auf den roten Zeiger über dem titanfarbenen Ziffernblatt des Drehzahlmessers macht deutlich, dass bis zum Höhepunkt der Drehzahlorgie noch einige Zeit bleibt. Und kurz vor dem Zenit gibt schließlich eine Hochschaltanzeige in Form eines kleinen grünen Pfeils das Signal für den optimalen Schaltzeitpunkt – mit Rücksicht auf die Reaktionszeit des Fahrers in den unteren Gängen einen Tick früher als in den oberen Stufen.
Das aufregende Gefühl, es mit einem wahrhaftigen Rennmotor zu tun zu haben, bekommt man in diesen Dosen nur selten dargereicht, wobei die eindrucksvolle Akustik nur das Begleitwerk eines objektiven Bewegungsmusters ist, das den Adrenalinpegel jedes Fahrdynamik-Junkies auf Höchststand bringt. Es geht granatenmäßig los! Nach 4,3 Sekunden schießt der GT3 an der 100-km/h-Marke vorbei und passiert die relevanteren 200 km/h schon nach 13,9 Sekunden. Auch danach geht es weiter, als seien die Fahrwiderstände für diesen Befreiungsschlag auf ein Minimum reduziert. Die 300-km/h-Grenze im Dickicht des Autobahnverkehrs hier und da mal zu knacken, ist angesichts des objektiven Temperaments und des sich dadurch gleichzeitig einstellenden Lustempfindens kein Hexenwerk. Der seidige Motorlauf und das ungemein spontane Ansprechverhalten sind sozusagen die Eingangsparameter für die offenkundige Drehzahlfreude, mit der dieser 3,6-Liter-Boxer sein Faszinationspotenzial ausschöpft. Die akribische Verfeinerung des Hochdrehzahlkonzepts, das bei einer Verdichtung von 12,0 : 1 mit einer Spitzenleistung von respektablen 415 PS bei 7.600/min einhergeht, hat allerdings die Konsequenz, dass der Motor ungeachtet des erweiterten Vario-Cam-Verstellbereichs der Einlassnockenwellen und der neuen variablen Sauganlage mit nunmehr zwei Resonanzklappen im unteren Drehzahlbereich zumindest subjektiv etwas handzahmer wirkt.
Der 911 GT3 wirkt nur subjektiv handzahmer
Ein Indiz dafür, dass diesbezüglich Handlungsbedarf bestand, ist die Verkürzung der Gangübersetzungen der Stufen zwei bis sechs. Obwohl der Neue trotz weiterer Maßnahmen zur Gewichtsreduzierung an der Karosserie 20 Kilo mehr auf die Waage bringt – insgesamt nunmehr 1.440 Kilogramm –, sind die Durchzugswerte gegenüber dem Vorgänger nach diesem Kunstgriff objektiv doch noch einmal verbessert worden. Die in Hinblick auf kürzere Schaltwege vorgenommenen Veränderungen an den Hebelübersetzungen am Getriebeeingang sind jedoch – zumindest gemessen am Basis-Carrera – eher kontraproduktiv. Die Schaltung ist zwar in der Führung nach wie vor sehr exakt, aber vor allem im kalten Aggregatzustand etwas schwergängig zu bedienen. Auch die Kupplung braucht etwas strammere Waden als im normalen Elfer. Bei der Auslegung stand offenbar nicht die kultivierte Überlandfahrt im Vordergrund, sondern eher das Sportumfeld, in dem es grundsätzlich immer etwas schwunghafter und rustikaler zugeht. Dass der 911 GT3 ansonsten nicht nur Grenzbereich erprobten Fanatikern, sondern auch der gemäßigten Klientel ohne Sieger-Ambitionen dienlich sein will, belegt das neue PASM-Fahrwerk, das wie im Basis-911er aktiv mit einzeln verstellbaren Dämpfern operiert.
