So fährt sich der Opel Rekord E 2.0S Berlina

Selbst in der plüschigen Verwöhnversion gehört der Opel Rekord E noch zu den Unentdeckten seiner Zeit. Im Niemandsland zwischen Chromstoßstangen und Windkanal erzählt er aus den späten Siebzigern – und, im Fall von Autor Christian Steiger, aus der eigenen Kindheit.
Was für eine absurde Idee: Mal sehen, ob es noch irgendwo so einen weißen E-Rekord gibt,wie ihn der eigene Vater fuhr, die Berlina- Version mit roten Feinvelourssitzen – schon damals eine schräge Kombination. Ausgewählt von der Mutter, als sie so alt war wie heute ihr Sohn. So jung sind sie gar nicht, die nachwachsenden Klassiker von heute. Also, mal sehen, bei mobile.de zum Beispiel, gegen jede vernünftige Chance – und trotzdem mit Erfolg. Es gibt ihn, die Farbe stimmt und auch die Sitzgarnitur. 33 000 Originalkilometer, Standort ist Kulmbach in Franken. Dazu ein Preis knapp unter 2000 Euro.
Das sind mehrere Gründe, einfach hinzufahren. Denn eigentlich kann es für den Gegenwert eines Plasma-Fernsehers keine Siebziger-Jahre-Limousine mit Chrom-Stoßstangen, 100-PS-Motor, Barock-Innenraum und zugesicherter Rostfreiheit geben. Vor allem deshalb nicht, weil ich meinen Vater bis heute vor seinem erst sechsjährigen E-Rekord niederknien und die durchmorschten Türböden mit Spachtelmasse aus dem Baumarkt sanieren sehe. Papas Auto kann rosten.
Ob sich das ein Pubertierender im Hier und Jetzt überhaupt noch vorstellen kann? Wird seine Phantasie ausreichen, um nachzufühlen, wie es in 6703 Limburgerhof, Landkreis Ludwigshafen, einmal gewesen ist, wenn der eigene Vater vom 44-PS-Käfer direkt zum 100- PS-Rekord aufsteigt? Kerstin aus der 7b hätte sich im Bikini auf dem Waschbeton- Springbrunnen des örtlichen Schulzentrums räkeln können – ich hätte sie nicht bemerkt. Zumindest nicht an dem Tag, als Vater im Rekord nach Hause kam. Ein Opel, und du platzt vor Stolz. Auch so lange ist das schon her: Premium war Pilsener Bier, aber noch kein größter gemeinsamer Lebensanspruch.
Der Erwerb eines Rekord ließ Nachbarn recht herzlich zum „neuen großen Wagen” gratulieren, ohne den geringsten Hauch von Ironie. Und auch für auto motor und sport, das Lieblingsblatt des Zwölfjährigen auf der Velours-Rückbank, war der Rekord E „ein zeitgemäßes Auto, dessen Karosserie auch in ein paar Jahren noch ansprechend wirkt”, das über „bequeme Schaumstoff-Sitze” verfügt und – „sogar beim Basismodell” – über farblich harmonierende Verkleidungen sowie Schlingenware auf dem Boden. Das sah Vater genauso, weshalb er allen Ernstes das Rauchen von Atika-Zigaretten einstellte, um die höheren Unterhaltskosten kompensieren zu können. Der Aufstieg war ihm nicht ganz geheuer: Er befürchtete, sich übernommen zu haben. Dabei war er mit dem bar ersparten Kaufpreis in seiner ledernen Handgelenktasche zum Händler aufgebrochen.
Dessen Quittung gibt es noch, datiert vom 18. Juni 1980, und von Hand ausgefüllt. Eine seltsame Zwischenzeit war das, mit Kraftwerk und den Teens im Grundig-Radiorecorder, mit Lehrerzimmern, in denen APO-Helden neben früheren Trägern des Eisernen Kreuzes saßen. Und mit populären Limousinen, die sich nicht entscheiden konnten zwischen Einst und Jetzt. Die Nockenwelle des E-Rekord war schon in den Zylinderkopf vorgedrungen.
Stammtischthema cW-Wert
Es gab ihn bereits als Einspritzer, aber im Grunde stammte das Motorenprogramm noch aus den Sechzigern. Vorn federt er nach Mc-Pherson, hinten arbeitet eine Starrachse, wenn auch von vier Längslenkern gezähmt. Die Servolenkung stand auf der Mehrpreis.iste, aber er schiebt schon einen abgeschrägten Bug in den Wind, weil cW-Werte bereits ein Stammtischthema waren. Tageszeitungen schrieben allen Ernstes von „Windschlüpfrigkeit”: Das war nicht obszön gemeint, man musste sich an das neue Zeitalter gewöhnen.
