Mercedes C55 AMG im Supertest
Auf dieStraße des Erfolgs ist die sportliche C-Klasse von AMG schon lange eingebogen. Nun soll der neue C55 AMG die noch ausstehende, lang erwartete Erfüllung bringen - einen überzeugenden Auftritt auch auf der Rennstrecke.
Das Gravitationszentrum eines AMG liegt gewissermaßen direkt vor den Füßen der Besatzung. Es ist auf einer Messingplakette namentlich gekennzeichnet – in diesem Fall vom AMG-Motorenbauer Robert Seiler – und besteht, anders als die von Isaac Newton im Jahr 1682 erkannte Gravitation, aus einem festen, im Inneren jedoch sehr beweglichen metallischen Körper in V-Konfiguration. Selbst Newton hätte sich der Anziehungskraft dieses Machtapparats unter der verlängerten Haube des neuen C55 AMG sicher nicht entziehen können. Zumal die Sinne in dieser kompakten Sportlimousine gleich in mehrerlei Hinsicht berührt werden. Da ist zunächst einmal die eindrucksvolle Leistung des 367 PS starken 5,4-Liter-V8-Motors. Sie versetzt die Besatzung regelmäßig in einen höchst unterhaltsamen Belastungszustand: Manche fangen an schwer zu atmen und unterziehen dabei die Sitzlehnen einer starken Belastungsprobe. Andere wiederum geraten aus dem Häuschen angesichts einer kurzweiligen Performance, derer man partout nicht überdrüssig werden kann. Auch wenn es im physikalischen Sinne alles andere als eine Kraft ist: Was sich nebenher den Ohren mitteilt, ist ebenfalls von so kräftiger Natur, dass einem vor Glückseligkeit fast schwindelig wird. Das dumpfe, die Seele massierende V8-Brabbeln ist ein akustischer Kontrapunkt zu dem energischen Auftritt, den der C55 AMG bei jeder sich bietenden Gelegenheit wagt – schon deshalb, weil es so leicht ist, seine Kräfte zu entfesseln. Eine Fußbewegung genügt, und die Automatik wandelt die Motorkraft wie von Zauberhand geführt in gleichmäßig beeindruckenden, wie von einem überdimensionalen Gummiband erzeugten Vortrieb um. Jener kulminiert in 18,3 Sekunden für den Sprint von null auf 200 km/h. Newton würde schlicht frohlocken über das, was mit seinem Namen gekennzeichnet ist: 510 Newtonmeter Drehmoment bei 4000/min. Wenn Kraft mit Lässigkeit eine Verbindung eingehen kann, dann in diesem, auf den ersten Blick sicher eher alltäglichen, als extrovertiert anmutenden Limousinen-Umfeld.
Kraft und Lässigkeit verbinden ich im C55 AMG
Die Lust versprechende Formel „Kleines Auto – großer Motor“ ist im schwäbischen Affalterbach schon seit 1993, dem Jahr, als aus der Allianz zwischen Mercedes und AMG eine feste Beziehung wurde, gängiges Prinzip. Aus dem Erstlingswerk C36 mit Sechszylinder-Saugmotor wurde 1997 der C43 mit V8- Triebwerk, der wiederum 2001 vom C32 mit Sechszylinder-Kompressormotor abgelöst wurde. Die Erfolgsstatistik ist nicht von schlechten Eltern: Annähernd 20 000 C-Klasse- Modelle hat AMG seit 1997 an den Mann, beziehungsweise die Frau gebracht. Dennoch ist die Vita der AMG C-Klasse nicht ganz ungetrübt. Zumindest aus Sicht derjenigen Sportfahrer, die neben der Disziplin Längsbeschleunigung auch das Leistungsfach Querbeschleunigung im Auge haben. Die Anerkennung für die uneingeschränkte Alltagstauglichkeit und das narrensichere Betragen der AMG-Sportler trat schließlich immer dann in fataler Weise in den Hintergrund, wenn die Konkurrenz, namentlich der BMW M3, wieder mal mit neuen fahrdynamischen Fabelwerten auftrumpfte. Der Grund liegt auf der Hand: So zielgerichtet das AMG-Engagement in der DTM vorangetrieben und zum Erfolg geführt worden ist, so zögerlich agierte die für die Straßenmodelle zuständige Abteilung bisher, wenn es darum ging, den einmal eingeschlagenen Weg konsequent zu Ende zu gehen. Ein markantes Beispiel: Der manuelle Schaltmodus der Fünfgangautomatik, der es erlaubt, per Tippschalter vom Lenkrad aus die Gänge zu sortieren, war bisher nichts anderes als ein Instrument zur Befriedigung des Spieltriebs – von der Möglichkeit, zusätzliche Bremswirkung durch das Herunterschalten zu erzielen, einmal abgesehen.
