Das Formel-1-Reife(n)zeugnis des SID: Monza

Das Formel-1-Reife(n)zeugnis des SID: Monza
Monza (SID) - PIERRE GASLY: Doch der Franzose fiel im Stallduell mit Megatalent Max Verstappen deutlich ab, wurde nach nur zwölf Rennen zum Tochterteam Toro Rosso (seit Jahresbeginn AlphaTauri) zurückgeschickt. Im familiären Umfeld bei den Italienern fing er sich wieder, holte im vergangenen November in Brasilien seinen ersten Podestplatz, überzeugte mit konstant guten Leistungen - und schlug am Sonntag eiskalt zu, als es die kuriosen Umstände ermöglichten. Der 24-Jährige ist der erste Formel-1-Sieger seit siebeneinhalb Jahren bzw. 147 Rennen, der nicht am Steuer eines Mercedes, Ferrari oder - genau: Red Bull - gesessen hat. Und mit einem Mal scheint er wieder zu Höherem berufen.
FERRARI: Die traditionelle Ferrari-Party musste wegen des Coronavirus ausfallen, doch was die Scuderia beim Heimrennen vor fast leeren Rängen ablieferte, war nur noch mit Sarkasmus zu ertragen. Sebastian Vettel lebte es vor, als er anmerkte: "Am Dienstag bin ich im Simulator - der hält wenigstens." Das diesjährige echte Rennauto ist nämlich eine Fehlkonstruktion, was auch aus der Teamführung niemand mehr bestreitet. Ein Rennen zum Weglaufen auf der Power-Strecke in Monza wurde erwartet, es wurde noch schlimmer: Ferrari wurde vorgeführt im Qualifying, im Rennen stoppte ein Bremsschaden den viermaligen Weltmeister Vettel auf Rang 18 (!) liegend, Teamkollege Charles Leclerc verlor den wild rutschenden SF1000 in der schnellen Parabolica und hatte Glück, mit dem Schrecken davongekommen zu sein. Am kommenden Wochenende bestreitet Ferrari auf der firmeneigenen Strecke in Mugello seinen 1000. Grand Prix. Auch dort dürfte die Scuderia jeden Gedanken an eine Party mit ihren Leistungen im Keim ersticken.
LEWIS HAMILTON: Der Weltmeister schwebte förmlich über das Autodromo Nazionale. Am Samstag drehte Hamilton im Qualifying die schnellste Runde der Formel-1-Geschichte, am Sonntag flog er allen davon - bis ihm und nicht zuletzt auch dem Mercedes-Kommandostand unter Stress ein seltener Fehler unterlief: Als Kevin Magnussen seinen Haas nahe des Boxeneingangs abstellen musste, verbot die Rennleitung die Zufahrt zu den Garagen. Hamilton bemerkte nichts, er bog ab, holte sich einen neuen Reifensatz und schien seinen Vorteil nur vergrößert zu haben. Die Signale waren aber da, wenn auch nicht in seinem unmittelbaren Blickfeld. Auch die Ingenieure waren nicht im Bilde. Der Leader erhielt eine zehnsekündige Stop-and-Go-Strafe, die er zu allem Überfluss direkt nach dem Restart des Rennens absitzen musste. Letzter statt Erster war Hamilton auf einmal. Dass er trotzdem auf Rang sieben vorstürmte und kaum etwas von seinem Vorsprung in der WM einbüßte, sagt einiges über seine fahrerische Klasse aus. Sieg Nummer 90 muss warten, aber wohl nicht sehr lange.
MCLAREN: Bei Hamiltons früherem Team zeigt die Kurve nach Jahren im Formel-1-Niemandsland wieder steil nach oben. In Monza war der britische Traditionsrennstall die zweite Kraft, der erste Sieg seit fast acht Jahren durch Carlos Sainz wurde nur durch Gasly vereitelt, der beim Reifenwechsel das beste Timing von allen hatte und sich gegen Sainz erfolgreich verteidigte. Der deutsche Teamchef Andreas Seidl und seine Mitstreiter haben in letzter Zeit viele gute Entscheidungen getroffen, auch bei normalem Rennverlauf dürfte McLaren in Zukunft immer wieder ein Podiumskandidat sein. Und Sainz dürfte sich mittlerweile ärgern, dass er im Frühjahr zur kommenden Saison bei Ferrari unterschrieben hat.
SPRUCH DES WOCHENENDES: "Am Dienstag bin ich im Simulator - dieses Auto hält wenigstens." (Sebastian Vettel nach seinem frühen Monza-Aus über seine Pläne für die nächsten Tage)