Medaillenhoffnung Dreßen hofft "Fahrt des Lebens"
Medaillenhoffnung Dreßen hofft "Fahrt des Lebens"
Es ist keine vier Wochen her, da wagte der Chef von Thomas Dreßen einen bemerkenswerten Vergleich. "Er ist ein geerdeter Junge", sagte Mathias Berthold, "er erinnert mich in dieser Saison an ... nein, das sag ich lieber nicht."
Es war freilich nicht schwer herauszufinden, über wen der Cheftrainer der deutschen Ski-Rennläufer da sprach. "Ja, genau", antwortete Berthold grinsend auf die Frage, ob es Matthias Mayer sei, über den er da nicht reden wollte.
Matthias Mayer, Österreich, wurde 2014 in Sotschi überraschend Olympiasieger in der Abfahrt. Er war damals 24 Jahre alt. Sein Trainer: Berthold. Thomas Dreßen, Deutschland, gilt als Anwärter auf eine Medaille bei der olympischen Abfahrt am Sonntag (11:00 Uhr OZ/3:00 Uhr MEZ). Er ist 24 Jahre alt. Sein Trainer: Berthold. "Die Gespräche, die ich mit dem Matthias 2014 hatte, habe ich jetzt mit dem Thomas, das ist ganz cool", sagte Berthold.
Es gibt allerdings einen großen Unterschied: Dreßen hat am 21. Januar auf der Streif in Kitzbühel gewonnen und ist nun alles, nur kein Geheimfavorit mehr. Er könnte seinen Cheftrainer jetzt als Wahrsager dastehen lassen. Der sagte im Sommer 2014 den zu diesem Zeitpunkt aberwitzigen Satz: "In Pyeongchang wollen wir so weit sein, dass wir um die Medaillen mitfahren können." Die Abfahrer waren damals ein Trümmerhaufen, Dreßen hatte als beste Abfahrtsplatzierung einen 22. Rang vorzuweisen - im Europacup!
"Wenn du Kitzbühel gewinnst, kannst du das nicht wegdiskutieren"
Nun hat Berthold seine "Jungs", wie er sie nennt, tatsächlich so weit, dass sie mitmischen können - allen voran Dreßen, geboren in Garmisch-Partenkirchen, aufgewachsen in Mittenwald, zur Schule gegangen in Österreich, wohnhaft ebenda. Und alle haben diesen bemerkenswert talentierten 24-Jährigen jetzt auf der Rechnung, wenn es darum geht, die Medaillenanwärter für Sonntag zu benennen. "Wenn du Kitzbühel gewinnst, kannst du das nicht wegdiskutieren", sagt Berthold.
Sollte Dreßen auf dem "Jeongseon Downhill" am geschundenen Berg Gariwang tatsächlich aufs Podium in der alpinen Königsdisziplin fahren, wäre das historisch. Einen Olympiasieger aus Deutschland gab es in der Abfahrt noch nie, immerhin zwei Medaillengewinner - vor mehr als 50 Jahren. Hans-Peter Lanig aus Hindelang holte 1960 in Squaw Valley/USA Silber, der 2007 verstorbene Wolfgang Bartels aus Bischofswiesen fuhr vier Jahre später in Innsbruck zu Bronze. 1989 gewann Hansjörg Tauscher WM-Gold.
Wenn es nach den Leistungen in den ersten beiden Trainingsläufen geht, erscheinen die Hoffnungen noch ein wenig vage. Rang 31 in der ersten Probefahrt, immerhin schon Rang neun in der zweiten auf wegen starken Windes verkürzter Strecke - da ist Luft nach oben für Dreßen. Vorne im zweiten Training: Christof Innerhofer (Italien) sowie die großen Favoriten Kjetil Jansrud (Norwegen), Sieger der Weltcup-Abfahrt vor zwei Jahren auf der Olympiapiste, Weltmeister Beat Feuz (Schweiz) und - Mayer.
"Ich fahre, was er mir hinstellt"
Dreßen hat wie immer die Ruhe weg. Der Mann, der seine Füße mit der Schuhgröße 47,5 in Skischuhe mit der Größe 43 zwängt, um die Skier besser kontrollieren zu können, weiß, dass ihm die Strecke liegt - er weiß allerdings auch um die Unberechenbarkeit seiner Sportart. Dreßen erwartet eine "Schlacht" am Sonntag, "entweder hat einer den Lauf seines Lebens und brennt eine Sekunde voraus, oder es wird ein Krimi - aber ich glaube eher, dass es eine enge Geschichte wird."
Alpindirektor Wolfgang Maier geht davon aus, dass es am Sonntag nicht nur auf das fahrerische Können ankommt. Ungewöhnlicher Schnee, langgezogene Kurven, und keiner weiß, ob es beim Rennen auch noch so kalt sein wird, wie in den vergangenen Tagen. "Da wird das Set-up eine ganz entscheidende Rolle spielen", betont Maier. Dreßen behauptet, er habe noch "ein paar Waffen" in der Hinterhand. "Ich habe volles Vertrauen zu meinem Servicemann", sagte er dem "SID": "Ich fahre, was er mir hinstellt."