Der Automat tat nämlich bislang ungeachtet der manuellen Vorwahl trotzdem was er wollte, indem er bei durchgetretenem Gaspedal eigenmächtig einen oder sogar zwei Gänge runterschaltete. So kam unnötig Hektik auf – und Frust dazu. Auch beim Erreichen der Maximaldrehzahl spielte die Automatik den Regisseur und wechselte vor dem Eingriff des Begrenzers eigenmächtig in die nächst höhere Stufe – was dann im Eingang zügig angefahrener Kurven durch den plötzlichen Tempozuwachs nicht selten für ernsthafte Schreckmomente sorgte. Mit diesen Spielchen ist jetzt Schluss: Im manuellen Modus orientiert sich die Fünfgangautomatik des C55 AMG nun weitestgehend an dem, was der Fahrer will. So lässt sich das enorme Durchzugsvermögen des Achtzylinders im vorgewählten Gang erstmals in vollen Zügen genießen. Die Automatik sieht sich im „M“-Modus nun bei Erreichen des roten Drehzahlbereichs nicht mehr veranlasst hochzuschalten, auch wenn der Motor in den Begrenzer dreht. Mit diesem hohen Maß an Selbstbestimmung ausgestattet, kommt mit dieser Automatik, die im „Comfort“- und „Standard“- Modus weiterhin alle Vorteile einer automatisierten Kraftübertragung mit Wandlerüberbrückung bietet, selbst bei sportlichem Einsatz richtig Freude auf. Die Gangwechsel gehen um 35 Prozent schneller als bisher vonstatten, wobei die Übergänge unverändert elegant verschliffen sind. Das sensible Ansprechen der griffgünstig links und rechts hinter den Lenkradspeichen positionierten Tippschalter führt in der Eile jedoch nicht selten zum Verschalten, weshalb Drucktasten mit etwas höherer Federkraft wünschenswert wären.
Die Tippschalter sprechen sensibel an
Gemäß der Vorgabe des Altkanzlers Kohl, wonach immer entscheidend ist, was hinten rauskommt, ist der gesamte Antriebsstrang auch über das Getriebe hinaus stark verbessert beziehungsweise verstärkt worden. Die Faszination des großvolumigen Achtzylinders, der neben seiner Stimmgewalt bekanntlich auch eine vorbildliche Laufkultur sowie eine perfekte Leistungsentfaltung bietet, endet somit keineswegs mehr an den beiden imposanten Auspuff-Doppelendrohren, sondern setzt sich mit Wucht bis in die Aufstandsflächen der beiden 245 Millimeter breiten Antriebsräder fort. Eine mechanische Differenzialsperre, das gängige Mittel, um hohe Leistungen ohne nennenswerte Schlupfverluste auf die Straße zu bringen, ist allerdings auch im C55 nicht an Bord. Dafür verfügt die Antischlupfregelung bei ausgeschaltetem ESP nun über eine so genannte Traktionsfunktion. Bei schneller Kurvenfahrt erkennt das System den beginnenden Schlupf des kurveninneren Antriebsrads und bremst es in einem exakt ermittelten Wert ab. Der erzielte Effekt soll laut AMG dem eines mechanischen Sperrdifferenzials voll entsprechen. Fakt ist, dass haltlos durchdrehende Antriebsräder und ungebührliche, vom kurveninneren Rad ausgehende Rauchzeichen nunmehr der Vergangenheit angehören.
