Hall-of-Fame-Enthüllung: "Sportorganisationen zögerlich"

Die Hall of Fame des deutschen Sports beherbergt mehr Mitglieder mit NS-Vergangenheit als bislang bekannt. Ein Sporthistoriker äußert Unverständnis.
Sporthistoriker Lorenz Peiffer hat mit Unverständnis auf die Enthüllung reagiert, dass die Hall of Fame des deutschen Sports deutlich mehr Mitglieder mit nationalsozialistischer Vergangenheit als bislang bekannt beherbergt. "Wenn man in die Zeit von 1933 bis 1945 zurückgeht, dann muss man sich natürlich auch mit den Lebensläufen der Sportlerinnen und Sportler in dieser Zeit auseinandersetzen", sagte der emeritierte Professor der Leibniz-Universität Hannover dem SID.
"Das macht man aber ungerne, weil Sport ja eigentlich unpolitisch ist, zumindest in der Sichtweise der Sportfunktionärinnen und Sportfunktionäre", führte der 76-Jährige aus, dessen Forschungsschwerpunkt die Geschichte des Sports im Nationalsozialismus ist.
Laut Recherchen der Süddeutschen Zeitung waren nicht nur fünf der 2008 bei der Gründungsfeier der Ruhmeshalle aufgenommenen Persönlichkeiten Mitglied in Adolf Hitlers NSDAP, sondern 15 - darunter mit dem fünfmaligen Reit-Olympiasieger Hans Günter Winkler auch einer der größten deutschen Sporthelden. Die Deutsche Sporthilfe, der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und der Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS) sind Träger der Hall of Fame. Die Sporthilfe kündigte auf Anfrage der SZ an, mit den Partnern "einen Prozess" anzustoßen, "um neue, belegte Erkenntnisse transparent einzupflegen".
Laut Peiffer hätte sich dieses Nacharbeiten leicht verhindern lassen. "Spätestens seit den 1970er-Jahren besteht die Möglichkeit, im heutigen Bundesarchiv von jeder deutschen Person, wenn man die Geburtsdaten hat, nachprüfen zu lassen, ob sie NSDAP-Mitglied gewesen ist, ob sie in der SA war, der SS und so weiter", sagte er: "Das wäre überhaupt kein Problem gewesen. Aber die Sportorganisationen machen es nur sehr zögerlich."
Der VDS ist laut Peiffer dabei, "seine Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Aber der Sport macht es nicht. Der DOSB versteht sich ja nicht als Nachfolgeorganisation des NSRL (Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen; d.Red.) und sagt: 'Damit haben wir nichts zu tun.'"
Die sportliche Leistung eines Sportlers von der Biographie abseits des Stadions trennen, ist für den Sporthistoriker "indiskutabel", weil jedes Mitglied in NSDAP, SS oder SA "Träger des Systems" gewesen sei.