Die Grundabstimmung bietet trotz der spürbar sportlichen Einstellung nicht nur einen für seine Verhältnisse sehr akzeptablen Fahrkomfort, sondern liefert damit in der Regel auch die fahrdynamisch objektiv besten Ergebnisse – siehe Rundenzeit Nordschleife Nürburgring. Der straffe Sport-Modus ist höchstes etwas für ebene Grand Prix-Kurse, auf denen ein Minimum an dynamischer Radlastverschiebung das eine oder andere Zehntel Zeitgewinn bringt. Auf welligeren Fahrbahnen hat diese Abstimmung durch die kurzen, harten Bewegungen nur mehr Unruhe im System zur Folge. Mit den geringeren Aufbaubewegungen der Karosserie im Sport-Modus verändert sich auch das Grenzbereichverhalten geringfügig: Die grundsätzlich vorhandene Untersteuerneigung, die der GT3 gemäß seiner neuerlichen Zähmung schon im Normalmodus zeigt, kommt im Sport-Modus verstärkt zum Ausdruck. Das führt allerdings keineswegs zu einem noch sichereren Fahrverhalten im Grenzbereich, sondern – im Gegenteil – es verschärft die Lage: Der Wechsel vom ausgeprägteren Untersteuern ins plötzliche Übersteuern tritt deutlicher zu Tage – daher auch die Notwendigkeit, auf diese Entwicklung mit noch mehr Engagement am Lenkrad reagieren zu müssen. Dass bei ausgeschalteter Traction Control der Schmusekurs ein Ende hat und beim Ausloten der Reifenhaftfähigkeit mit Ausfallschritten des Hecks gerechnet werden muss, dürfte als Binsenweisheit anerkannt sein. Bei alldem ist festzuhalten: So sicher war im Grenzbereich noch kein Vorgänger unterwegs. Und so schnell schon gar nicht: Mit der Rundenzeit auf dem Nürburgring von 7.48 Minuten distanziert er seinen direkten Vorgänger um immerhin sechs Sekunden. Dem Jahrgang ‘99 nimmt er sogar 15 Sekunden ab. Er bewegt sich damit just auf dem Niveau des bisherigen GT3 RS, dessen Nachfolger dem aktuellen GT3 ab Herbst diesen Jahres zur Seite gestellt wird.
Deutlich schneller als seine Vorgänger
Die puristische Variante wird sich durch eine breitere Spur auf der Hinterachse inklusive verbreiterter Karosserie, den Einsatz eines Einmassenschwungrads und durch eine weitere Gewichtsreduzierung um rund 20 Kilogramm vom GT3 unter- scheiden. Er wird damit in puncto Längs- und Querbeschleunigung vermutlich noch einmal eins drauflegen können. Auf der Rennstrecke wie in Hockenheim mit Fabelzeiten zu brillieren – 1.11,7 Minuten –, im Slalom und beim Nasshandling Rekorde zu brechen und gleichzeitig das stilvolle, gar nicht übellaunige oder unbequeme Sportcoupé mimen – das macht dem 911 GT3 in dieser Qualität so leicht keiner nach. Man muss sich ins geradezu luxuriöse Cockpit weder reinquälen – auch nicht in die optionalen, sündhaft teuren Leichtbau-Schalensitze –, noch beim Fahren Ohrenstöpsel tragen. Die Fahrt zur Rennstrecke und zurück – untermalt von der Musik des Motors oder (bei niedrigen Drehzahlen) von der Surround-Anlage – und dabei vom Navigationsgerät logistisch gestützt, hat selbstredend einen ähnlich hohen Unterhaltungsfaktor wie die Fahrt auf der Rennbahn selbst. Man kann es im 911 GT3 im Wissen um die möglichen Fahrleistungen und Querbeschleunigungen – bis zu 1,3 g – also auch so langsam angehen lassen, dass auch die Umwelt etwas davon hat. In strahlendem Weiß und mit den schönsten Rundungen versehen, offenbart sich der sportlichste aller Elfer als ein sehr sozialverträglicher Sportwagen – zumindest, was die Reaktionen von außen betrifft. Davon mit Blick auf die Preisgestaltung zu sprechen, wäre allerdings kühn: Die Latte der Positionen auf der Aufpreisliste umfasst im Fall des Testwagens nicht weniger als 13 Punkte, womit sich die Nettobelastung auf immerhin 130.964 Euro addiert. Zugegeben: Nicht alles davon ist zwingend erforderlich, um das einnehmende Wesen des 911 GT3 entdecken und genießen zu können. Aber schaden tut es auch nicht.