Rolls Royce Silver Seraph
Noch ist die Brautschau von Rolls-Royce nicht entschieden. Bei der Entwicklung der ersten neuen Limousine seit fast 18 Jahren hat sich jedoch BMW als Partner empfohlen: Im Silver Seraph ersetzt der 5,4 Liter-V12 aus dem 750i den bisherigen V8.
Die Gemeinsamkeiten zwischen einem Rolls-Royce und einem Kühlschrank beschränken sich nicht nur auf die Tatsache, daß sie einen Kühler und einen klimatisierten Innenraum haben. Wie alle technischen Produkte, die im Laufe ihrer Entwicklung immer besser, in der Handhabung einfacher werden, verlieren sie zugleich ein Stück ihrer Faszination. Ein Kühlschrank von heute läßt jedenfalls – anders als ein Frigidaire der dreißiger Jahre – die meisten Menschen kalt, und trotz seines Namens ist ein Silver Spirit gegenüber seinen Urahnen ein viel vollkommeneres, aber weniger begeisterndes Automobil.
Ein klangvoller Name, der gemäß der Firmentradition aus der Luft gegriffen wurde, soll dem Nachfolger diesen Spagat zwischen Perfektion und Faszination erleichtern. Das Oxford Dictionary definiert Seraph als himmlisches Wesen von höchster Ordnung, Reinheit und Leidenschaft, womit der Auftrag des Seraph. itemprop="name" />Silver Seraph./span> annähernd umrissen wäre: Er möge wieder jene Präsenz und Grazie ausstrahlen, die wie in der Vergangenheit Begehrlichkeit weckt und die Ausnahmestellung eines Rolls-Royce unterstreicht.
Chefstilist Graham Hull macht jedenfalls keinen Hehl daraus, daß er bei der Gestaltung des seit März 1994 betriebenen Projekts besonders innig den Silver Cloud vor Augen hatte. Er verkörpere am reinsten die klassischen Stilmerkmale der Marke, zu denen er die sanft nach hinten fallende Gürtellinie, den eingezogenen Dachaufbau und den erhöhten, abgerundeten Kofferraum ebenso zählt wie die als Peilkanten ausgebildeten Kotflügel. Die traditionelle Kühlermaske samt Emily ist ohnehin unerläßlich, ordnet sich aber in verkleinerter, abgerundeter Ausführung der Gesamtform unter. Obwohl die imposante Länge (5,39 Meter) unverändert blieb, Breite und Höhe gar um zwei respektive drei Zentimeter wuchsen, wirkt das neue Modell schwungvoller und feingliedriger als das alte.
Dezenter Chromschmuck und subtile Linien, die Licht einfangen und Akzente setzen, nehmen dem Körper seine Massivität, nicht aber seine Majestät: Auch der Seraph. itemprop="name" />Silver Seraph./span> ist eine beeindruckende Erscheinung. Zudem weist die Stahlkarosserie, die erstmals in der Firmengeschichte im Stammwerk Crewe montiert wird, durchaus sachliche Vorzüge auf. Ihre Verwindungssteifigkeit liegt um 65 Prozent höher, der Luftwiderstand um 16 Prozent niedriger, und die Paßgenauigkeit hat sich den billigeren, aber auf hochautomatisierten Bändern produzierten Konkurrenten spürbar angenähert. Denn auch bei Rolls-Royce halten inzwischen moderne Fertigungsmethoden Einzug, womit schlecht schließende Türen und übermässige Windgeräusche offenbar der Vergangenheit angehören.
Das Gefühl, in einer für die Ewigkeit gebauten, der lärmenden Alltagswelt entrückten Raumkapsel zu sitzen, konnte davon nur profitieren. Man sitzt in üppigen, wohlduftenden Ledersesseln, erfreut sich an hochglänzenden Wurzelholzfurnieren und versinkt in dicken Schafswoll-Teppichen. Für eine 5,39 Meter lange Limousine ist allerdings weder der Kofferraum (374 Liter) noch die Beinfreiheit hinten besonders grosszügig, weshalb eine Langversion für Chauffeurbetrieb durchaus sinnvoll wäre. Daß man nicht nur Denkmalpflege betrieb, sondern im Interesse der Kunden auch zu pragmatischen Änderungen bereit war, zeigt sich vor allem bei der Bedienung. Die Scheibenwischer lassen sich nun mit dem linken Hebel am Lenkrad aktivieren, die eleganten Chromschalter auf dem Mitteltunnel sind den entsprechenden Fenstern jetzt leichter zuzuordnen, und die Klimaautomatik ist zugleich übersichtlicher und differenzierter einstellbar.
