BMW-Lager mit alten Rennwagen
Früher tobten sie sich auf den Rennstrecken dieser Welt aus, verzückten die Fans und hämmerten in deren Gehörgang herum. Heute stehen sie sich in einem geheimen Lager die Reifen eckig. BMW hat uns die Tore für sein Depot aufgesperrt und uns an alten Formel 1, Formel 2, Formel 3 sowie Tourenwagen schnuppern lassen.
Sie schlummern und nächtigen in ihrem eigenen Benzingeruch. Irgendwo im Münchner Umland. Die Öffentlichkeit soll ihren genauen Standort nicht kennen. Weil in BMWs Lager weit über 1.000 alte Autos stehen, die es zusammen auf einen großen Millionenwert bringen. Sie sind zwar versichert, aber kein Geld der Welt kann ihren ideellen Wert aufwiegen.
In dem unscheinbaren Industrie-Komplex lagern neben Straßenautos und Prototypen auch viele Rennwagen der bayerischen Automarke. Aus dem Tourenwagen- und Langstreckensport. Aus Zeiten in der Formel 1, Formel 2 und Formel 3. Die meisten von ihnen brachten BMW-Mitarbeiter mit einem Lastenaufzug, der bis zu 4.500 Kilogramm schleppt, in den dritten Stock in eine Klimakammer. Dort stehen sie jetzt Nase an Nase, wie zum Beispiel der Benetton B186 und der BMW V12 LMR. Oder Heckflügel an Frontflügel wie die zehn Williams-BMW und BMW-Sauber aus den 2000ern.
Klimakammer mit konstanter Temperatur
Das Ambiente erinnert an ein Parkhaus. Ein grauer Beton-Boden mit verstreuten Ölflecken und Reifenspuren, weiße Stützpfeiler, silberne Rohre an den Wänden und an der Decke. Nur quetschen sich die Rennwagen hier noch dichter aneinander als in einem Parkhaus, positionieren sich längs und quer in die Lücken. Im Hintergrund brummt ein schwarzer Kasten, der das Kältemittel R407c nutzt und den Raum dauerhaft auf 21 Grad Lufttemperatur hält. Die Luftfeuchtigkeit liegt 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr bei konstant 50 Prozent.
Es ist der perfekte Kompromiss, um die Autos in Schuss zu halten. „Eigentlich will man die Luftfeuchtigkeit so niedrig wie möglich haben, um Rostbildung zu vermeiden“, erzählt ein BMW-Mitarbeiter. „Aber die Dichtungen, Gummiteile und Schläuche brauchen Feuchtigkeit, sonst werden sie spröde.“ Nicht alle Rennautos passen in die Klimakammer. In dem temperaturregulierten Schutzraum versammeln sich die empfindlichsten und wertvollsten Modelle – dazu noch bedeutende Concept- und Art-Cars.
Ein ganz bedeutender Rennwagen für BMW ist der Brabham BT7 mit dem vielsagenden Beinamen „Rekordwagen“. Das umgebaute Formel 1.Auto überzeugte einst die Konzernspitze und ebnete BMWs Einstieg in die Formel 2 und später in die Formel 1. Mit dem BT7 bestritt Brabham 1963 und 1964 zwei Saisons in der Königsklasse. Es sprangen 1964 – angetrieben von einem Coventry Climax V8 Motor – die ersten beiden GP-Siege in Frankreich und Mexiko für den Rennstall heraus. 1966 kaufte die BMW-Rennabteilung um Alexander von Falkenhausen Brabham ein gebrauchtes Chassis ab und verpflanzte einen höher bauenden BMW-Vierzylinder mit zwei Liter Hubraum, zwei obenliegenden Nockenwellen und 16 Ventilen.
Einstieg in die Formel 2
Es war der berühmte Apfelbeck-Motor von Konstrukteur Ludwig Apfelbeck mit Vierventil-Zylinderkopf, indem die Ein- und Auslassventile jeweils kreuzweise gegenüber lagen. Das unzuverlässige Triebwerk, dessen Ansaugtrichter wie kleine Zacken einer Krone hinter dem Überrollbügel aus der Verkleidung wuchsen, entfesselte bei 8.500/min 290 PS. Ein modifiziertes Fünfganggetriebe von Hewland übernahm die Kraftübertragung. BMW luchste mit dem umgebauten BT7 in Hockenheim einem gewissen Carlo Abarth zwei Geschwindigkeitsrekorde ab – über die Viertelmeile (402,3 Meter) und 500 Meter.
