"Toni Erdmann": So real, dass es schmerzt
Sieger der Herzen in Cannes - so könnte man den Film "Toni Erdmann" bezeichnen. Eine Palme gab es bei den Filmfestspielen nicht, dafür die Sympathien des Publikums, eine Menge Aufmerksamkeit und die Erkenntnis, dass das Furzkissen nicht totzukriegen ist.
Ist "Toni Erdmann" eine Komödie mit dramatischen Elementen oder Drama mit komödiantischem Hintergrund? Die Antwort darauf bleibt offen, aber eines ist der Streifen sicher: Ein guter Film, der zum Nachdenken anregt. Und der von seinen zwei überragend guten Hauptdarstellern getragen wird.
Diese Filme hatten, wie auch "Toni Erdmann", in Cannes Premiere
Traurige Vater-Tochter-Geschichte
Winfried, ein alternder Musiklehrer (Peter Simonischek, 69), versucht trotz seiner Einsamkeit, seinen Humor nicht zu verlieren. Der ist schräg, nicht unbedingt massenkompatibel, aber lässt ihn sympathisch erscheinen. Von seiner Frau lebt er getrennt, seine Mutter ist ein Pflegefall, Hund Willi ist dem Hunde-Himmel nahe und seine vielbeschäftigte Tochter Ines (Sandra Hüller, 38), die sich von ihm entfremdet hat, sieht er viel zu selten.
Bei einem Treffen kündigt er ihr an, dass er sie "spontan mal" an ihrem Arbeitsort Bukarest besuchen werde, was Ines natürlich als Floskel abtut. Doch als Hund Willi dahinscheidet, steht Winfried vor Ines' Tür in Rumänien - und mit ihm sein Alter Ego Toni Erdmann. Dramaturgisch ist leicht zu erraten, was jetzt passiert: Ein Vater, immer Idealist geblieben, sucht die Nähe zu seiner Tochter. Diese wiederrum glaubt, Erfüllung im Job zu finden, lebt nur für den selbigen - und schämt sich für ihren Erzeuger.
Mitten ins Herz
Soweit klingt das nach nichts Besonderem. Doch wie die beiden Hauptdarsteller jetzt diese Beziehung, dieses Ringen mit der wohl nicht leichten Vergangenheit darstellen, ist großes Kino. Simonischek spielt Winfried mit viel Empathie. Mit seinem unkonventionellen Humor versucht er, das Verhältnis zu Ines zu verbessern - und macht so nur alles schlimmer. Trotz Rückschlägen, trotz Entmutigungen gibt er nicht auf.
Ein jeder von uns hat Konflikte auszufechten, oft in der Familie oder bei der Arbeit. Diese versteht Regisseurin Maren Ade (39) symbolhaft mit der Beziehung von Winfried und Ines darzustellen. Das gelingt ihr so gut, dass man sich als Zuschauer oft an die eigenen Beziehungsprobleme erinnert fühlt und dementsprechend berührt ist.
Hüllers Ines steht ihrem Vater so ablehnend gegenüber, dass es schon fast wehtut. Das Drehbuch braucht dafür nicht viele Worte. Die Gesichter der beiden Hauptdarsteller reichen oft völlig aus. Oder Pausen, deren Stille die Hilflosigkeit, insbesondere von Ines, aufzeigen.
Auftritt Toni Erdmann
Als es Ines endlich geschafft hat, ihren Vater wieder loszuwerden, zieht Winfried seinen Humorjoker: Sein Alter Ego Toni Erdmann tritt auf den Plan. Mit Perücke, falschen Zähnen und miesem Englisch wirkt er einerseits wie die schlechteste Karikatur aller Zeiten. Doch verglichen mit den karrieregeilen Mitarbeitern, Chefs und Konkurrenten seiner Tochter Ines - inklusive dieser - wirkt Toni Erdmann gar nicht mehr so schräg. Die schmeißen nämlich mit Geld um sich und ziehen sich während dekadenter Clubnächte Drogen ohne Limit rein, während die eh schon bitterarmen Bewohner des späten, nachkommunistischen Rumäniens gar nichts mehr haben.
Ines ist geschockt, dass ihr Vater, respektive Toni Erdmann, sie oft bloßstellt, doch sie nimmt die Herausforderung an. Beruflich hilft ihr das nicht weiter, doch möglicherweise rettet es ja die Vater-Tochter-Beziehung. Ob das so kommt, soll hier offen bleiben. Nicht jedoch, dass Simonischek und Hüller preiswürdig schauspielern. Mit welch gezwungener Selbstkontrolle Ines eine Geburtstagsparty in einen Nackt-Empfang umwandelt oder Winfried mit geschultertem Jutebeutel, ohne Plan, aber mit viel Empathie, Begegnungen in der rumänischen Provinz macht, das ist famos.
Die Nebenrollen sind ebenso passend besetzt, die Kameraführung ist zurückhaltend, Musik wird kaum eingesetzt. Das alles ist aber eben nur von untergeordneter Bedeutung. Denn wenn Ines ein Telefongespräch vortäuscht, nur um ihr mühsam aufgebautes Bild einer erfolgreichen und zufriedenen Geschäftsfrau vor ihrem Vater aufrechtzuerhalten, dann ist das cineastisch gesehen nichts Außergewöhnliches, doch Regisseurin Ade erreicht damit die Menschen in den Kinosesseln.
Fazit
Zugegeben, das in einer Szene eingesetzte Furzkissen steht nicht wirklich für tiefsinnigen Humor. Dafür tun einige Szenen, die sich zwischen Simonischeks und Hüllers Rollen abspielen, im guten Sinne richtig weh. Denn sie erinnern daran, wie sich Menschen, die sich eigentlich lieben, gegenseitig verletzen können. Und diesen Gedankenanstoß erreicht Filmemacherin Ade im Vorbeigehen und ohne erhobenen Zeigefinger. Ob also Komödie oder Drama, das spielt keine Rolle. "Toni Erdmann" sollte man im Kino-Sommer 2016 nicht verpassen.