Die Vorstellung, durch partiellen Bremseneingriff schneller werden zu können, bleibt jedoch nach wie vor etwas gewöhnungsbedürftig. Die grundsätzliche Traktionsproblematik kommt in der vorliegenden Konstellation mit dem weit vorn implantierten Achtzylinder natürlich nicht von ungefähr: Knapp 55 Prozent des Gesamtgewichts von 1680 Kilogramm lasten auf der Vorderachse. Um den V8-Big-Block in der kleinen C-Klasse unterzubringen, bedurfte es sogar einer Verlängerung des Frontmoduls um 80 Millimeter. Daraus resultiert auch die etwas gestrecktere Linie des C55 AMG. Außerdem ist dieser Bulle von Achtzylinder – entsprechend motiviert – in der Lage, ganze Löcher in der Asphalt zu reißen. Aus dem Stand vergehen 5,3 Sekunden, um die 100-km/h-Marke hinter sich zu bringen. Nach 18,3 Sekunden ist auch die 200-km/h-Hürde genommen. Diese Übung gelingt sozusagen nebenbei mit Links, weil außer einem konzentrierten Blick nach vorn nur der Gasfuß in Betrieb ist. Wenngleich ab Werk bei Tempo 250 elektronisch eingebremst, lässt sich – auf Anfrage und natürlich gegen Aufpreis – das Tempoangebot um immerhin 30 km/h erweitern. Das Überraschungspotenzial einer 280 km/h schnellen C-Klasse ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Ergänzend zu dieser höchst befriedigenden Längsdynamik ist dem C55 AMG eine Fahrwerksabstimmung anerzogen, die mit den Bedingungen des öffentlichen Straßenverkehrs hervorragend harmoniert. Unbotmäßige Härten der Federelemente bleiben ebenso aus wie polternde Abrollgeräusche der Reifen. Mit der trockenen Härte des Setups kann man sich bestens arrangieren.
Übertriebene Härten zeigt der C55 AMG nicht
Die deutlich präziseren Reaktionen in puncto Handlichkeit sind nicht nur der um sieben Prozent direkter übersetzten Lenkung zu verdanken. Auch die straffere Federrate und die härteren Gasdruckdämpfer, die mit einer degressiven Kennung arbeiten, tragen ihren Teil dazu bei. Die deutlich geringere Seiten- und Wankneigung geht aufs Konto der überarbeiteten Elastokinematik an den Achsen. Sowohl die Zugstrebenlager an der McPherson-Dreilenkervorderachse als auch die Federlenkerlager der Raumlenkerhinterachse sind härter ausgelegt. Die Fahrwerksphilosopie bleibt also auch in der jüngsten C-Klasse von AMG sehr stark dem Alltag verpflichtet. Was sich sowohl am unbeirrbaren Geradeauslauf als auch am grundsätzlich unter- steuernden Fahrverhalten ablesen lässt. So ist unter dem Aspekt Fahrsicherheit nicht der geringste Kritikpunkt zu finden. Der Kompromiss hinsichtlich der Fahrdynamik ist damit aber unausweichlich. Ein am Limit bewegter C55 AMG ist zwar an Gutmütigkeit kaum zu überbieten, weil er einen sehr breiten Grenzbereich absteckt. Man erkauft dies aber zwangsläufig mit vergleichsweise trägen Reaktionen, die eine exakte Linienführung vereiteln.
