Lotus Exige im Supertest auf Nordschleife und Hockenheimring
Die Neuauflage des Exige geht nun auch mit der Antriebseinheit
von Toyota ins Rennen. Mit 907 Kilogramm wiegt der Exige zwar mehr
als die offene Elise, ist damit aber noch immer einer der
leichtesten Sportwagen der Welt.
Im offenen, licht- und luftdurchfluteten Cockpit kreisen die Gedanken gewöhnlich in ausgedehnteren Umlaufbahnen als in engen, geschlossenen Räumen. Demnach geht es im Cabrio, Roadster oder Targa bekanntlich um mehr als bloßes Autofahren: Die Genussreise ans andere Ende der automobilen Wirklichkeit ist von der Freude am Fahren, vom Spaß an der Mobilität und vom Kontakt mit der Umwelt geprägt. Warum also nun ein festes Dach, wenn die britische Proton-Tochter Lotus das ganze Spektrum automobiler Leidenschaften bereits mit dem offenen Kult-Sportler Elise in nahezu idealer Weise abdeckt? Betrachtet man das Resultat der aktuellen Alternative, fällt die Antwort nicht leicht. Denn entweder ist die offene Elise in der stärksten 111R-Version (Test Heft 4/2004) zu gut geraten, oder der neue Exige, das sportliche Topmodell der Lotus- Range, ist zu zahm ausgefallen. Die Differenzierungsmerkmale zwischen Elise und Exige sind allerdings auch überwiegend optischer Natur. Das genial einfach aufgebaute, aus Strangpressprofilen zusammengesetzte Aluminiumchassis sowie die Antriebseinheit, also Motor und Getriebe, sind jedenfalls bis ins Detail identisch. Selbst die Kunststoff-Karosserie des Exige zeigt in wesentlichen Teilen dieselben Rundungen wie die der Elise 111R, deren Basispreis von 41.900 Euro nominell doch um einiges unter dem ihres geschlossenen Pendants liegt (44.900 Euro). Die nunmehr feste Dachhaut mit der markanten Lufthutze oben drauf ist nur insofern integrativer Bestandteil der Gesamtkonstruktion, als sie verschraubt ist – womit der Rückverwandlung in einen Roadster zumindest theoretisch nichts im Wege stünde.
Der Exige schlägt mit 44.900 Euro zu Buche
Die Rolle des veritablen Sportgeräts spielt der Lotus jedoch naheliegenderweise nur im Coupé-Gewand mit ganzer Überzeugungskraft. Denn unabhängig davon, dass ein festes Dach über dem Kopf der Sicherheit zuträglich ist, sind die aerodynamischen Vorteile der Coupé-Form nicht von der Hand zu weisen. Vor allem in Hinblick auf den für Deutschland geplanten Markenpokal, der ab der Saison 2005 im Rahmen der GTP-Weekends etabliert werden soll (siehe Seite 102), macht der professionelle Auftritt des Exige, dessen Vorgänger im Supertest (Ausgabe 11/2000) erstaunliche Resultate einfuhr, durchaus Sinn. Im Gegensatz zum freundlichen Auftritt der Elise trägt der Exige ganz unverhohlen die grimmige Entschlossenheit eines Leistungssportlers zur Schau. Auffällige Lüftungsschächte an den Flanken, der Frontspoiler aus Karbon, der geschlossene Unterboden sowie der dominante Heckflügel samt Diffusor zeigen eindeutig, wohin die Reise gehen soll. Sowohl die luftigen, schwarz lackierten Felgen als auch die diversen Be- und Entlüftungsöffnungen inklusive der mit Lüftungsgittern gespickten Abdeckhaube des Motorraums liefern gleichermaßen Hinweise darauf, dass in der Hitze des Gefechts ein gesunder Wärmehaushalt über Sieg und Niederlage entscheiden kann.
Die aerodynamische Feinarbeit am Exige, die die serienmäßig schon eindrucksvollen Qualitäten fahrdynamischer Art noch verbessern helfen soll, zeigt im Windkanal nachvollziehbar Wirkung. Die Vorderachse wird bei 200 km/h mit 18 Kilogramm zusätzlich belastet, die Hinterachse sogar mit 26 Kilogramm. Die guten Abtriebswerte des inklusive der Lufthutze nur 1.159 Millimeter hohen Straßenrenners stehen allerdings im krassen Gegensatz zum mäßigen cw-Wert (0,42), was sowohl eine Folge der sehr zerklüfteten Front, als auch der unruhigen Seitenflächen und des dominanten Heckflügels ist. Mit seiner zierlichen Stirnfläche von nur 1,70 Quadratmetern bringt es der Exige trotz dieses hinsichtlich der Schnelllaufeigenschaften kontraproduktiven Status Quo dennoch auf ein Maximaltempo von gut 230 km/h, wenngleich er dafür nicht nur einen sehr langen Anlauf einfordert, sondern auch die Zuhilfenahme des fünften Gangs. Die viel zu lange Übersetzung des Sechsganggetriebes schränkt aber schon bei wesentlich niedrigerem Tempo die Dynamik unnötig ein. So reicht der erste Gang bis 70 km/h, weshalb es nicht verwundert, dass sich der Exige schon beim Sprint aus dem Stand schwerer tut, als vom Leistungsgewicht her zu erwarten gewesen wäre. Immerhin beträgt dieses lediglich 4,7 Kilogramm pro PS. So liegt der Exige mit der Beschleunigungszeit von 5,6 Sekunden auf 100 km/h eine knappe halbe Sekunde hinter den vom Werk vorgegebenen 5,2 Sekunden. Bis Tempo 160 vergrößert sich die Differenz zwischen Werksangabe (13,2 Sekunden) und Messwert (14,5 Sekunden) auf 1,3 Sekunden, woraus sich ableiten lässt, dass entweder der Motor nicht im Vollbesitz seiner Kräfte war, oder das Umfeld in Hockenheim eine destruktive Wirkung auf ihn hatte.
