Porsche 911 Turbo im Test
Mit Allradantrieb und 408 PS ist der neue Porsche Turbo im Umfeld der Seriensportwagen nahezu konkurrenzlos. Hinzu kommt eine bemerkenswerte Alltagstauglichkeit.
Flügel haben siebeide. Im Unterschied zum Flugzeug hat allerdings der nun schon klassische Heckflügel des Porsche Turbo eine fundamental andere Aufgabe: Er soll Porsches schnellsten Sportwagen nicht in der Luft, sondern am Boden halten. Dabei folgt der neu gestylte Turbo.lügel stärker als bisher der Karosseriekontur, ganz so, als habe die Form unter der glühenden Hitze des Heckmotors eine thermoplastische Deformation erlitten. Dem ist natürlich nicht so. Denn der Heckflügel ist ein im Windkanal ausgeklügeltes Aerodynamik-Bauteil, das bei Porsche traditionell zwei Aufgaben erfüllen muß. Erstens wird der Auftrieb vermindert, was insbesondere bei hohen Geschwindigkeiten eine Erhöhung der hinteren Radlast bedeutet und somit der Fahrstabilität zugute kommt, zum zweiten liegen unter der von Lüftungsschlitzen durchbrochenen Flügelfläche die beiden Ladeluftkühler. Sie werden auf Grund der zwischen Motorraum und Karosserieoberfläche herrschenden Druckdifferenz intensiv von Kühlluft durchströmt und reduzieren so die Eintrittstemperatur der Verbrennungsluft in die Zylinder. Immer noch sind es sechs an der Zahl, und immer noch liegen sich jeweils drei waagerecht gegenüber mit gegenläufigen Kolben im Inneren, wie es sich für einen echten Boxermotor gehört. Neu am Turbo./span> des Jahrgangs 95 ist die Aufteilung in zwei separate Abgasströme. Jede Zylinderseite hat ihre eigene Auspuffanlage, eigene Katalysatoren mit je zwei Lambdasonden sowie je einen kleinen Abgasturbolader (K 16) des deutschen Turbo.aderspezialisten KKK.
Schnelleres Ansprechverhalten
und ein gleichmäßigerer
Leistungsverlauf
sind die wesentlichen Vorteile
der Biturbo-Anordnung, aber
auchder Verbrauch, das Abgasverhalten
und die Geräuschentwicklung
profitierendavon.
Start: Spontan fällt derMotor
in einen heiseren Leerlauf,
von der modernen Bosch
Motronic 5.2 bei beruhigenden
800 Umdrehungen gehalten.
Ebenfalls beruhigend: Porsche-
Fahrer müssen nicht umdenken.
Alles ist am alten Platz, Zündschlüssel
wie üblich links, Hebel
und Instrumente in gewohnter
Klarheit und Anordnung.
The same procedure as
every year? Nicht ganz. Den ersten
Aha-Effekt beschert die
Kupplung.Hydraulisch unterstützt
läßt sie sich im Gegensatz
zu früher relativ leicht und mit
kurzen Wegen bedienen. Keine
Selbstverständlichkeit für das
immense Drehmoment von 540
Newtonmeter, das sie im Extremfall
übertragen muß.
Mit diesem gewaltigen, bei
4500 Umdrehungen erreichbaren
Drehmomentgipfelsetzt
man sich normalerweisenatürlich
nicht in Bewegung. Dies
ist auch weder sinnvoll noch
nötig, denn der leistungsfähigste
allerSeriensportwagen ver
blüfft durch einenkontinuierlichen,
weichenKrafteinsatz, der
sich ganzfolgsam dem vom
Fahrer perGaspedal vorgegebenen
Fahrleistungsbedarfanpaßt.