Der gebürtige Wiener konterte im Oktober 1966 in Monza. BMW schlug zwei Monate später an gleicher Stelle zurück. Diesmal mit Rennfahrer Hubert Hahne statt von Falkenhausen hinter dem Steuer. Der 460 Kilogramm leichte Rennwagen sauste wiederum zur Bestmarke in der Zweiliter-Klasse über die Viertelmeile und 500-Meter-Distanz und flitzte gleichzeitig in 19,98 Sekunden einen Kilometer ab (180,18 km/h).
1967 wagte sich BMW in die Formel 2 – die Vorstufe zur Formel 1. Im ersten Jahr rüstete der Hersteller das Team von John Surtees, Formel 1-Weltmeister von 1964, mit einem Vierzylinder aus. Der Motor steckte in einem weiß-blauen Lola T100 Chassis. Große Erfolge blieben aus. 1968 weitete BMW sein Engagement in der Formel 2 aus, Paul Rosche überarbeitete den Vierzylinder grundlegend. Das Apfelbeck-Konzept wurde verworfen, ein neuer Zylinderkopf gefertigt. Der Vierzylinder mit 1,6 Liter Hubraum (Typ M12) und 220 PS wanderte in ein neues Lola-Chassis mit der Bezeichnung T102. Das Auto wurde zum Lola BMW F 268.
Der weiße Flitzer mit zwei dunkelblauen Streifen auf der Verkleidung und zwei Endrohren, die weit nach hinten ragen, hat es nicht in die Klimakammer geschafft. Im vierten Stock muss sich der bis zu 260 km/h schnelle Rennwagen mit den normalen Witterungsverhältnissen im Depot herumschlagen. Aber er ist in bester Gesellschaft. Der F 268 schnüffelt am Heck des March BMW 732 – knallrot und mit einer so großen Theke im Heck, dass man darauf glatt ein Candle-Light-Dinner anrichten könnte.
BMW-Rennautos kuscheln Reifen an Reifen
Das Rennauto von 1973 hätte gemessen an seinen Erfolgen durchaus einen Platz in der Klimakammer verdient. Elf von 17 Läufen der Formel 2 gewann der March-BMW – sieben davon mit dem späteren Meister Jean-Pierre Jarier. Das Chassis war in allen Belangen überlegen: in der Bremsphase, beim Beschleunigen und in der Kurve. Der Reihenmotor mit vier Zylindern hatte den vom Reglement vorgeschriebenen Hubraum von zwei Litern. Rund 275 PS randalierten bei 9.000/min im Renner mit 450 Kilogramm, der 280 km/h Topspeed erreichte und von Scheibenbremsen eingefangen wurde. Unter der durchlöcherten Nase sitzt ein kühler.
Es bleibt kuschelig. Vor dem 732 lungert der March BMW 712 mit Monocoque-Chassis und Eifelland-Schriftzug. Das Auto wurde nach dem vorläufigen BMW-Werksrückzug Ende 1970 von einem „Untergrund-Team“ um Paul Rosche und mithilfe des Wohnwagenherstellers 1971 in der Formel 2 eingesetzt. Dieter Quester errang den dritten Rang in der Fahrerwertung. Ronnie Peterson holte sich den Titel – ebenfalls auf einem March-Chassis, allerdings mit Cosworth-Motor.
Rad an Rad kuscheln außerdem noch der BMW Monti Bergspider, dessen Flügel sich wie ein Dach über den freistehenden Vierzylinder-Reihenmotor legt, ein March BMW 763 Formel 3 von 1976, der HH 49 Formel 2 Rennwagen von 1949 und der Williams-BMW FW26. Das Formel 1.Auto des Traditionsrennstalls aus Grove mit dem BMW-V10 floppte 2004. Die hochgebockte Walross-Nase mit weit auseinander gespreizten Frontflügelhalterungen, die viel Luft unter das Auto pressen sollte, brachte nicht den gewünschten Erfolg. Die Mission WM-Titel musste Williams-BMW früh abblasen. Eine Nasen-OP erfolgte mitten in der Saison beim GP Ungarn. Einziger Saisonerfolg: Juan-Pablo Montoya beim GP Brasilien.