Der Exige bleibt hinter den Werksangaben zurück
Standardgemäß werden die sport auto-Messungen nämlich mit vollem Tank – in diesem Fall 40 Liter – und zwei Personen Besatzung vorgenommen, einer Meßmethode, die möglicherweise nicht überall angewandt wird und bei einem kleinen, leichten Auto große Abweichungen nach sich ziehen kann. Die sehr gute Traktion aufgrund des hohen Gewichtsanteils auf der Hinterachse (62,7 Prozent) und der speziell auf den Exige abgestimmten Yokohama- Sportreifen, Typ Advan A048, bringt beim energisch vorgetragenen Sprintversuch besonders die Kupplung an die Grenze ihrer Belastbarkeit. Der Versuch, durch hohe Motordrehzahlen und schlagartig eingerückte Kupplung die Antriebsräder zum leichten Wheelspin zu nötigen, um damit den optimalen Start zu erwischen, endet zwar mit deutlichem Schlupf – schlechterdings aber an der Kupplung. Eine insgesamt kürzere Übersetzung, die bis zu der von der Motorleistung und den Fahrwiderständen definierten Höchstgeschwindigkeit alle sechs Gänge passend abgestuft ins Spiel bringt, würde den Exige in dem ihm angemessenen Umfeld sicher deutlich schneller machen. Ihn für lange Autobahn-Etappen zu missbrauchen, hieße ohnehin, sein Wesen und seinen Auftrag völlig zu verkennen. Der Frust angesichts des enormen Lärmpegels im Cockpit und von hinten drängelnder Diesellimousinen, könnte nämlich langfristig zu ernsthaften Spannungen zwischen Mensch und Maschine führen. Daran kann auch die optionale Klimaanlage und das sogenannte Touring Packet nichts ändern, mit dem der Test-Exige ausgestattet war und das neben einer Blaupunkt-Audioanlage mit CD-Player elektrische Fensterheber, Teppichböden und Alcantara-Sitzbezüge beinhaltet.
Entsprechend der unverändert geltenden Lotus-Philosophie, nach der das Thema Gewicht stets Priorität hat, dürften derartige Luxuskomponenten bei den Puristen per se der Ächtung anheim fallen. Die bei Lotus traditionell beheimatete Hardcore-Klientel dürfte schon angesichts des ABS, mit dem der Exige nun auch serienmäßig ausgerüstet ist, Verrat an der Sache wittern. Sachlich betrachtet ist der Einwand gegen den Einzug derart neumodischer Technik keinesfalls zu halten, zumal die Integration des aus dem Opel Speedster übernommenen ABS in das Exige-Umfeld gut gelungen ist, soll heißen: es geht mit angemessener, sportlicher Regelfrequenz zuwerke. Dass die Bremswege bei kaltem und heißem Aggregatzustand stark differieren, liegt jedenfalls nicht an der Bremse, sondern ist den Sportreifen zuzuschreiben, die erst mit zunehmender Erwärmung in der Lage sind, die enormen Verzögerungsleistungen umzusetzen. Schon die Anfangsleistung ist mit 10,1 m/s2 sehr eindrucksvoll. Sie steigert sich aber auf Spitzenwerte von bis zu 11,6 m/s², die den Exige bei einer Vollbremsung aus 200 km/h schon nach 133 Metern zum Stillstand kommen lassen. Die Zeit kostenintensiver Bremsplatten gehört mit den ABS-Eingriffen nun auch endgültig der Vergangenheit an. Entgegen der Vermutung, beim neuen Exige handele es sich um einen radikal auf Sport getrimmten Straßenfeger, der die Tradition seines im Jahr 2000 erschienenen Vorgängers konsequent weiter führt, zeigt sich der optisch sehr martialisch in Erscheinung tretende Brite im Umgang auffällig liberal.