Kein Turbo.och zum Mitzählen mehr, aber auch kein überraschender Tritt in den verlängerten Rücken durch eine ruckartige Leistungsexplosion. Ebenso gleichmäßig und gut gedämpft entwickelt sich das Motorgeräusch. Das von Saugrohr- Resonanzen geprägte laute Hämmern des Saugers fehlt dem Turbo völlig. Was bleibt, ist eindrucksvoll genug. Wer es wirklich wissen will und die Gänge des vorzüglich abgestuften und leicht schaltbaren Sechsganggetriebes voll ausdreht, bekommt praktisch konkurrenzlose Beschleunigungswerte geliefert. Dazu eine Höchstgeschwindigkeit, die sich mit 290 km/h fast schon asymptotisch der magischen 300 km/h-Grenze nähert. Dies geht erstaunlich mühelos, setzt allerdings eine heute kaum noch vorfindbare, verkehrsarme Autobahn voraus. Sehr viel häufiger läßt sich hingegen das ausnutzen, was man sozusagen als Operationsbasis des Turbo bezeichnen könnte. Bei zügigen 180 km/h beispielsweise genügt Vollgas im sechsten Gang, und die Tachometernadel fliegt auch ohne zurückzuschalten mit ähnlicher Winkelgeschwindigkeit wie der Drehzahlmesser nach oben. Ruck, zuck werden 200, 220 und 250 km/h passiert. Und wenn jetzt Puls und Blutdruck des Fahrers genauso schnell steigen, ist es besser, den Fuß vom Gas zu nehmen. Denn Entfernungen schrumpfen zusammen, die Optik der Fahrbahn verengt sich, und der Geradeauslauf bedarf gerade im obersten Geschwindigkeitsbereich wohl auch als Folge der sehr breiten 18 Zoll-Bereifung gelegentlich der Korrektur. Noch eindrucksvoller als das Beschleunigungsvermögen ist die Bremsleistung des Porsche Turbo.
Nochmals vergrößerte Bremsscheiben hebeln die einstige physikalische Grenze zuverlässig aus und liefern Verzögerungswerte jenseits der Erdbeschleunigung. Dabei krallen sich die Reifen förmlich in den Asphalt, ohne daß das Fahrwerk Unruhe zeigt. Selbst bei höchster Beanspruchung zeigen diese Bremsen, ganz im Gegensatz zum Fahrer, keine Ermüdungserscheinungen. Keine Frage, hier werden Superlative geboten. Dennoch: Trotz überragendem Leistungspotential fordert der Turbo nicht, vor allem überfordert er nicht. Denn im Gegensatz zu seinen Vorgängern überträgt der neue Turbo seine unbändige Kraft auf alle vier Räder. Das hält ihn auch bei vollem Leistungseinsatz gut in der Balance. Und selbst in Kurven kann das Gaspedal, sofern es trocken ist, relativ sorglos durchgetreten werden. Die Kraftverteilung selbst (maximal 40 Prozent an der Vorderachse) ist so gewählt, daß weitgehend neutrales Eigenlenkverhalten mit einer dezenten Untersteuertendenz vorliegt, ohne daß die Handlichkeit darunter leidet. Zusätzlich reduziert die asymmetrisch ausgelegte Hinterachssperre, die unter Vortrieb mit 25 Prozent, bei Schub allerdings mit 40 Prozent eingreift, Lastwechselreaktionen auf jenes Maß, das der gute Fahrer gerne als Lenkhilfe bei schneller Kurvenfahrt mit einsetzt. Einem Durchdrehen der Räder schiebt das automatische Bremsdifferential (ABD) einen Riegel vor. Natürlich ist das Fahrwerk eherstraff als komfortabel abgestimmt und läßt vor allem bei geruhsamerFahrt jede Unebenheit spüren.Dafür entschädigen die elektrischverstellbaren Sitze mit gutemKomfort, wie überhaupt Bedienungund Umgang des Porsche Turbo voneiner hohen Alltagstauglichkeit geprägt sind.
Dazu gehört auch
ein Verbrauch, der angesichts
der Fahrleistungen durchaus als
moderat gelten kann.
Damit hebt sich Porsches
stärkstes Angebot wohltuend
von der Konkurrenz ab. Daß
der Turbo inzwischen komplett
mit Radio, Klimaanlage und
und Leder ausgestattet ist, kann
man bei dem Preis von über
200.000 Mark eigentlich erwarten.
Mit dem aufwendigen Onboard-
Diagnose-System (OBD
II), das die Abgasemissionen
penibler überwacht, als dies der
TÜV je könnte, spielt Porsche
zudem den Vorreiter. Vielleicht
ersetzt ja eines Tages dieses in
den USA vorgeschriebene System
die lästige und auch teure
Abgasuntersuchung.
Keine Frage: Nach einer
Reifezeit von 20 Jahren ist der
neue Porsche Turbo der beste
und sicherste aller Turbo, die es
je gab. Bei aller technischen
Perfektion und trotz gutmütiger
Fahreigenschaften ist er dennoch
kein Laienspielzeug. Allein
vor der schieren Leistung
ist Respekt geboten. Schon aus
diesem Grund ist es vorteilhaft,
wenn Fahrer dieses Sportwagens
auch etwas Fahrtalent mitbringen.
Denn physikalische
Grenzen lassen sich zwar hinausschieben,
aber nicht aufheben.