"Skin": Der schmerzvolle Weg aus der Düsternis

Wie wird ein Mensch zum rechtsradikalen Straftäter? Und wie hört er auf, es zu sein? Diesen Fragen geht "Skin" gekonnt, aber wohl bekannt auf den Grund.
Mit "Skin" (ab 3. Oktiber im Kino) bringt der israelische Regisseur Guy Nattiv die ebenso unglaubliche wie wahre Geschichte des glühenden Neonazis Bryon Widner (Jamie Bell, 33) auf die Kino-Leinwand, der schließlich nicht nur gedanklich, sondern auch körperlich dem Leben voller Hass und Wut abschwört. Das bietet die Gelegenheit für eindringliche Darbietungen und einen schonungslosen Blick in ein leider nach wie vor bestehendes Milieu, im Vergleich zum Genre-Krösus "American History X" aber auch wenig Neues.
Die Gesinnung im Gesicht
Bryon Widner ist ein Mann mit Überzeugungen - den denkbar schlimmsten Überzeugungen. Er glaubt an die "Überlegenheit der Weißen", seinen ganzen Körper, auch sein Gesicht, "schmücken" Naziparolen. Sein Leben besteht aus Hass und Gewalt, und das seit frühester Kindheit. Nichts, so scheint es, könnte ihn noch aus seinem festgefahrenen Weltbild befreien. Doch dann trifft Bryon eine Frau namens Julie Price (Danielle MacDonald).
Auch auf ihrem Körper kann ein Hakenkreuz gefunden werden, im Gegensatz zu Bryon schämt sie sich aber ungemein dafür. Sie hat drei Kinder, allesamt Mädchen, denen sie ein Leben abseits der Skinheads bieten will. Und dennoch lässt sie sich auf Bryon ein, meint sie doch zu erkennen, dass hinter den unzähligen Hass-Tattoos ein guter Mensch steckt. Und sie sollte recht behalten.
Niemand wird böse geboren
Regisseur Nattiv setzt gleich mit einem der ersten Momente des Films ein deutliches Statement. Einem kleinen Jungen wird der Kopf kahlgeschoren, an seinen Füßen sind Springerstiefel, vielleicht Schuhgröße 32. Mit raffinierter Bildsprache wird hier ohne Worte in den Kinosaal geschrien: Niemand wird als Rassist, als Menschenhasser, als böser Mensch geboren. Er wird dazu gemacht.
Der echte Bryon Widner wurde mit rund 14 Jahren Skinhead, 16 Jahre lang lebte er als solcher. Im Film lernen wir ihn als erwachsenen Vollblut-Fascho kennen, der einem afro-amerikanischem Jungen das Symbol der Staatssicherheit in die Backe ritzt. Erst später soll Bryon von der Mutter des Opfers erfahren, wie alt das Kind ist - 14 Jahre.
Für eitle Schauspieler war die Hauptrolle von "Skin" selbstredend nicht geeignet, Bell wirkt zuweilen wie ein tollwütiger Pitbull - als solcher wurde der reale Bryon zu seiner aktiven Nazi-Zeit auch bezeichnet. "Keiner war aggressiver, streitlustiger, berüchtigter", wird in einem Artikel der "Daily Mail" ein Mann namens Joseph Roy zitiert, der für die gemeinnützige Organisation Southern Poverty Law Center arbeitet und den Bryon schließlich im Bemühen, der rechten Szene den Rücken zu kehren, anrief.
Die Zeit heilt alle Wunden
"Skin" befördert den Zuschauer ohne Umschweife in eine trostlose Welt. Eine, in der von Rädelsführer Fred "Hammer" Krager (Bill Camp) beeinflussbare Jugendliche ohne Zukunft oder Dach über dem Kopf radikalisiert werden - ein rechtsradikaler Rattenfänger sozusagen. Er und seine Frau sind es, die sich von den anderen Mitgliedern liebevoll "Ma" und "Pa" nennen lassen, während sie sie für ihre niedrigen Zwecke missbrauchen. "Warum bist du hier?", will Byron von dem neuesten Rekruten im Knabenalter wissen. "Ich war hungrig", seine vielsagende Antwort.
"Der einzige Weg raus war entweder das Gefängnis oder der Tod", sagte wiederum der echte Bryon in einer Doku über seinen Gesinnungswandel. Das zumindest glaubte er lange, ehe ihm und seiner heutigen Frau unter anderem durch den afro-amerikanischen Menschenrechtler Daryle Lamont Jenkins geholfen wurde. Schmerzvoll war aber auch Variante drei allemal: Immer wieder stellt Nattiv durch Zeitsprünge dar, welche Tortur Bryon über sich hat ergehen lassen, um eben jener geschilderten Welt auch optisch zu entfliehen. In Sequenzen, die schon beim zusehen wehtun, werden der Hauptfigur die Tattoos im Gesicht förmlich weggebrannt - schmerzhaft und quälend langsam.
Ein Satz mit X
Das große Alleinstellungsmerkmal von "Skin" ist die Tatsache, dass es auf einer wahren Begebenheit beruht. Aber natürlich muss der Film in Hinblick auf seine Thematik mit einem anderen Werk verglichen werden - "American History X". Darin wird bekanntlich Edward Norton vom Vorzeige-Nazi zum Mann mit Gewissen - auch wenn er nicht wie Bryon in "Skin" von der Liebe zu einer Frau, sondern der Freundschaft zu einem afro-amerikanischen Mitgefangenen resozialisiert wird.
Doch nun hat besagter "American History X" von Filmemacher Tony Kaye eine so derartige Härte an den Tag gelegt, einem so vehement die Füße unter dem Boden weggezogen, dass "Skin" im Vergleich nicht dieselbe Fallhöhe erzeugen kann - auch wenn er eigentlich die authentischere, weil reale Geschichte abbildet. Dafür ähneln sich einfach zu viele Elemente der beiden Filme, ob der diabolische Anführer der Gang (bei "American History X" von Stacy Keach verkörpert), oder die Hauptfigur und ihre Familie, die beim Versuch, der Organisation zu entfliehen, massiv von seinen einstigen Weggefährten drangsaliert werden.
Fazit:
"Skin" wird vor allem von Jamie Bells großartiger Darbietung und der Tatsache, sehr nah auf einer wahren Begebenheit zu beruhen, getragen. Nun gleicht Bryon Widners Geschichte in ihrem Kern jedoch arg jener bekannten aus "American History X" und muss sich letztendlich nicht nur chronologisch hinter ihr anstellen. Was aber nicht heißen soll, dass "Skin" kein sehenswerter Film ist - im Gegenteil.