Alfa Romeo 156 1.8 TS
Alfa Romeo will mit dem neuen 156 wieder ein gewichtiges Wort mitreden in der Klasse kompakter, sportlicher Limousinen. Extravagantes Styling und gesteigerte Produktqualität sollen der italienischen Traditionsmarke einen neuen Freundeskreis sichern.
Erstaunlich eigentlich, wie die Historie der Firma Alfa Romeo, deren Höhepunkte mehrere Jahrzehnte zurückliegen, noch in den Köpfen herumspukt. Ob „Spiegel“ oder „Schwäbisches Tagblatt“, jede Publikation, die dem neuen Alfa 156 einige Zeilen widmet, beschwört den Geist der Giulia herauf – jenes eigenwillig geformten Viertürers, der in den Sechzigern mit seinem sportlichen Fahrverhalten und seinem brillanten Doppelnockenwellenmotor zum Urvater der Sportlimousinen wurde und sich zu einer schlagkräftigen Konkurrenz für BMW entwickelte. Das Duell der beiden Marken wurde dann zu einem Dauerthema der testenden Journaille – auch bei auto motor und sport.
Genau da will die Mailänder Firma, einst Staatsbetrieb, aber mittlerweile längst unter den Fittichen der allmächtigen Mutter Fiat, wieder hin. Das Ziel: ernst genommen zu werden im Kreis bekannt hochwertiger Konkurrenten, nicht mehr Außenseiter sein, akzeptiert allenfalls von ein paar Ewiggestrigen, die der Marke trotz ihres in jahrelanger Arbeit gründlich heruntergewirtschafteten Qualitätsimages noch treu geblieben sind.
Produktqualität heißt das Zauberwort, mit dem Alfa an die Vergangenheit anknüpfen will. Spider und GTV, ohne Zweifel Autos von hohem Reiz, haben in dieser Beziehung noch keinen entscheidenden Schritt nach vorn gebracht. Der bleibt dem neuen 156 vorbehalten, einer kompakten Limousine, die sich exakt in das vom Dreier-BMW dominierte Marktsegment schiebt.
Und siehe da: Die Zeichen scheinen gut zu stehen für Alfa Romeo , auch wenn der Testwagen durch eine ständig leuchtende Airbagkontrolle und ausgefallene Instrumentenbeleuchtung die Rolle des neuen Musterknappen noch nicht ganz perfekt spielt. Aber die Karosserie beweist nicht nur auf schlechten Straßen eine steife und klapperfreie Struktur, auch die Materialien und die Verarbeitung im Innenraum sind von einer fast schon teutonischen Qualität: sauber eingepaßte Plastikteile, hochwertig wirkende Oberflächen – dazu eine übersichtliche Anordnung von Schaltern und Hebeln, die auf Anhieb eine sichere Bedienung ermöglicht.
Mehr noch: Das Ganze hat Stil, demonstriert italienisches Design in Bestform. Der nostalgische Look, auch anderswo groß in Mode, wirkt hier nicht aufgesetzt, sondern selbstverständlich. Die großen, in tiefe Höhlen versenkten Anzeigen für Geschwindigkeit und Drehzahl lassen die Alfa-Tradition aufleben – ebenso wie die drei kleinen Uhren in der Mittelkonsole (Zeit, Tankinhalt und Kühlmitteltemperatur). Gut ablesbar sind sie alle, die Funktionalität wurde also nicht der Schönheit geopfert. Negativ fällt allein auf, daß die Heizung nach dem Kaltstart sehr viel Zeit braucht, bis sie den Innenraum angenehm temperiert hat.
Die äußere Form besticht. Eine Umfrage innerhalb der Redaktion bescherte dem Alfa den Titel des bestgekleideten Autos unter allen Neuerscheinungen dieses Jahres. Der klassische Alfa-Grill und die polierten Alu-Türgriffe setzen liebevolle Akzente. Die Anmutung eines Coupés entsteht durch die an der C-Säule plazierten Öffner für die Fondtüren. Pessimisten werden allerdings einwenden, daß Helfer sie nach einem Crash womöglich nicht auf Anhieb entdecken.
Die Länge der Karosserie entspricht der des Dreier-BMW, doch ruht der Alfa auf einem gut zehn Zentimeter kürzeren Radstand. Der Knieraum im Fond ist zwar nicht verschwenderisch, aber akzeptabel für eine Limousine dieses Formats, die Kopffreiheit allerdings für lange Figuren zu gering. Auch der Kofferraum, durch die kleine Klappe schlecht zugänglich, bietet ein nur knapp ausreichendes Volumen.
