AI-Staupilot im Audi A8
Im Stau völlig legal aufs Handy schauen, ein Buch lesen oder Emails schreiben: Mit dem AI Staupiloten im neuen A8 bringt Audi das erste Auto auf den Markt, das unter bestimmten Bedingungen echtes autonomes Fahren ermöglicht.
Normalerweise sind Staus ja die natürlichen Feinde des Autofahrers. Heute freuen wir uns jedoch, dass es hier im morgendlichen Berufsverkehr auf der A52 bei Düsseldorf ordentlich klemmt. Wir wollen nämlich die spannendste und technisch anspruchsvollste Funktion am neuen Audi A8 ausprobieren, den AI Staupiloten, der den Fahrer bei Verkehrsbehinderungen entlasten soll, indem er selbstständig lenkt, auf der Spur bleibt und den Abstand zum Vordermann einhält. Hm, das hat mein Auto doch schon, werden jetzt vielleicht einige sagen – tatsächlich gibt es ähnliche Assistenz-Systeme bereits in vielen Autos. Der Unterschied zum A8 besteht jedoch darin, dass der Fahrer erstmals nicht mehr seinen Assistenten überwachen muss, er darf sich während der Fahrt ganz legal mit anderen Dingen beschäftigen, etwa auf sein Handy schauen, ein Buch lesen oder Emails schreiben.
Zwei grüne Balken signalisieren Betriebsbereitschaft
Das probieren wir jetzt aus: Nachdem es so richtig zäh geworden ist, meldet uns das Kombiinstrument, dass der Staupilot jetzt einsatzbereit sei. Wir drücken die silberne AI-Taste in der Mittelkonsole, worauf Tacho und Drehzahlmesser verschwinden und von einer stilisierten Heckansicht des A8 ersetzt werden. Zwei grüne Balken rechts und links im Display signalisieren, dass alles in Ordnung ist und wir uns ab sofort nicht mehr dem Verkehrsgeschehen widmen müssen.
Obwohl es sich anfangs noch etwas gewöhnungsbedürftig anfühlt, haben wir schnell vertrauen gefasst. Der A8 lenkt und beschleunigt wie ein Fahrer aus Fleisch und Blut, je nach gewähltem Fahrmodus über den Drive-Select-Schalter erfolgen die Eingriffe eher sportlich-zackig oder komfortabel-entspannt.
Sogar an die Rettungsgasse denkt der Staupilot
Wir schalten das Infotainment-System auf TV und schauen das ZDF Morgenmagazin auf dem Navigationsmonitor. Normalerweise ist der Fernsehtuner während der Fahrt gesperrt, um den Fahrer nicht abzulenken. Doch jetzt, wo Kollege Roboter am Steuer sitzt, ist Ablenkung erwünscht. Ohne schlechtes Gewissen lassen sich SMS tippen – mitten auf der Autobahn. Wer täglich auf dem Weg zur Arbeit eine Stunde im Stau steht und keine Möglichkeit hat, auf andere Verkehrsmittel umzusteigen, bekommt Zeit von der Technik zurück. Ebenfalls positiv: Sogar an die Rettungsgasse denkt der elektronische Chauffeur. Da wir uns auf der linken Spur befinden, orientiert sich unser A8 am linken Rand – vorbildlich!
Um den Staupiloten realisieren zu können, setzt Audi erstmals bei einem Serienfahrzeug einen Laserscanner ein. Der zusammen mit Valeo entwickelte Sensor befindet sich unter dem vorderen Nummernschild und tastet den Bereich vor dem Fahrzeug auf drei Höhenebenen ab. Hinzu kommen vier seitlich angebrachte Nachbereichs-Radare, ein Fernradar, zwölf Ultraschallsensoren sowie eine Kamera des israelischen Spezialisten Mobile-Eye, die hinter der Windschutzscheibe sitzt und hauptsächlich für die Erkennung von Fahrbahnmarkierungen zuständig ist.