Liberaler statt radikaler Sportler
Das Fahrwerks-Setup unterscheidet sich jedenfalls in Punkto Federungskomfort nicht wesentlich von dem der Elise 111R, die diesbezüglich mit annehmbaren Eigenschaften aufwarten kann. Von knochentrockener Härte also auch im Exige kein Spur, was den Umgang mit ihm auch auf Landstraßen zweiter Ordnung zum außergewöhnlichen Genuss macht. Dass die Entwickler den Fokus mehr auf die Fahrkultur gelegt haben als noch beim 179 PS starken Vorgänger, lässt sich nicht nur an der liebenswerten Beflissenheit ablesen, die der Exige im Alltag beweist. Auch die Zahlen, die der mit Vollausstattung nun immerhin 907 Kilogramm schwere Exige bei den Fahrdynamik- Tests laut Datarecording für sich reklamiert, sprechen eine eindeutige Sprache. Mit einer maximalen Querbeschleunigung von 1,2 g liegt der neue Exige auf exakt dem gleichen Level wie sein Vorgänger. Trotz seiner Yokohama- Sport-Pneus will es ihm also nicht gelingen, das Schwestermodell 111R in die Schranken zu weisen – dieses ist gleichfalls in der Lage, eine Querbeschleunigung von 1,2 g aufzubauen. Kein Wunder also, dass der geschlossene Lotus auch in der Rundenzeit keinen Boden gut macht. Die Zeit auf der Hockenheim-Runde ist mit 1.16,5 Minuten tatsächlich deckungsgleich mit der Runde, die die offene Variante ein paar Wochen zuvor hinlegte – was angesichts des umfassenden Aerodynamik- Packages doch leidlich enttäuscht.
Was das Fahrverhalten beider Modelle angeht, so sind Ähnlichkeiten unverkennbar. Bei aller Agilität, die auch der Exige in Punkto Einlenkverhalten an den Tag legt, fällt auch hier zunächst das deutliche Einlenk-Untersteuern auf, das schon beim Opel Speedster Turbo (Heft 4/2004) Anlass für leise Kritik war. Das anfänglich leichte Schieben über die Vorderräder entspricht zwar einer weit verbreiteten Sicherheits- Philosophie, wird aber dann konterkariert, wenn sich – wie auch in diesem Fall – die Tendenz durch Lastwechsel abrupt ins Gegenteil verkehrt. Der Übergang geht recht flott vonstatten, wobei es nicht gerade einfach ist, die zackigen Reaktionen mit einer so direkten Lenkung, wie sie hier implantiert ist, angemessen auszugleichen. Man überzieht leicht und bringt auf diese Weise mehr Nervosität ins Spiel, als dem Kurvenradius gut tut. Der 2000er Jahrgang war deutlich neutraler abgestimmt und folglich weniger wechselhaft in seinen Reaktionen. Trotz des Leistungsdefizits von 21 PS realisierte der Vorgänger eine Rundenzeit, die um 1,7 Sekunden unter der des aktuellen Exige lag – 1.14, 8 Minuten. Das Aha-Erlebnis kommt mit dem Blick auf die Gewichtstabelle: 796 Kilogramm wiegt der Exige Jahrgang 2000; 907 Kilogramm das aktuelle Modell. Der Fortschritt macht offenbar hier und da einen kleinen Umweg, und so verlassen wir etwas enttäuscht den Kleinen Kurs in Hockenheim und konzentrieren uns auf die Nordschleife des Nürburgrings, das Mekka der Fahrdynamik- Junkies.
Der Exige enttäuscht etwas in Hockenheim
Der überwiegend flüssigere Kurvenverlauf des Eifelkurses und das daraus resultierende höhere Grundtempo kommen dem Lotus grundsätzlich entgegen. Das Durchschnittstempo beträgt, legt man die gemessene Rundenzeit von 8.32 Minuten zugrunde, exakt 144,8 km/h, womit der Exige die nominell um acht PS stärkere Referenz, den Opel Speedster Turbo, zwei Sekunden hinter sich lässt. Der Lotus schafft dies allein durch die tendenziell höheren Kurvengeschwindigkeiten. Auf den Sprintstücken hat er gegenüber dem geringfügig schwereren Opel (931 Kilogramm) klar das Nachsehen, was zum einen mit dem subjektiv sehr deutlichen Leistungsdefizit des Toyota-Saugmotors zu erklären ist und zum anderen mit dem signifikant schlechteren cw- Wert. Der Opel Speedster verfügt über einen verhältnismäßig guten Luftwiderstandsbeiwert von 0,38. Besonders ins Auge fällt die niedrige Höchstgeschwindigkeit im Bereich Döttinger Höhe. Das Maximaltempo beträgt gerade mal 213 km/h. Damit ist der Exige fast 20 km/h langsamer als der Speedster Turbo (232 km/h). Die ungeheure Freude an der herausragenden Agilität, der Spaß am millimetergenauen Kurvenräubern und die Begeisterung über die Ausbremsmanöver, die einem auf abgeschlossenen Kursen so locker vom Fuß gehen, kehrt sich somit immer dann schlagartig in Enttäuschung um, wenn die Gegner auf der Geraden wieder das Weite suchen. Dass einem die undurchsichtige Motorhaube nach hinten die Sicht verwehrt, lässt den Fahrer nämlich nur kurzzeitig in dem Glauben, schon genügend Vorsprung herausgefahren zu haben.