BMW und die Ära mit Williams
Zurück in der Klimakammer: Hier hat BMW noch weitere Autos aus der gemeinsamen Zeit mit Williams gehortet. Sie begann 2000 und endete 2005. Unter anderem lauschen hier der FW24, FW25 und FW27 dem brummenden Klima-Kasten zu statt selbst mit ihren Zehnzylindern zu kreischen. Ein Versuchsträger von 1999 mischt sich in die Horde. Der Williams FW21 war in der Saison 1999 noch mit einem Supertec-V10 mit 72 Grad Bankwinkel ausgestattet. Für Testzwecke baute Williams das Auto um, um den BMW-V10 zu implementieren. Ein weiterer Versuchsträger steht auf der anderen Seite. Es handelt sich um einen BMW F1.07 mit Kers-Bausteinen. Das Energierückgewinnungssystem wurde für das 2009er Auto ausprobiert.
Mit Brabham holte BMW 1983 den ersten Titel eines Autos mit Turbo-Motor in der Formel 1. Noch vor Pionier Renault, das aufgeladene Motoren sechs Jahre zuvor auf die Formel 1.Weltkarte setzte. Der Brabham BT52 hat seinen Platz im BMW-Museum. Das Weltmeister-Auto von Nelson Piquet ist ein gern gesehener Gast auf Veranstaltungen. Im Gegensatz zu vieler seiner Rennkollegen hat der BT52 regelmäßig Auslauf. Der Arrows A8 – ebenfalls mit BMW-Vierzylinder-Turbo – hat sich im Lager bereits seine zwei Goodyear-Vorderreifen platt gestanden. „Macht nichts. Wenn er gefahren werden sollte, wechseln wir so oder so vorher die Reifen“, sagt ein BMW-Mitarbeiter.
Wann und ob die alten Rennautos bewegt werden, hängt von mehreren Faktoren ab. Die meisten Einsätze sind themen- und veranstaltungsgetrieben. Auf dem Goodwood Festival of Speed 2016 rollte beispielsweise Riccardo Patrese im Brabham BT52 um den Kurs. BMW feierte mit einer großen Ausstellung den 100. Firmengeburtstag. Die DTM-Legende M3 E30 oder das BMW M1 Procar werden häufig für Taxifahrten auf der Rennstrecke herangezogen. Zum Beispiel an einem DTM-Wochenende. Es hängt auch mit der technischen Komplexität zusammen, ob ein Rennauto gefahren wird oder nicht. „Für einen BMW-Sauber brauchen wir schon vier Mechaniker, um das Auto überhaupt anzulassen.“ Den BT52 betreut auf Veranstaltungen meist Rentner Peter Voll – früher Elektrik-Spezialist der BMW-Rennabteilung.
Benetton mit letztem Sieg für BMW-Vierzylinder-Turbo
Mit dem BT54, der neben dem Arrows lagert und im Renntrimm rund 860 PS entfachte, gewann Nelson Piquet in Frankreich 1985 sein letztes Rennen für Brabham-BMW. Es war zugleich der erste Sieg für Reifenhersteller Pirelli seit 1957 in der Formel 1. Der letzte Sieg des legendären BMW-Vierzylinder-Turbos, der in seiner Blütezeit bis zu 1.400 PS freisetzte, errang Gerhard Berger auf Benetton. Der B186 steht zweimal in der Klimakammer.
Von Zeit zu Zeit werden die Rennautos im Lager aufbereitet. Bei all ihrer Geschichte und ihrem Wert wäre es für PS-Fanatiker sogar ein Traumjob, nur die Karosserien abstauben zu dürfen. Die Formelautos im dritten und vierten Stock mischen sich unter diverse Tourenwagen und GT-Renner. Ein paar Beispiele: BMW V12 LMR (Le Mans-Sieger 1999), BMW M1 Procar von Hans-Joachim Stuck und Nelson Piquet, BMW 635 CSi, BMW M3 GT2, BMW M3 Gruppe A DTM 2,5, BMW M3 Rallye, McLaren F1 GTR mit BMW-V12, BMW 3.0 CSL. Um nur ein paar zu nennen. Sie allen führten einst ein Highspeed-Dasein im Schweinwerfer-Licht der Öffentlichkeit. Heute schlafen sie in einem Depot – ohne, dass jemand davon wissen soll.