Eine Kamera für den Innenraum
Zusätzlich überwacht eine Kamera im Innenraum, ob der Mensch bereit ist, das Steuer bei Bedarf wieder zu übernehmen. Schläft er ein oder klettert er auf die Rückbank, steigt das System aus. Sämtliche Daten laufen im zentralen Fahrerassistenz-Steuergerät unter dem linken Vordersitz zusammen. Das zFAS genannte Gerät errechnet aus den Sensorinformationen den optimalen Fahrkorridor des A8 und reagiert permanent auf unerwartete Störquellen wie von der Nebenspur reindrängelnde Autos. Obwohl das zFAS leistungsfähiger ist als alle Steuergeräte im Vorgänger-A8 zusammen, baut es so kompakt wie ein Tablet-PC. Die Abkürzung „AI“ vor dem Staupiloten steht übrigens für Artificial Intelligence, weil die Fahrkorridor-Bestimmung über künstliche Intelligenz antrainiert wurde. Hierfür haben die Experten von Audi das Rechnerhirn mit den Aufzeichnungen zehntausender realer Fahrten gefüttert, um daraus typische Verhaltensmuster abzuleiten.
Bei Unfällen haftet Audi./strong>
Obwohl der Hilfschauffeur derzeit nur im Stau bis Tempo 60 und nur auf Straßen mit Mittelleitplanke funktioniert, stellt er einen der wichtigsten Schritte auf dem Weg zum selbstfahrenden Auto dar. Denn alle bisherigen Assistenzsysteme wie der beliebte Abstandstempomat (ACC) dienen lediglich der Unterstützung des Fahrers, der die Augen jedoch nicht von der Straße nehmen darf. Passiert mit ACC ein Unfall, ist der Mensch schuld. Wenn jedoch der AI Staupiloten einen Unfall verursacht, haftet Audi. Eine Blackbox speichert daher, in welcher Situation der Staupilot aktiv war und wann der Mensch am Ruder saß.
Fast schon schade, dass sich unser Stau nach ein paar Minuten bereits auflöst und der A8 das Lenkrad an den Fahrer übergeben will. Wir könnten noch ewig so weiterfahren. Da die Autos vor uns schneller als 60 km/h fahren, muss jedoch der Mensch ran. Die Übergabe-Aufforderung geschieht anfangs noch dezent per Einblendung im Kombiinstrument sowie Signaltönen. Reagiert der Fahrer nicht, wecken ihn kurze, aber heftige Bremsimpulse und mehrfaches Ziehen am Sicherheitsgurt auf. Ignoriert der Fahrer auch dies, geht der Audi von einem medizinischen Notfall aus, bremst selbstständig ab und bleibt mit Warnblinker stehen.
Viele juristische Hürden
Wie groß der Schritt vom Assistenz-System zum autonomen Fahren ist, zeigt sich auch darin, dass für die neue Funktion eigens das Straßenverkehrsgesetz geändert werden musste. Das Gesetz zum automatisierten Fahren ist bereits durch Bundestag und -rat und formal seit Juni in Kraft. Doch es gibt noch weitere juristische Hürden: Derzeit arbeitet Audi an der Zulassung des Staupiloten durch das KBA. Erst wenn die Experten von der Sicherheit überzeugt sind, gibt es grünes Licht. Audi rechnet damit, dass dies bis zum 3. Quartal 2018 abgeschlossen ist und der Staupilot Anfang 2019 zumindest für Deutschland freigegeben werden kann. Die notwendige Hard- und Software lässt sich jedoch schon früher mitbestellen und dann freischalten. Das Gesetz zum automatisierten Fahren deckt zudem bereits die nächsten Entwicklungsschritte ab: Bis 2021 soll aus dem Stau- ein Autobahnpilot werden, der bis Tempo 130 selbstständig fährt und sogar Autobahnwechsel ermöglicht.