Alle Passagiere sitzen gut im Alfa: die vorderen auf bequemen und kräftig ausgeformten Sportsitzen, die gute Seitenführung bieten, die hinteren auf einer ebenfalls stark konturierten Bank mit großzügiger Schenkelauflage.
Vor allem die gute Sitzposition des Fahrers gilt es zu loben – schließlich war eine solche bisher nie die Stärke von Alfa Romeo. Frohe Kunde nun: Die Froschhaltung mit angezogenen Beinen ist passé, im Alfa 156 nimmt der Fahrer in der einem Mitteleuropäer angemessenen Haltung Platz und kann seiner Position mit dem in zwei Ebenen verstellbaren Lenkrad den letzten Schliff geben. Er muß allerdings auch feststellen, daß die Übersichtlichkeit nach hinten stark eingeschränkt ist – wie bei vielen modernen Autos. Die Sportlichkeit, die man von einem Alfa Romeo erwartet, kommt nicht zu kurz. Die Abstimmung des Fahrwerks tendiert klar in die straffe Richtung, was sich vor allem auf den Rücksitzen bemerkbar macht, wenn es grobe Bodenwellen zu bewältigen gilt. Abgesehen davon ist der Gesamteindruck durchaus harmonisch, zumal der 156 dynamische Qualitäten aufweist, die für eine frontgetriebene Limousine bemerkenswert sind. Die direkte und spontan ansprechende Lenkung verhilft ihm zu einem flinken Handling, in Kurven vermag er sehr hohe Querbeschleunigungen zu erreichen, ohne im Eigenlenkverhalten auffällig zu werden.
Nahezu neutral bis zur Grenze der Bodenhaftung vermittelt der Alfa ein ausgeprägtes Gefühl der Sicherheit, das auch durch schnelle Richtungswechsel nicht beeinträchtigt wird. Der 156, kein Frage, gehört zu den bestliegenden Fronttrieblern, zumal er auch bei vollem Leistungseinsatz in engen Biegungen seine Kraft sehr gut auf den Boden zu bringen vermag. Bei sehr schneller Kurvenfahrt stört die zu stark ausgeprägte Servounterstützung der Lenkung, die nicht viel Gefühl für die Fahrbahn übrigläßt, dafür aber Stöße und Antriebseinflüsse erfolgreich ausfiltert. Die Bremsen unterstreichen die hohe Fahrsicherheit. Sie ermöglichen eine hohe, wenngleich nicht ganz zur Spitzenklasse zählende Verzögerung und werden mit hoher Beanspruchung gut fertig. Zehn Vollbremsungen aus 100 km/h mit voller Zuladung verlängern den Bremsweg nur um knapp zwei Meter.
Der 1,8 Liter große Vierventil- Vierzylinder mit Doppelzündung erscheint bei der ersten Bekanntschaft nur als müder Abklatsch seiner Vorgänger, die durch ihren sonoren Sound ebenso begeisterten wie durch ihre Leistungsentfaltung. Den berühmten Alfa-Ton haben die Geräuschvorschriften weitgehend abgewürgt, der Antritt beim Gasgeben verspricht beim Testwagen nicht allzuviel Temperament. Mit zunehmender Kilometerleistung aber wacht der Motor auf, er dreht nun spürbar lockerer bis zu seiner Drehzahlgrenze von 7000/ min und sorgt schließlich für Fahrleistungen, die auf einer Ebene liegen mit denen eines sechs PS stärkeren BMW 320i . Das exakt zu schaltende Fünfganggetriebe trägt ebenfalls zum Fahrvergnügen bei, seine enge Abstufung sorgt für gute Elastizität. Auf eine Schongangcharakteristik des Fünften verzichtet der Alfa, wie sich das für eine sportliche Limousine gehört. Bei Höchstgeschwindigkeit dreht er deutlich über die Nenndrehzahl (5900/min) hinaus, an Autobahngefällen kann er knapp 7000/min erreichen, was fast 240 km/h bedeutet – überaus beachtlich für eine 1,8 Liter-Limousine. Trotz der kurzen Übersetzung hält sich der Verbrauch in akzeptablen Grenzen. Mit durchschnittlich 10,5 Liter/100 Kilometer liegt er auf dem in dieser Leistungsklasse üblichen Niveau.
Nur im Preis liegt der Alfa deutlich darunter. 37 900 Mark für eine Limousine mit solchen Qualitäten – das macht den neuen 156 zu einem höchst attraktiven Sonderangebot.