Audi R8

Die Entstehungsgeschichte eines Supersportlers. Eine Dokumentation in sechs Teilen von Gerd Kebschull. Teil II: Ein verschworenes Team und der Wettlauf gegen die Zeit.
„Von Anfang an“, so Isgen, „stand fest, dass es ein alltagstauglicher Hochleistungs-Sportwagen werden soll.“ Lamberty formuliert es so: „Mit dem R8 kann man Rekordrunden auf der Rennstrecke ebenso fahren, wie problemlos vor dem Friseursalon einparken. Das machte die ganze Sache für uns ja auch zu einer Herausforderung.“ An einem sogenannten Image-Board wurde das „ Gesicht“ des Concept Cars kreiert. Attribute wie Rennsport, Luxus, High-Tech, Design oder Alltagstauglichkeit, aber auch die Zielgruppe, die Lebenswelt des Fahrers oder die historische Referenz an die Auto Union-Rennwagen wurden auf dieser Tafel in Form assoziativer Fotomotive dargestellt und festgelegt.
Nach Strategiegesprächen mit Audi.Chef Martin Winterkorn, erfolgte bereits im Oktober 2002 die ersten Präsentation mit Zeichnungen und Skizzen beim Audi Vorstand – die Basis des Fahrzeugs, das Package, war festgelegt. Dabei standen die Gestalter von Audi Design am Konzernstammsitz in Ingolstadt und aus dem Audi Designstudio in München im kreativen Wettbewerb. Lamberty: „Dieser Wettbewerb war für alle Beteiligten sehr hart. Fünf Teams reichten ihre Entwürfe ein, einer blieb übrig. Die, die sich nicht durchsetzen konnten, wurden allerdings dann ins Entwicklungsteam geholt.“ Mit der technischen Grundlage und der Positionierung als Vorgabe galt es nun, „das Auto lecker zu gestalten“ (Lamberty). Mitte November waren noch drei verschiedene Exterieur-Varianten im Rennen, beim Interieur hatte man sich bereits auf ein Erscheinungsbild geeinigt.
Zwei Wochen lang wurden daraufhin gigantische CAD- Datensätze erstellt und in die Hochleistungsrechner eingegeben. Im Dezember 2002 wurden im Virtual Reality (VR)-Center in Ingolstadt die ersten animierten Le Mans quattro-Visionen auf die sechs Meter breite und 2,25 Meter hohe „Powerwall“ projiziert. Der Le Mans quattro nahm in der virtuellen Welt Gestalt an. Aus den CAD-Daten der noch verbliebenen drei Exterieur-Varianten wurden 1:4-Tonmodelle gefräst, die dem Vorstand kurz vor Weihnachten präsentiert wurden.
Keine Diva, ein Audi./strong>
Die Wahl fiel auf die sportlichste Ausprägung. Mit von der Partie waren dabei übrigens auch die Konstrukteure von Audi Sport, die das Projekt mit ihrem Know-how aus dem Rennsport unterstützten. Eingebunden waren zudem Experten aus dem Windkanal-Zentrum in Ingolstadt, aus dem Aluminium- und Leichtbau-Zentrum und der Motorenentwicklung in Neckarsulm sowie von Lamborghini.
Das Thema Geheimhaltung war elementarer Bestandteil bei der Entstehung des F03. Alle Teammitglieder unterzeichneten für das Projekt eine separate Geheimhaltungserklärung. Selbst gegenüber ihren Familien, Partnern und langjährigen Kollegen waren die beteiligten Mitarbeiter zu Stillschweigen verpflichtet.
Auf diese Weise war über das Projekt auch innerhalb des Konzerns nur ein sehr kleiner Kreis informiert. Nahezu jedes Teil des Le Mans quattro wurde in kosten- und zeitintensiver Handarbeit gefertigt. „Jeder Schalter, jede Felge: Alles musste eigens aus Aluminiumblöcken gefräst werden“, nennt Lamberty Beispiele. Fast jedes Le Mans quattro-Teil war, wie das Auto selbst auch, ein Unikat. Die Aufgabe der Designer war dabei, ein solches Projekt optisch an seine Grenzen zu führen. Die der Techniker, es trotz allem auch realitätsnah und fahrtauglich zu gestalten.
Dass dabei auch unterschiedliche Ansichten aufeinanderprallten, liegt auf der Hand. Interieur-Designer Jens Sieber (39): „Natürlich haben wir mitunter um Inhalte gestritten.“ Klar war, laut Sieber, hingegen: „Der R8 sollte keine Diva sein, kein ‚Italo-Sportwagen‘, sondern ein typischer, echter Audi.“ Er ist für den Innenraum des neuen Sportlers zuständig. Der gebürtige Berliner studierte dort an der Universität der Künste (UDK) Design und ist seit 1997 bei Audi.
Um jede Stunde gefeilscht
Designer und Techniker heben nicht nur die konstruktive und effiziente Zusammenarbeit bei diesem Entwicklungsprojekt, sondern auch die, trotz allen Drucks, ausgesprochen gute, mitunter fast familiäre Atmosphäre im Team hervor. „Die Vertrauensbasis und die Motivation war unheimlich groß. Sonst hätten wir das auch gar nicht schaffen können“, so Sieber. Vereint waren alle im kollektiven Zeitdruck. Isgen formuliert es anschaulich: „Da haben wir um jede Stunde gefeilscht.“
Im Zweischicht-Betrieb ging die kleine Mannschaft die das Projekt an. Alle vier Wochen wurden die neuesten Ergebnisse dem Vorstand präsentiert. Nicht selten überzeugte der sich auch mal spontan vom Fortgang des spektakulären Audi.Babys.
Das ständige Verändern von Formen und Funktionen ging bis April 2003, dann erfolgte der sogenannte Design-Freeze, also der Zeitpunkt, an dem die Formen des Le Mans quattro endgültig festgelegt, „eingefroren“ wurden und nicht mehr geändert werden durften. Das Modell wurde gescannt und digitalisiert. Anhand dieser Daten wurde nun damit begonnen, die fahrtüchtige Hardware des Mittelmotor-Sportwagens zu realisieren.
Zu diesem Zeitpunkt war bereits der Alu-Space Frame aufgebaut (Januar) sowie Motor, Fahrwerk und Elektronik eingebaut (Ende Februar). Es folgten die Außenhaut, Einbau Interieur, Lackierung und vieles mehr. „Immer wieder gab es dabei auch Momente“, so Isgen, „in denen wir dachten: Wir schaffen es nicht.“ Schließlich rückte der IAA-Termin unaufhaltsam näher.
Es klappte aber. Lamberty erinnert: „Das Gefühl war phantastisch, als der Wagen am 9. August 2003 um 5 Uhr morgens – die Sonne ging gerade auf – aus dem Transporter gefahren wurde und dann zum ersten Mal aus eigener Kraft über die Teststrecke fuhr.“ Erst wenige Tage vor Messestart erhielt das Projektteam den Le Mans zurück, um weiter daran zu arbeiten.
Am 8. September hatte es das Konzeptteam F03 geschafft: Vollzählig waren sie nach Frankfurt gefahren, um die Präsentation des Le Mans quattro mitzuerleben. Und die war nahezu ebenso spektakulär wie das Auto selbst. Als der Audi Vorstandschef mit dem Sportwagen vor einer, eigens für diesen Anlass auf einer abgesperrten Straße in Frankfurt aufgebaute Rennstrecken-Tribüne vorfuhr und das Blitzlichtgewitter losbrach, war dies der Lohn für elf Monate harte Arbeit.