Das SID-Kalenderblatt am 6. August: Gertrude Ederle durchquert als erste Frau den Ärmelkanal

Das SID-Kalenderblatt am 6. August: Gertrude Ederle durchquert als erste Frau den Ärmelkanal
Eigentlich wollte sie nur schwimmen - und sich selbst beweisen.
Köln (SID) - Doch als Gertrude Ederle am 6. August 1926 als erste Frau den Ärmelkanal in absoluter Weltrekordzeit durchquert hatte, war die Welt für ihre Geschlechtsgenossinnen danach nicht mehr die gleiche wie vorher. Durch die Heldinnentat der ersten Extremsportlerin bekamen Frauen in der ganzen Welt eine neue Vorstellung von ihren eigenen Möglichkeiten.
Die See zeigte sich an jenem so denkwürdigen Tag von ihrer hässlichen, lebensgefährlichen Seite. Sturm, tosende Wellen und ein meterhoher Tidenhub prägen den Seegang im Meeresarm zwischen Atlantik und Nordsee, als Gertrude Ederle in Cap Gris-Nez an der französischen Landspitze mit Blick auf die Kreidefelsen im englischen Dover ein Jahr nach einem ersten Fehlversuch erneut in den Kanal steigt und losschwimmt.
Algen, Quallen und andere Meerestiere werden die deutschstämmige US-Amerikanerin bei nur 17 Grad Wassertemperatur bis auf die andere Seite begleiten. Zum Schutz vor dem Salzwasser lässt sich die Staffel-Olympiasiegerin von Paris 1924 mit Fett, Schmalz und Olivenöl einschmieren.
32,31 km standen beim Start auf ihren Plan, an den außer der Metzgertochter selbst nur noch ihr Vater Henry und ihr Trainer William Burgess wirklich zu glauben schienen. Zu tollkühn, zu riskant, aber für eine Frau der damaligen Zeit auch einfach zu ambitioniert schien Ederles Projekt.
Als die 20-Jährige 14 Stunden und 31 Minuten an der britischen Küste in Kingsdown wieder an Land ging, hatte sie aufgrund der Strömung tatsächlich sogar über 56 km im rauen, feindseligen Wasser zurückgelegt. Und sie war dabei dank ihrer Fitness, Zähigkeit und ihres Ehrgeizes trotzdem noch zwei Stunden schneller als der Weltrekord des bis dahin schnellsten Mannes.
In den USA feierten die Menschen ihre "Trudy" wie einen Superstar. Zur Rückkehr vom Abenteuer in Europa empfingen zwei Millionen Menschen am New Yorker Broadway die neue Heldin mit einer Konfettiparade, der damalige US-Präsident Calvin Coolidge lud die Nachkommin eines Einwanderer-Paares aus dem schwäbischen Bissingen ins Weiße Haus nach Washington ein.
Ederle genoss den Ruhm und machte ihr Ansehen zu Geld. In einer Varieteshow führte die neunfache Weltrekordlerin ihre wegweisende Kraultechnik in einem gläsernen Bassin für 6000 Dollar pro Woche einem begeisterten Publikum vor.
Spät allerdings zahlte Gertrude Eberle einen hohen Preis für ihren einmaligen Wagemut. Ohnehin seit ihrer Kindheit durch die Folgen einer Masernerkrankung schwerhörig, erlitt ihr Trommelfell bei der Kanaldurchquerung durch das Salzwasser nochmals massive Schädigungen, die Jahre später zur völligen Taubheit führte.
Gertrude Ederles Ärmelkanal-Rekord für Frauen hielt bis 1950. Am 30. November 2003 starb die "Königin der Wellen", die manche in ihrer Bedeutung für den Frauensport auf eine Stufe mit Billie Jean King, Martina Navratilova oder Cathy Freeman stellen, mit 98 Jahren.