"Beispiellose Radikalisierung": ZDF-Doku zeigt, warum J.D. Vance gefährlicher als Trump sein könnte

Einst bezeichnete er Donald Trump als "Amerikas Hitler" und verurteilte dessen "kulturelles Heroin". Doch diese Zeiten sind längst vorbei: J.D. Vance ist zum Vizepräsident der USA aufgestiegen und gilt hinter Trump als einflussreichster politischer Drahtzieher in den Vereinigten Staaten.
"Dies ist eine Amtszeit, in der Trump der Bestimmer ist. Wenn man nicht gehorcht, wird man gefeuert", betont Professor Charles A. Kupchan in der ZDF-Doku "Trumps Mann fürs Grobe: Wie viel Macht hat J.D. Vance?" (ab sofort im Streamingportal des ZDF). Gleichwohl fügt er hinzu: "Wenn es aber eine Person gibt, die eine eigene Macht hat, ist das J.D. Vance."
In 45 Minuten versuchen die Filmemacher Martin Jabs, Anya Bourg, James Jacoby und Gabrielle Schonder zu entschlüsseln, wie sich Vance aus einfachen Verhältnissen zum Yale-Absolventen, Bestseller-Autor und Polit-Radikalen entwickelte.
J.D. Vance wuchs in einfachen Verhältnissen auf - und ohne Vater
In Middletown, Ohio, erlebte J.D. Vance während seiner Kindheit mit, wie der Ort am Rust Belt schleichend unterging. Von dem einst prosperierenden Industriestandort war nicht mehr viel geblieben. Stattdessen herrschte wirtschaftlicher und kultureller Niedergang vor. "Er sah, wie Menschen ihre Arbeit verlieren, wie seine Mutter mit der Drogensucht kämpfte", beschreibt Journalist Ian Ward in der ZDF-Doku. Sein Vater war da schon längst weg, später wuchs Vance bei seiner Großmutter auf.
Mit Beginn seines Studiums - nur dank eines Stipendiums möglich - verließ Vance seine Heimat. "Er war schon lange unzufrieden mit der Entwicklung unseres Landes", schildert es sein damaliger Kommilitone Vivek Ramswamy im Rückblick. Ein Vortrag von Silicon-Valley-Magnat Peter Thiel über dessen radikal libertäre Weltanschauung sei der Schlüsselmoment seines Studiums gewesen, sagte Vance später. Das Treffen befeuerte "Vances Angst, dass Amerikaner abgehängt werden" (Simon van Zuylen-Wood, "New York Magazine").
Spätestens als er 2016 mit seinem Buch "Hillbilly Elegy" zum Bestsellerautor aufstieg, nahm J.D. Vance zunehmend die Rolle der Identifikationsfigur vieler zurückgelassener US-Amerikaner ein. "Er zeigte sich als einer, der die kulturellen und wirtschaftlichen Ängste dieser Wähler versteht", erklärt Ian Ward. Obwohl er Trumps "offensive Dreistigkeit" zunächst ablehnte, konnte Vance eine Anziehung zum mächtigen Republikaner doch nicht leugnen. Die Tür zum Präsidenten öffnete ihm erst Thiel, dann sein Freund Donald Trump Jr.
"Wenn man in den Trumpismus eintaucht, taucht man in den Faustkampf ein"
Mit dem Aufstieg in die Polit-Elite, angefangen mit seinem Senatsposten im Jahr 2021, suchte er zunehmend die Nähe zu Größen der "New Right"-Bewegung. Beim langjährigen "Fox News"-Moderator Tucker Carlson war J.D. Vance mehrfach die Woche zu Gast. "Der Fall J.D. Vance ist der Fall einer beispiellosen Radikalisierung, deren Zeugen wir alle geworden sind", erläutert Historikerin und Podcasterin Annika Brockschmidt. Er fordert eine Rückkehr zur Industrie, eine Abkehr vom Freihandel, positioniert sich gegen Abtreibung und hetzt gegen Einwanderer.
"Er ist davon überzeugt, dass liberale Eliten die Grenzen geöffnet und Einwanderer ins Land gelassen haben, die nicht die gleiche Kultur haben und auf die Kosten des Staates leben", schlüsselt Molly Ball ("Wall Street Journal") Vances politische Gesinnung auf. Je tiefer er in den Trump-Zirkel eintaucht, desto schärfer wird seine Wortwahl. "Man kann nicht Teil von MAGA sein, wenn man nicht aggressiv, kämpferisch und provokant auftritt", weiß Journalist David French. "Wenn man in den Trumpismus eintaucht, taucht man in den Faustkampf ein."
Laut Historikerin: Ideologie der Republikaner ist "eine komplette Mogelpackung"
Während Donald Trump qua Alter auf das Ende seiner politischen Laufbahn zusteuert, stehen dem 40-jährigen Vance alle Türen offen. Politikwissenschaftlerin Liana Fix befürchtet: "Weil er ideologisch sehr viel kohärenter ist als Donald Trump, weil er radikaler ist und gleichzeitig auch sehr opportunistisch, ist er jemand, den man in Zukunft vielleicht noch ernster nehmen muss als Trump selbst." Gleichwohl fehle Vance das Charisma eines Trumps oder eines Obamas, gibt Peter Jamison von der "Washington Post" zu bedenken.
Ob es politisch mit den USA deshalb bergauf geht? "Trump und Vance werden ihre Versprechen nicht einlösen, sie werden es sogar noch schlimmer machen", prophezeit Prof. Charles A. Kupchan schon jetzt. Ähnlich sieht es Historikerin Brockschmidt. Zwar bediene die republikanische Partei das Narrativ, die USA finanziere einen fremden Krieg in der Ukraine, statt kaputte Straßen im eigenen Land zu reparieren.
Aber: "Die Partei, die diese Erzählung spinnt, hat keinerlei Absicht, an den materiellen Problemen zu ändern. Stattdessen gibt es Steuersenkungen für die reichsten Amerikaner. Letzten Endes ist das eine komplette Mogelpackung." Ob Vance also "Erbe von Trump und America First" (Kupchan) wird oder von seinen Wählern entschlüsselt wird, hängt von Letzteren ab.
"Trumps Mann fürs Grobe: Wie viel Macht hat J.D. Vance?" ist am Dienstag, 24. Juni, 20.15 Uhr, im ZDF zu sehen und schon jetzt in der ZDF-Mediathek.