Die Neigung, bei herzhafter Fahrweise in engen Kurven mit seinem sternengekrönten Bug in Richtung Kurvenaußenrand zu schieben, überfordert die Reifen auf der Lenkachse im Nu – sie überhitzen und zwingen umgehend zum Abbruch etwaiger Rekordversuche. Aus dieser Bredouille manövriert man sich auch mit der direkten Lenkung nicht mehr heraus. Selbst der bewusst initiierte Ausgleich durch gezieltes Power-Oversteering fällt in dieser Situation schwer. So verfehlt der C55 AMG die vom M3 vorgegebene Zeit auf dem Kleinen Kurs in Hockenheim noch immer recht deutlich, genauer gesagt um 2,3 Sekunden. Der Fortschritt lässt sich trotzdem nicht verhehlen, denn im Vergleich zu seinem Vorgänger C32 Kompressor macht der C55 immerhin zwei Sekunden gut. Auch wenn die üppig dimensionierte Bremsanlage mit innenbelüfteten 345-Millimeter-Scheiben und Vierkolben-Festsätteln an der Vorderachse beim Showdown in Hockenheim keine spürbaren Einbußen in der Bremswirkung offenbarte: Ein kleines Zeichen von Schwäche ließ sie aufgrund des länger werdenden Pedalwegs doch erkennen. Die ausgeprägte Bissigkeit der Bremse in der Anfangsphase des Bremsmanövers lässt überdies vermuten, dass die Reifen beim Übertragen der Bremskräfte zunächst etwas überfordert werden. Die Verzögerungsleistungen pendeln sich daher bei guten, aber nicht eben überragenden Werten zwischen 10,3 und 10,5 m/s² ein. Der Ausgleich für die nicht wirklich begeisternde Performance in Hockenheim folgt jedoch mit der Ausfahrt aus dem Motodrom. Die Wendigkeit der 367 PS starken Sportlimousine inmitten des Alltagsgeschehens ist schlicht begeisternd. Schnelle Fahrspurwechsel gelingen mit Leichtigkeit, Präzision und ohne das geringste Gefühl der Unsicherheit.
Die Wendigkeit des C55 AMG begeistert
Das unangestrengte Fahren, ein Resultat aus üppigem Leistungsangebot, kinderleichter Handhabung sowie perfekter Sitzposition und Ergonomie birgt jedoch die bekannten Risiken: Man ist allzu leicht viel zu schnell – auch eine Folge der relativ geringen Fahrgeräusche. Was den Verbrauch angeht, so ist zwischen elf und knapp 20 Liter Superkraftstoff alles darstellbar. Im Schnitt flossen 14,7 Liter auf 100 Kilometer durch die Einspritzdüsen, was angesichts des Kraftpakets von Motor und des Gewichts noch in Ordnung geht. Mehr als nur einen Achtungserfolg erzielt der C55 AMG bei seinem Auftritt auf der Nordschleife des Nürburgrings. Mit einer Rundenzeit von 8.22 Minuten begibt er sich exakt in die zeitlichen Niederungen des BMW M3, der diese Vorgabe allerdings schon vor einiger Zeit in den Asphalt brannte. Mit dem Blick auf die Kurvengeschwindigkeiten fällt jedoch auch auf dieser schnellen Berg- und Tal-Bahn auf, dass dem Mercedes in Sachen Querbeschleunigung regelmäßig ein paar Wertungspunkte fehlen, wenngleich die Unterschiede hier gleichfalls geringer ausfallen als bisher. Ausgerüstet mit Pirelli P Zero Rosso beträgt die maximale Querbeschleunigung 1,1 g. Sie liegt damit geringfügig unter dem Wert des BMW M3, der mit vergleichbarer Bereifung auf einen Wert von 1,15 g kommt. Die Tempoverluste in den Biegungen kompensiert der Achtzylinder jedoch auf seine ganz typische Art und Weise: Auf den Geraden macht er gegenüber dem M3 locker die Pace und holt so die verlorenen Sekunden souverän wieder auf. Ungeachtet des Rückstands, den der Mercedes C55 AMGFahrer in den entfernen Regionen des Grenzbereichs noch immer zu akzeptieren hat, muss er sich nicht grämen: Den Ausgleich für den vermissten Kick am Limit liefert ein über alle Maßen begeisternder Antriebsstrang.