"Live by Night": Ben Affleck als Möchtegern-Pate

Eine wunderschöne Optik alleine reicht eben nicht, wenn die Story so gar nicht zu überzeugen weiß. Leider beweist das Ben Afflecks ambitionierter Gangster-Streifen "Live by Night".
Wenn die Filmgeschichte eines gelehrt hat, dann dass Gangster-Epen wie "Der Pate", "Scarface", "GoodFellas" oder auch "Die Sopranos" gar nicht zu lang, zu unflätig oder zu brutal sein können. Mit "Live by Night" schickt sich Ben Affleck als Regisseur und Hauptdarsteller nun an, seinen eigenen Werdegang zur Mafia-Größe zu inszenieren. Ohne Zweifel: bildgewaltig ist die Reise in die Zeit der Prohibition geworden. Aber leider auch langatmig, fragwürdig und an manchen Stellen regelrecht langweilig.
Das Leben als Outlaw
Boston, 1926: Der Kriegsveteran Joe Coughlin (Affleck) hat die Schnauze voll davon, blind den Befehlen anderer folgen zu müssen. Statt eine Karriere als Polizist anzustreben, so wie sein ehrbarer Vater Thomas (Brendan Gleeson), entscheidet er sich für das exakt andere Ende des Gesetzes. Als Kleinganove unabhängig der zwei großen Mafia-Familien schlägt er sich mit Überfällen durch - tunlichst bedacht, dass dabei niemand ums Leben kommt. Doch ein folgenschwerer Fehler stellt sein Leben auf den Kopf: er wird mit der bildhübschen Mätresse Emma Gould (Sienna Miller) von einem der Untergrundbosse erwischt...
Nur mit sehr viel Glück landet er daraufhin nicht mit Betonschuhen auf dem Grund des Charles Rivers. Von unbändiger Wut angetrieben, wirft er all seine Vorsätze über Bord und schließt sich dem verfeindeten Mafia-Haus seines Widersachers an. Auf diese Weise will er sich an dem Mann rächen, der zwischen ihm und seiner großen Liebe steht. Doch natürlich kommt alles anders und die wachsende Zuneigung zu der Kubanerin Graciela Corrales (Zoe Saldana), mit der er einen florierenden Alkoholschmuggel aufzieht, wirft seine Grundsätze ein weiteres Mal über den Haufen.
Die Optik stimmt
Zunächst das zweifellos Positive: "Live by Night" sieht wunderschön aus. Die alten Automobile, die viel zu großen Anzüge der Ganoven, oder die pompösen Kleider der mal mehr, mal weniger leichten Damen - schwer fällt es nicht zu erspähen, wo das Budget von angeblich 65 Millionen Dollar gelandet ist. Die Zeitreise in die Mitte der 20er Jahre der USA ist Affleck eindrucksvoll und authentisch gelungen. Wenn, ja wenn nur fast der ganze Rest nicht wäre...
Wenig glaubhafter Wendehals
Denn wo die erschaffene Welt durchwegs glaubhaft wirkt, ist dies ausgerechnet bei Hauptfigur Joe überhaupt nicht der Fall. Er will also nach dem Krieg keine Befehle mehr ausführen, will nicht das Blut fremder Menschen an seinen Händen kleben haben. Und dann entscheidet er sich ausgerechnet dazu, Gangster zu werden? Verzeihung, Outlaw, wie er sich selbst von den anderen Kriminellen abgrenzt. Dass er sich zunächst weigert, der Mafia beizutreten, macht die Sache aber nicht glaubhafter. Den zahlreichen Polizisten, die bei den Raubzügen von seinen Komplizen abgeballert werden, weint er auch als "Outlaw" jedenfalls nicht allzu viele Tränen hinterher.
Man wird bei Joe Coughlin das Gefühl nicht los, dass Affleck der Mut gefehlt hat, eine zutiefst verachtenswerte Person zu mimen. Und so schlängelt sich seine Hauptfigur vom Wertesystem eines Kriegsveteranen hin zu einem gefühlskalten Möchtegern-Gangsterboss - und wieder zurück. Affleck kann sich im Laufe der rund zwei Stunden einfach nicht entscheiden, wer er als Hauptfigur sein will. Diese halbgare Darstellung macht es dem Zuschauer ungemein schwer, Zuneigung aufzubauen. Nein, noch schlimmer: es macht es fast unmöglich, Joe überhaupt Emotionen jeglicher Art entgegenzubringen. Zumal sich seine Rache-Motivation binnen weniger Minuten in Luft aufzulösen scheint, als ihm der Rockzipfel einer anderen schönen Dame etwas zu nahe kommt.
Übergroße Vorbilder
Wie der schleichende Wandel vom ehrenvollen Mann hin zum Unterwelt-Fiesling glaubhaft vollzogen wird, lehrte einst Francis Ford Coppola in "Der Pate" mit Al Pacinos Charakter Michael Corleone. Joe aber ist sowohl ein feiner Kerl, dem man den Gangster nicht abkauft - und ein Gangster, dem man den feinen Kerl nicht glaubt. Und als Zusatz ist er dummerweise auch noch ein ziemlicher Trottel. Dass es nicht die beste Idee ist, sich öffentlich knutschend mit der besseren Hälfte eines skrupellosen Gangster-Bosses zu zeigen, hätte ihm jedenfalls einleuchten sollen. Die Geschehnisse der ersten halben Stunde sind daher komplett vorhersehbar, der Rest dafür unerwartet langatmig und streckenweise gar langweilig. Und das will bei einem Gangster-Epos, das mit zwei Stunden Laufzeit fast eine ganze Stunde kürzer als "Der Pate" ist, schon etwas heißen.
Fazit:
"Live by Night" macht optisch alles richtig, erzählerisch hingegen so gut wie alles falsch. Geschuldet ist das einem unglaubwürdigen Wendehals als Hauptfigur, einem vorhersehbaren, weil klischeebeladenen Anfang, sowie einem langatmigen Mittelteil. Sienna Miller als Femme Fatale ist der Höhepunkt des Films, das grundsätzlich starke Ensemble mit Affleck, Elle Fanning, Zoe Saldana und Chris Cooper in tragenden Rollen bleibt aber weitestgehend erschreckend schwach.