Typisch Berlina
Die Berlina-Ausstattung passt auch deshalb gut zum Rekord, weil seine prunkenden Velourssessel wirken wie die Wohnzimmer-Einrichtungen in vielen Neubau-Eigenheimen dieser Zeit. Sachliche Fassade, dahinter ein Tick zu viel Pracht, der späte Wir-haben-es-erreicht-Chic einer schon reiferen Aufbaugeneration: Und ihr Verwöhn-Rekord setzte sich von den L- und Standard- Typen sogar mit verchromten Radzierringen ab. Berlina war nicht teuer, Opel berechnete 730 Mark Mehrpreis.
Das ging, selbst für sparsame Käufer wie meinen Vater – und für Anneliese R., Jahrgang 1923, wohnhaft in Kulmbach, die ihren E-Rekord in 23 Jahren nur ganze 33 000 Kilometer fuhr. Dann mussten ihre Erben die Garage räumen. Sie öffneten, bevor sie den Opel verkauften, offenbar nicht einmal das Handschuhfach.
Scheckheftgepflegt
Armin Kull, Besitzer einer Werbeagentur und Käufer des Rekord, fand darin zierliche Autofahrer- Handschuhe aus dunkelrotem Leder, ein kleines Italienisch-Wörterbuch und einen Vorrat von 4711-Erfrischungstüchern. Zudem barg er zwei Opel-Scheckhefte: Sie beweisen, dass Frau R. ihren Rekord zweimal jährlich zur Inspektion gab – im Schnitt alle 700 Kilometer. Sie muss stolz gewesen sein auf den großen Wagen. Mein Vater hätte ihn nie mit Automatik gekauft, das gehört zu den wenigen Unterschieden. Was wichtiger ist: Der Zwölfjährige von damals sitzt nicht hinten, sondern hinter dem polyurethanumschäumten Vierspeichen- Lenkrad, einem weiteren Berlina-Erkennungszeichen, und fädelt persönlich den Zündschlüssel ins Schloss.
Eine kurze Drehung beantwortet der Opel spontan mit jenem Nuschelsound, der das akustische Wiedererkennen trefflich abrundet. Das leichte, völlig serienmäßige Scheppern der Türen gehört auch dazu, das Plastik-Knarzen der Heizungsregler und die Mono-Stimmen aus dem Blaupunkt-Radio vom Typ Le Mans Super, das für 360 Mark Mehrpreis weder Stationstasten noch einen Cassettenschacht anbot. Es war damals eine übliche Wahl.
Ganz ohne Servolenkung
Auch die Servolenkung – für saftige 960 Mark – schien Frau R. verzichtbar. Es bleibt ihr Geheimnis, wie sie ihre Mittelklasse-Limousine in enge Parklücken gewuchtet haben mag.„Die Servolenkung verbessert die Handlichkeit um ein Beträchtliches”, notierte 1977 ein freundlicher Helmut Eicker in auto motor und sport. Er verschwieg, dass ohne Servo überhaupt keine Handlichkeit existiert.
Alles wird gut, wenn der Rekord einmal fährt: Die Schaltbox sortiert ihre drei Fahrstufen auf die sanfte Tour, das ams-Urteil vom „ausreichenden Federungskomfort” gilt im Grunde noch heute. Und auf dem Berlina-Plüsch sitzt es sich zwar etwas hoch, aber tatsächlich nicht weniger behaglich als auf einer zeitgenössischen Wohnlandschaft. Der Blick fällt nicht auf einen dunkelhölzernen Couchtisch mit Kacheln, sondern auf ein kantiges Cockpit von verhalten schriller Zweifarbigkeit. Es beginnt mit seiner breiten Mittelkonsole schon, die vorderen Passagiere zu separieren.
Der Dachpavillon mit seinen schlanken Säulen und der niedrigen Gürtellinie ist dagegen noch der 60er-Jahre-Architektur verpflichtet: Der E-Rekord wirkt hell und luftig, viel großzügiger als in der Erinnerung – und, auch das, keinen Deut weniger alltagstauglich als ein Mercedes der Baureihe W123. Aber: Wie damals ist er deutlich erreichbarer. Armin Kull hat 700 Euro bezahlt und etwas mehr als 1000 Euro in den Rekord von Frau R. investiert. Den Kapitaleinsatz will er zurück – und auch das nur deshalb, weil ihm der Platz zum Aufheben fehlt. Autos aufheben hielt mein Vater für absurd. Er kaufte einen Omega – günstig, Halbjahres-Wagen –, dessen beige Innenausstattung meine Mutter auf fast abstoßende Weise sachlich fand.