Trotz stilvoller Holzeinfassung erinnert aber – wie beim Tempomat am Lenkrad – die schwarze Kunststofftastatur daran, daß hier BMW seine Finger (und Zulieferer) mit im Spiel hatte. Dennoch bleibt der Seraph. itemprop="name" />Silver Seraph./span> weit davon entfernt, mit anderen Luxuslimousinen verwechselt zu werden, was schon deshalb wichtig ist, weil 40 Prozent der Rolls-Besitzer parallel eine Mercedes S-Klasse fahren. So sucht man in ihm Seiten- und Kopfairbags ebenso vergeblich wie einen Regensensor oder ein integriertes Navigationssystem. Die Abwesenheit eines Drehzahlmessers sowie der Automatik-Wählhebel an der Lenksäule sind jedoch eher Programm als Versäumnis. Beides soll unterstreichen, daß der Rolls-Royce – auch gegenüber dem sportlicheren, etwas später folgenden Schwestermodell von Bentley – die Wahl des gelassenen Gentleman bleibt.
Anders als beim Arnage, der einen zwar hubraumschwächeren, aber leistungsstärkeren V8-Motor mit zwei Turboladern unter der Haube hat, wird der bisher gemeinsame 6,8 Liter-V8 im Seraph. itemprop="name" />Silver Seraph./span> durch den komfortbetonten 5,4 Liter-V12 von BMW ersetzt. Identische Leistungsangaben wie für den 750i zeigen, daß es Rolls-Royce bei der Übernahme des Leichtmetall- Zweiventilers mit geringen Modifikationen bewenden ließ. 326 PS und ein maximales Drehmoment von 490 Nm – etwa die Werte des letzten Silver Spur – können selbst für eine 2,3 Tonnen schwere Luxuslimousine als angemessen gelten, und an der Laufkultur des Zwölfzylinders gibt es ohnehin wenig auszusetzen. Dennoch verändert er den Charakter des Fahrens nachhaltig.
Bewältigte der großvolumige Alte die meisten Situationen noch lässig mit 1500 bis 2500/min, so dreht der Neue bei vergleichbarem Tempo gut 1000/min mehr. Im Gegenzug soll er besser beschleunigen und 8,6 Prozent weniger Benzin verbrauchen, aber Fortschritte sind vor allem bei der Fahrdynamik erkennbar. Die neue ZF-Fünfgangautomatik schaltet feinfühlig und geschmeidig, und mit der angenehm präzisen Lenkung kommt sogar Freude an schneller und leichtfüssiger Kurvenfahrt auf. Da ist es gut zu wissen, daß ABS, Traktionshilfe und automatische Stabilitätskontrolle den Rolls bei allzu forscher Gangart oder widrigen Straßenverhältnissen auf Kurs halten.
Wichtiger dürfte der gesetzten Kundschaft allerdings jener erlesene Federungskomfort sein, der sich schon in der Vergangenheit weigerte, Unebenheiten an die Herrschaft weiterzugeben. Das modifizierte Fahrwerk bietet jedenfalls in Verbindung mit dem computergesteuerten Dämpfersystem alle Voraussetzungen, auch in Zukunft wie auf einem fliegenden Teppich zu schweben. Obwohl der neue Rolls wieder etwas besser wurde, bleibt er von der langweiligen Perfektion eines Kühlschranks weit entfernt. Als kleines Extra in der Rückbank steigert so was hingegen die Faszination des Seraph. Das ist er seinem Namen und dem Kaufpreis von rund 450 000 Mark allemal schuldig.