Cybermobbing-Experte fordert schulische Interneterziehung
Das Cybermobbing-Problem hat sich vor allem bei Jugendlichen in der Corona-Zeit erheblich verschärft. So können Eltern ihre Kinder bestmöglich schützen.
Seit 2004 findet jährlich im Februar der internationale Safer Internet Day (SID) statt, um Kinder und Jugendliche für das Thema Sicherheit im Netz zu sensibilisieren. Vor allem an Schulen hat das Cybermobbing in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Zu den Gründen für die Zunahme zählen auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Die Konflikte vom Schulhof haben sich im Zuge des Homeschoolings ins Netz verlagert, Jugendliche nutzen das Internet und vor allem soziale Plattformen ausgiebig.
"WhatsApp-Gruppen, soziale Netzwerke, Videoportale, E-Mails und Chat-Funktionen von Videospielen, Apps und Videokonferenz-Software für den Distanzunterricht - die Liste ist lang und eine wirksame Kontrolle nahezu unmöglich", weiß auch Christian Scherg. Der Experte für Online-Krisenkommunikation & Cybermobbing fordert eine "universelle Aufklärung und Unterstützung für die Kinder, aber auch für die Eltern". Wie Eltern ihre Kinder bestmöglich schützen können, an wen sich Betroffene wenden können und wie das "Digital Schutzpaket" der Telekom unterstützen kann, erklärt der Experte im Interview.
Cybermobbing betrifft meistens Jugendliche - lassen Eltern ihre Kinder zu unbeaufsichtigt im Internet?
Christian Scherg: Ja, das hat allerdings nichts mit Desinteresse, sondern mit Überforderung zu tun. Die Eltern wissen oftmals nicht, wie sie richtig reagieren sollen und dazu kommt die durch Corona bei den Jugendlichen noch weiter gestiegene Nutzung von digitalen Kommunikationskanälen: WhatsApp-Gruppen, soziale Netzwerke, Videoportale, E-Mails und Chat-Funktionen von Videospielen, Apps und Videokonferenz-Software für den Distanzunterricht - die Liste ist lang und eine wirksame Kontrolle nahezu unmöglich. Hier ist eine universelle Aufklärung und Unterstützung gefordert: Für die Kinder, aber auch für die Eltern.
Ab welchem Alter können Kinder bedenkenlos unbeaufsichtigt surfen oder auch ein eigenes Smartphone mit Zugang zu sozialen Medien nutzen?
Scherg: Eine Bitkom-Studie aus 2019 zeigt, dass sich Kinder immer früher in der digitalen Welt bewegen: Bereits 97% der Kinder ab 12 Jahren nutzen das Internet gelegentlich. Ab zehn Jahren besitzen drei von vier Kindern ein Smartphone. Das richtige Verhalten in der digitalen Welt ist heute für Kinder genauso wichtig wie die Regeln im Straßenverkehr. Eltern schicken ihr Kind ja auch erst dann allein auf die Straße, wenn es sich sicher fühlt und das richtige Verhalten eingeübt wurde. Ich plädiere deshalb weniger für ein bestimmtes Einstiegsalter, sondern für eine schulische Interneterziehung mit entsprechendem Abschluss wie bei der Fahrradprüfung. Grundvoraussetzung dafür wird sein, die Medienkompetenz von Lehrkräften weiter auszubauen.
Welche technischen Hilfsmittel empfehlen Sie für sicheres Surfen?
Scherg: Ratsam ist das Erstellen eigener Accounts und der Einsatz von Filtersoftware, die Kinder vor nicht altersgerechten Inhalten im Internet schützen. Die Installation der kostenlosen Software "KinderServer" lässt beispielsweise nur den Zugriff auf Webseiten zu, die für Kinder unter 12 Jahren geeignet sind und sich durch die Kindersuchmaschinen "FragFinn" und "Blinde Kuh" erreichen lassen. Weitere Seiten, die Eltern für unbedenklich halten, können in sogenannten Whitelists ergänzt werden. Google und Facebook sind selbstverständlich für Kinder tabu. Als Startseite empfiehlt sich beispielweise "Seitenstark.de".
Wie können Eltern ihre Kinder für die Gefahren im Web sensibilisieren?
Scherg: Es ist für Eltern wichtig, aufzuklären und ihre Kinder stark zu machen. Nur wenn ich meinem Kind in der realen Welt eine gesunde Selbstwahrnehmung vermittle, ist es auch in der Lage in der digitalen Welt Grenzen zu setzen und zu erkennen, wann die eigene Würde im Netz verletzt wird. Mein Team und ich zeigen zudem mit unserem speziellen Cybermobbing-Simulator in Schulklassen, wie einfach Cybermobbing entsteht und welche psychologischen Mechanismen dahinter ablaufen. Eine ganz praktische Erfahrung, die vielen Kindern und auch Lehrern die Augen öffnet und für das Thema sensibilisiert.
Was raten Sie Eltern, die aktuelle Probleme mit Cybermobbing bei ihren Kindern vermuten?
Scherg: Eltern sollten ihre Kinder offen auf das Thema Cybermobbing ansprechen, wenn sie feststellen, dass ihr Kind zunehmend angespannt und ängstlich auf digitale Nachrichten reagiert, sich zurückzieht und nicht mehr über seine Online-Aktivitäten reden möchte oder diese verbirgt, indem es den Rechner oder das Smartphone beim Betreten des Zimmers schnell ausschaltet. Auch schulischer Leistungsabfall, oder Kopf- und Magenschmerzen können Symptome sein. Nehmen Sie sich Zeit, hören Sie Ihrem Kind zu und machen Sie ihm keine Vorwürfe - was Ihr Kind jetzt am allermeisten braucht, ist Verständnis.
Wer kann Opfern von Cybermobbing helfen? An wen können sich Eltern oder auch Kinder wenden?
Scherg: Ich rate allen Kindern, immer ihre Eltern ins Vertrauen zu ziehen. Diese sollten Beweisfotos machen und die Schule und gegebenenfalls auch die Polizei informieren - speziell dann, wenn die Täter anonym sind. Cybermobbing ist kein Kinderstreich, sondern eine ernstzunehmende Straftat mit massiven Folgen für die Betroffenen. Wenn es allerdings darum geht, beleidigende Inhalte wieder aus dem Internet zu löschen und auch die Absender ausfindig zu machen, sind Privatpersonen leider oftmals machtlos und überfordert. Professionelle Angebote wie das "Digital Schutzpaket" der Telekom können hier helfen.
Wie funktioniert das genau?
Scherg: Das "Digital Schutzpaket" der Telekom bietet Soforthilfe, um Cybermobbing-Opfer Beleidigungen, üble Nachrede oder andere rufschädigende Inhalte wieder aus dem Netz herauszubekommen. Hierfür werden die richtigen Ansprechpartner und Kontakte recherchiert, Löschungen initiiert, gegebenenfalls zwischen den Konfliktparteien vermittelt, Gegendarstellungen verfasst und alle relevanten Kanäle beobachtet. Gerade bei Cybermobbing braucht es viel Erfahrung und eine individuell auf den Fall angepasste Unterstützung, damit das Leiden der Betroffenen möglichst schnell gelindert werden kann.