Orson Welles: Hollywoods tragischer Titan
"Er war riesig, er war in der Tat kolossal. Er hatte gelbe Augen und ein dröhnendes Lachen ...", schrieb die französische Schriftstellerin Francoise Sagan, nachdem sie Orson Welles zum ersten Mal getroffen hatte. Welles, von Hollywood als Regisseur verstoßen, hielt sich damals als Schauspieler über Wasser, verkaufte seine Leinwandpräsenz an mäßige Leinwand-Epen wie "Kampf um Rom". Dabei drehte er einst "Citizen Kane" (1941) - jenen Film, der bis heute vielen als bester aller Zeiten gilt. Am 6. Mai wäre Welles 110 Jahre alt geworden.
Welles, das Wunderkind. Mit 23 Jahren schrieb er bereits Rundfunkgeschichte: Seine Hörspielversion von H.G. Wells' "Krieg der Welten", angelegt als Live-Reportage, ließ damals Marsianer in Manhattan landen. Eine Massenpanik, wie so oft berichtet, brach daraufhin zwar nicht aus, besorgte Anrufe entsetzter Bürger ließen aber die Telefonleitungen des Radiosenders glühen. Das Radiostück machte Orson Welles weltberühmt. Dann startete er erst richtig durch. Zwei Jahre später bot Hollywood ihm an, einen Film zu drehen: "Citizen Kane" (1941). Regie: Orson Welles. Hauptdarsteller: Orson Welles. Drehbuchautor: Orson Welles, lediglich unterstützt von dem alten Hollywood-Haudegen Herman J. Mankiewicz.
"Citizen Kane" erregte US-Amerika. In der Geschichte des manischen Zeitungsmannes Charles Foster Kane erkannte sich der mächtige Medienboss William Randolph Hearst wieder - und sein Konzern agitierte mit wütenden Kampagnen gegen Film und Regisseur. 1962, als das Fachblatt "Sight and Sound" zur Wahl der besten Filme aufrief, reagierte die internationale Kritik einmütig: "Citizen Kane" sei der "beste Film der Welt". Ein Platz, den dem Meisterwerk lange kein Film streitig machen konnte. Heute noch rangiert Welles' Erstling weit oben in den Charts: auf Platz drei, nach Hitchcocks "Vertigo" und Chantal Akermans "Jeanne Dielman". Die Zeiten ändern sich, und mit ihnen bekanntlich die Geschmäcker.
"Ein Riese mit dem Gesicht eines Kindes"
Wer war dieser Orson Welles? "Orson Welles ist ein Riese mit dem Gesicht eines Kindes, ein Baum voller Schatten und Vögel, ein Hund, der seine Kette zerbrochen hat, um zwischen den Blumen zu schlafen. Ein eifriger Faulpelz und ein weiser Narr", charakterisierte ihn der Schriftsteller und Regisseur Jean Cocteau. Geboren am 6. Mai 1915 in Kenosha, Wisconsin, wurde Welles mit neun Jahren Halbwaise, mit 15 Vollwaise. Da war er bereits über 1,80 Meter groß und auch sonst seinem Alter weit voraus: Während seine Klassenkameraden Football oder Baseball spielten, interessierte sich der junge Welles für das Theater. Mit 20 inszenierte er sein erstes großes Stück: Macbeth. Welles verlegte die Handlung des Shakespeare-Stücks nach Haiti und besetzte es ausschließlich mit farbigen Schauspielern. Sein "Voodoo-Macbeth" wurde ein durchschlagender Erfolg. Zum Film war es da nur noch ein kleiner Schritt.
Ein Jahr nach "Citizen Kane" drehte Welles "Der Glanz des Hauses Amberson", auch dieser Film ein Mammut-Projekt. Es folgte "Von Agenten gejagt", doch die Regie musste er an den Routinier Norman Foster abgeben. Die Probleme des kurz zuvor noch hofierten Wunderkindes mit seinen Auftraggebern begannen. Als die Autorin Sagan Welles kennenlernte, hatte ihn Hollywood schon mit einem Bann belegt. Welles, der Unmäßige, hatte eine Todsünde begangen: Seine künstlerischen Visionen waren ihm wichtiger als das Budget. Doch die Buchhalter wollten keine Kunst, sondern Rendite. Sagan begegnete ihm in Cannes, während der Filmfestspiele. In Europa trieb sich Welles zu jener Zeit gerne herum. Hier schätze man seine Filme, in Hollywood war der sensible Kinovisionär fehl am Platz.
Hollywood liebt seine Stars nur, wenn sie Kasse bringen und ordentlich jeden Freitag die Tankquittungen beim Produzenten abliefern. Oder, um mit Sagan zu sprechen: "Eine Armee kleiner Leute mit Brille und Druckbleistift, von Buchhaltern und Produzenten, war gekommen, um Gulliver zu Boden zu stürzen, der an anderes als diese Liliputaner zu denken hatte. Er brach unter der Last fast zusammen." Um Geld für seine megalomanischen Projekte zu beschaffen, verlieh er sein Gesicht. Als Darsteller in Filmen wie "Der dritte Mann" (1949), als Werbegesicht für kalifornischen Wein, für Mineralwasser ... "Prost Lagerbeer", sagte er in Richtung Kamera, und davon zahlte der Meister seine Miete.
Welles' Vermächtnis
Als Welles am 10. Oktober 1985 in Los Angeles starb, hatte er für rund 70 Filme vor der Kamera gestanden. Dennoch meinte er: "Filme haben mich nie sehr aufgeregt. Der Zauber des Stierkampfes und der Malerei hat mich immer sehr viel stärker fasziniert. Und außerdem: Die Welt hat auch existiert, bevor die Leute ins Kino gegangen sind." Welles war Zeichner, Maler, Zauberer, Herausgeber, Schauspieler, Wahlkampfhelfer Roosevelts, Journalist, Stierkämpfer, Marionettenspieler, Sprachforscher - kein Spezialist, sondern eine unzeitgemäße Renaissance-Gestalt, die die Welt begreifen wollte.
Und der Film? Das Kino? "Ich kann dem Film nur etwas abgewinnen, wenn ich drehe." Ganze zwölfmal gelang es Welles in 45 Jahren, ein Projekt zu vollenden, weitere sechs Filme blieben unfertige Ruinen. Einer davon war lange "The Other Side Of The Wind", ein Film über einen alternden Regisseur (John Huston), den Welles zwischen 1970 und 1976 drehte, wegen eines Rechtsstreits aber nicht vollenden konnte. Erst 2018 wurde das faszinierende, überbordend kreative Spätwerk zum Abschluss gebracht, unter Federführung des Filmemachers Peter Bogdanovich. Eine posthume Wiedergutmachung Hollywoods gegenüber dem geschassten Kino-Wunderkind Welles? Nicht wirklich, "The Other Side Of The Wind" wurde in der Fabrik des Streaming-Dienstes Netflix fertiggestellt.